Bitten zu bombardieren.
»Ein einziges Mal ja bloß – ich schenke dir dafür auch den Kasten Konfekt, den mir Tante Albertinchen gestern mitgebracht hat.«
Das zog. Für Süßigkeiten war Klaus zu allem zu haben. Das wußte das Schlauköpfchen natürlich.
»Nee – es geht nicht«, sagte er schon etwas weniger abweisend. »Mädel können da nicht mit rumziehen, da schäme ich mich vor den andern Jungs.«
»Ach, Mäuschen, ich ziehe meine blauen Turnhosen an und dazu die gestreifte Matrosenbluse, und die Haare verstecke ich ganz unter der Matrosenmütze – da sehe ich bestimmt wie ein Junge aus. Nicht wahr, du nimmst mich mit, Kläuschen?« Annemarie vollführte bereits einen Luftsprung.
»Großmama wird’s nicht erlauben – – –« wandte der Bruder, durch den lustigen Verkleidungsstreich halb, und durch Tante Albertinchens Konfekt ganz besiegt, noch ein.
»Ach, Großmuttchen schläft doch jetzt. Bis sie aufwacht, bin ich längst wieder zurück. Fräulein besucht ihren verwundeten Vetter im Lazarett, und Hanne läuft gerade nach Petroleum herum, das so knapp ist. Da merkt kein Mensch, daß ich weg bin. In fünf Minuten bin ich fertig –« fort war sie bereits.
Es dauerte noch nicht mal so lange, da trat ein allerliebster blonder Junge wieder in das Zimmer, gegen den Klaus nichts mehr einzuwenden hatte.
»Die beiden Schulkameraden, die mit mir fahren, kennen dich nicht, ich sage einfach, ich habe meinen kleinen Bruder mitgebracht, vorwärts!« Unter Lachen und Kichern stürmten die zwei die Treppe hinab, wo bereits die beiden andern »Lumpenmätze«, so wurden die Einsammler von den nicht zu diesem Ehrenamt erwählten Schülern genannt, mit ihrem Handwagen warteten.
»Mein kleiner Bruder«, stellte Klaus verschmitzt lachend vor, während Annemarie ihr errötendes Gesicht schnell zur Seite wenden mußte. »Komm, Karlchen, wir werden zuerst ziehen, jetzt ist der Wagen noch schön leicht.«
Klaus und das kichernde »Karlchen« spannten sich vor, und fort rumpelte die elegante Equipage, durch die vornehmen Straßen des Westens.
Mit glänzenden Augen trabte Annemarie als Ziehhund voran. Nie in ihrem Leben, selbst damals, als sie eine Prämie in der Schule bekam, war sie so ungeheuer stolz gewesen.
Die Knaben hatten heute zum Glück ihre Tätigkeit nur in der Nähe. Die beiden andern gingen mit ihrem Ausweisschein in die Wohnungen, während Klaus und Annemarie den Wagen bewachten. Mit reicher Beute an ehemaligen Flanellunterröcken, zerrissenen Unterhosen, Teppichstücken und Lumpen kehrten sie aus den Wohnungen zurück. So ging es von Haus zu Haus, der Wagen wurde allmählich schwerer. Der Strick schnitt Nesthäkchen in die Hände. Aber das störte das Vergnügen nicht.
»Was der kleine Kerl schon für Muskeln hat«, sagte einer der fremden Jungen anerkennend. Das spornte Annemarie von neuem an.
Die im Märzsonnenschein liegende Straße kam eine Dame herauf. Das kleine Mädchen äugte scharf hin – heiliger Bimbam – das war ja Fräulein Neubert, die strenge Lehrerin des Schubertschen Lyzeums. Wenn die sie bloß nicht erkannte!
Fräulein Neubert kam näher und schaute sich, wie auch die andern Vorübergehenden, die Lumpenequipage, die man sonst nicht in den Straßen Berlins sah, mit ihren netten jungen Begleitern interessiert an.
Annemarie drehte sich fast den Hals aus, so sehr wandte sie den Kopf nach der entgegengesetzten Richtung. Aber wenn Fräulein Neubert sie nun doch erkannte, wenn sie ihr am Ende morgen einen Tadel gab, weil sie nicht gegrüßt hatte – herzklopfend schielte Annemarie ein wenig zur Seite. Da begegnete sie gerade Fräulein Neuberts Augen und – das Wunder geschah: Der bildhübsche Junge machte zum Staunen der Lehrerin und der gerade Vorübergehenden einen wohlerzogenen Knicks.
Klaus gab ihr einen ärgerlichen Puff. »Was sollen denn die Jungs von dir denken, du mußt die Mütze ziehen, wenn du grüßt.«
Richtig – daran hatte Nesthäkchen in der Aufregung gar nicht gedacht, daß es ja jetzt »Karlchen« war.
