Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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Ganz abgesehen von den Malen, wo sie nicht immer Großmamas Anordnungen mit freundlichem Gesicht nachgekommen war. Wo sie in ungezogener Weise geknurrt und gemurrt, wenn ihr etwas nicht paßte, ja, einmal sogar ganz ungehörig widersprochen hatte.

      Bis an die Blondhaare stieg der Kleinen das Blut bei dieser unangenehmen Erinnerung. Großmama hatte ihrem Herzblatt längst verziehen, und doch – heute mußte Annemarie daran denken, wie wohl Mutti über das Verhalten ihres Nesthäkchens urteilen würde.

      Aber das sollte anders werden – ganz bestimmt. Bei allem, was sie tat, wollte Annemarie von nun an denken, was wohl Mutti dazu meinen würde.

      Man soll nie etwas aus die lange Bank schieben. Gleich am selben Tage begann die Kleine noch damit, nun auch ihrerseits für die liebe Großmama Sorge zu tragen.

      Großmama wußte gar nicht, wie ihr geschah. Mittags bei Tisch zeigte Nesthäkchen lebhaftes Interesse dafür, ob Großmama auch ein recht weiches Stück Braten habe, da alte Leute doch nicht mehr so gute Zähne hätten. Als Großmama sich zum zweitenmal Speise nahm, gab das Enkeltöchterchen mahnend, wenn auch bescheiden, zu bedenken, ob Großmama sich bloß nicht den Magen verderben könnte. Zum Nachmittagsschlummerstündchen schleppte Annemarie Decken und Tücher herbei, als ob Großmamas Sofa am Nordpol und nicht im geheizten Zimmer stünde. Als sie aber Großmama möglichst fest in dieselben einzuwickeln begann, warf die alte Dame schwer atmend ein Stück nach dem andern wieder ab: »Herzchen, ich ersticke ja!«

      Nesthäkchen stand bestürzt da. Ja, wenn Großmama nicht für sich sorgen lassen wollte!

      Leider wußte die Tür noch nichts von Annemaries guter Vornahme. Gerade, als sie dieselbe leise schließen wollte, entwischte sie ihr und knallte krachend ins Schloß. Da öffnete Annemarie sie noch einmal und schloß sie nun leise, wie sich’s gehört.

      »Weißt du, Großmuttchen, ich möchte Fräulein bitten, den Kaffeetisch für uns lieber in der Kinderstube zu decken. Wenn meine vier Freundinnen heute nachmittag kommen, das hältst du nicht aus, das ist bestimmt zuviel Radau für dich!« hatte Annemarie bereits am Vormittag der Großmama vorgeschlagen.

      Diese hatte sie ganz verständnislos angesehen. Ihr Lebtag hatte sich Annemarie nicht darum gekümmert, ob etwas zuviel Radau machte oder nicht. Was für ein guter Geist war denn plötzlich in sie gefahren?

      Als sich die zärtliche Fürsorge bei Nesthäkchen für Großmamas Wohl im Laufe des Tages aber immer mehr steigerte, wurde die Sache noch rätselhafter.

      Pünktlich um vier Uhr erschienen die Schulfreundinnen, Margot, Marlene, Ilse und Marianne. Annemarie hatte sie zum ersten Feiertag eingeladen, um dem gemeinsamen »Junghelferinnenkind« seinen Weihnachten aufzubauen.

      Tagelang vorher hatte Annemarie bereits ein niedliches Puppenweihnachtsbäumchen für »ihren Jungen« geputzt. Der thronte in der Mitte des weißgedeckten Kinderstubentisches. Ringsherum hatte sie ihre Geschenke für den Kleinen geordnet. Da lagen mühsam gehäkelte hellblaue Wollschuhchen und ein selbstgestricktes weißes Mützchen. Zwei Jäckchen, die in der Handarbeitsstunde gehäkelt worden waren, und außerdem ein kleiner Holzstall mit einem krähend herausspazierenden Hahn.

      Der Junge würde Augen machen.

      Jede der Freundinnen brachte ebenfalls ein Geschenk für den kleinen Ostpreußenflüchtling mit. Margot hatte ein halbes Dutzend Windeln selbst gesäumt, Marianne ein Nachtröckchen genäht. Ilse und Marlene, die beiden Freundinnen, hatten sich zusammengetan, und den ersten Kittel für den Jungen, den Fräulein Hering zugeschnitten, geschneidert. Er war sehr niedlich ausgefallen, wenn der winzige Kerl auch vorläufig noch dreimal hineinging.

      Wirklich, allerliebst sah der Weihnachtstisch aus. Stolz überblickten die fünf ihr Werk, dann aber ließen sie es sich selbst erst mal bei Schokolade und Weihnachtsstolle wohl sein. Denn »Fleiß muß belohnt werden«, sagte die Großmama. Auch Hans und Klaus hatten sich dazu eingefunden und zeigten bei der Vertilgung der Kuchenberge ihren Fleiß.