Die Jungen, die hinter dem Wagen hergingen, um aufzupassen, daß nichts verloren ging oder gestohlen wurde, hatten zum Glück den sonderbaren Gruß nicht bemerkt.
»So, Braun, jetzt mußt du und dein kleiner Bruder hausieren gehen, wir wechseln nun ab«, sagte einer von ihnen, als sie in eine neue Straße einbogen.
Braun und sein »kleiner Bruder« machten sich auf den Weg.
In dem ersten Hause, das sie betraten, wickelte sich alles sehr schnell ab. Die einzelnen Mieter hatten bereits sämtliche Wollsachen zum Verwalter gegeben, wo die Kinder sie in Empfang nahmen. Aber im Nebenhaus mußten Klaus und »Karlchen« treppauf, treppab. Die meisten Leute waren freundlich zu den beiden frischen Jungen; aber da gab es auch welche, die ihnen wie einem lästigen Bettler die Tür vor der Nase zuschlugen.
Das etwas empfindliche kleine Fräulein fing beinahe an zu weinen.
»Du, Klaus«, Annemarie zupfte den Bruder, der an der gegenüberliegenden Tür klingeln wollte, zaghaft am Ärmel. »Du, wenn die hier uns auch rausschmeißen, dann mach’ ich nicht mehr mit.«
»Denn läßt es bleiben – für unsere Soldaten können wir uns ganz ruhig mal rausschmeißen lassen.«
Nein, in der gegenüberliegenden Wohnung wurden sie freundlich empfangen.
»Kommt nur herein, ihr könnt euch die Sachen gleich nehmen, sie liegen hier im Zimmer schon bereit. Wirst du denn auch alles tragen können, mein Sohn?« Die Dame klopfte Annemarie freundlich die frische Wange und führte sie beide in ein kleines, sonnenhelles Balkonzimmer. Dort saß ein zarter Knabe über seine Schulbücher. Beim Eintritt der fremden Jungen hob er den klugen Kopf, und »Kurt – Kurt!« brüllte der kleinere blonde plötzlich los und eilte freudestrahlend auf ihn zu.
»Annemarie, bist du’s denn wirklich?« Kurts Augen strahlten glücklich auf. »Das ist Annemarie Braun, mit der ich im Wittdüner Kinderheim war und mit der ich zusammen nach Haus gereist bin«, erklärte er seiner Mutter.
Die sah lächelnd auf das von ihr mit »mein Sohn« angeredete erglühende kleine Mädchen. »Kurt hat mir viel von dir erzählt, ein halber Junge scheinst du mir danach ja schon immer gewesen zu sein, nun bist du wohl ein ganzer geworden?« sagte sie scherzend mit einem Blick aus die Hosen.
»Nee – nee – ich – ich wollte bloß so schrecklich gern mit Klaus – das hier ist mein Bruder Klaus – mit zur Wollsammlung«, stotterte Annemarie verwirrt.
»Ich habe immer gedacht, du würdest mich mal besuchen, Annemarie, du hattest es mir doch versprochen. Aber du scheinst mich ganz vergessen zu haben«, meinte Kurt ein wenig vorwurfsvoll.
»Ja, ich habe über den Krieg wirklich vergessen, dich zu besuchen, Kurt«, gab Annemarie zu. »Und an Gerda Eberhard in Breslau, mit der ich in Wittdün so befreundet war, habe ich auch noch nicht geschrieben.« Es kam ja öfters mal vor, daß das kleine Fräulein etwas vergaß.
»Dann holt es nächsten Sonntag nach, kommt alle beide zu meinem Kurt, ich freue mich, wenn er fröhliche Altersgenossen hat«, forderte die Mutter freundlich auf.
Die Geschwister dankten und machten sich mit ihrer Einladung und dem großen Wollbündel wieder auf den Weg. Kurt gab ihnen bis zur Tür das Geleit. Er mußte zwei Stöcke dazu benutzen.
»Kannst du noch immer nicht richtig gehen, Kurt?« fragte Annemarie den hinkenden Knaben mitleidig.
Der schüttelte den Kopf. »Nein, es war in Wittdün schon besser. Aber ich bin ganz zufrieden, wenn ich jetzt die armen Soldaten auf der Straße sehe, die nicht mal mehr ihre Beine haben. Also auf Wiedersehen am Sonntag!«
Kurt winkte den beiden vom Balkon aus noch nach.
Weiter ging es Haus für Haus, Wohnung für Wohnung. Freundliche und unfreundliche Menschen lernte Annemarie auf ihrer Wanderung kennen. Der dicke Schlächtermeister zog sich seine Wollweste direkt vom Leib: »Ach, wat, nehmt man den Lumpen noch mit, Jungs, unsere Soldaten brauchen es nötiger als ick.« Der Bierwirt an der Ecke lud