      Klaus, der Strick, machte sich nebenbei noch das Vergnügen, Puck auf Margot, die, so groß sie war, noch Angst vor Hunden hatte, heimlich zu hetzen.

      »Wo ist die Margot – faß zu, Puck – faß sie!« flüsterte er dem Vierfüßler ins Ohr.

      Keiner achtete in dem lebhaften Stimmengewirr, das fünf Mädchen verursachen können, auf den Schlingel. Bis plötzlich Margot mit lautem Angstgeheul von ihrem Stuhl auffuhr, daß ihre Schokolade sich über die Kaffeedecke und über Pucks weißes Fell ergoß.

      »Der abscheuliche Hund – er beißt mich – er hat mich gebissen!« rief sie weinend.

      Der arme Puck, der nur ein wenig an Margots Kleidern geschnuppert hatte, wußte nicht, wie ihm geschah. Seine Freundin Annemarie jagte ihn scheltend aus dem Zimmer hinaus, und Klaus, der eigentliche Missetäter, ließ sich mit unschuldigem Gesicht, als ob er kein Wässerlein trüben könne, seinen Kuchen weiter schmecken.

      »Ja, ja, so geht’s im Leben,« dachte das Zwerghündchen sinnend, während es sich draußen die vergossene Schokolade vom Fell leckte, »kleine Diebe hängt man, große läßt man laufen.«

      Nachdem Margot sich wieder beruhigt, Fräulein Ordnung geschafft, und Annemarie sich voll Rücksicht bei der erstaunten Großmama erkundigt hatte, ob ihre Nerven das auch aushielten, nachdem Schokoladenkanne und Kuchenkörbe geleert, zogen die fünf erwartungsvoll hinunter in die Wohnung des Hausmeisters.

      Dort gab’s eine große Enttäuschung. Der Junghelferinnenjunge, der doch die Pflicht hatte, wenn seine Wohltäterinnen ihn besuchten, sie wenigstens mit offenen Augen zu empfangen, schlief gerade.

      »Wird er bald aufwachen, Frau Kulicke?« erkundigte sich seine erste Pflegemutter bei ihrer Nachfolgerin.

      »Det kann keen Mensch nich wissen. Wenn det Mäxeken Lust hat, schläft es manches Mal bis achten und schreit dafür die janze Nacht.«

      Na, das war ja heiter. Sie konnten doch dem »Mäxeken« unmöglich nachts bescheren. Um acht Uhr mußten die Freundinnen überhaupt schon wieder zu Hause sein.

      Annemarie fühlte die Verantwortung als Wirtin und als ehemalige Pflegemutter.

      »Vielleicht kann man ihn wecken?« schlug sie der Frau vor.

      »Nee – um Jottes willen nich – denn is jar nischt mit ihm zu machen. Denn brüllt er euch bis morjens früh in eins weg«, wehrte Frau Kulicke erschreckt.

      Ach was, der Junge würde schon aufhören zu brüllen, wenn er die schönen Geschenke oben sah.

      Als die Portierfrau in die Küche ging, begann Annemarie ein wenig an der winzig kleinen Nase des süß Schlummernden zu zupfen. Der knurrte im Schlaf, ließ sich aber sonst nicht stören.

      Sie mußte energischer vorgehen.

      »Junge, wach’ auf, oben gibt’s eine Weihnachtsbescherung für dich!« schrie sie in den Kinderwagen hinein, den die Freundinnen in atemloser Spannung umstanden.

      Diese Mitteilung machte jedoch durchaus keinen Eindruck auf den kleinen Schläfer.

      Gab es denn hier keinen nassen Schwamm? Annemarie erinnerte sich, daß Fräulein sie öfters in der ersten Schulzeit durch dieses Mittel aus dem Bett gebracht hatte, wenn die kleine Langschläferin durchaus nicht aufstehen wollte.

      Nein, ein Schwamm war nirgends zu entdecken, aber dort stand ja die kleine, noch halbgefüllte Gießkanne, mit der Frau Kulicke kurz vorher ihre Blumen begossen hatte.

      »Nicht, Annemarie, tu’s nicht!« wehrte Margot erschreckt, die selbst kleine Geschwister hatte und wußte, daß man kleine Kinder nicht im Schlafe stören soll.

      »Ach was, nur ein paar Tropfen«, Nesthäkchen hatte bereits die Gießkanne ergriffen.

      O weh – statt der paar Tropfen ergoß sich plötzlich ein ganzer Wasserstrahl über das Gesicht des nichts Böses ahnenden Säuglings.

      Laut schreiend fuhr er aus dem Schlaf, aber er war nicht mehr erschreckt, als Annemarie selbst. Das hatte sie nicht beabsichtigt.

      Auch