ihren Taschentüchern begannen die kleinen Mädchen das triefende Mäxchen abzutrocknen, aber es schrie trotzdem wütend weiter.
»Wir wickeln ihn in das große Tuch und nehmen ihn mit nach oben, da wird er schon aufhören«, schlug Annemarie vor, die ihr schlechtes Gewissen so schnell wie möglich aus der Portierwohnung jagte.
Gesagt – getan.
Der kleine Max wurde warm in das mitgebrachte Tuch eingehüllt; die Freundinnen kehrten noch flink die Kissen um, damit die Nässe nicht gleich auffiel. Dann machte sich die Karawane auf den Weg. Voran Annemarie mit dem aus der Vermummung etwas gedämpfter brüllenden Mäxchen.
Ordentlich schwer war der Junge in den paar Wochen geworden. In Todesangst, den ärgerlich Strampelnden fallen zu lassen, trugen ihn die Freundinnen abwechselnd in die Braunsche Wohnung.
Nun brannte das Bäumchen. Die ganze Familie, einschließlich Hanne und Puck, lief erwartungsvoll zusammen, was Mäxchen wohl für ein Gesicht zu seiner Bescherung machen würde.
Die Freundinnen begannen mit hellen Stimmen »Stille Nacht – heilige Nacht« zu singen, um dem Kleinen das Feierliche der Weihnachtsbescherung gleich das erstemal klar zu machen.
Aber Mäxchen schien nicht viel Sinn für Feierlichkeit zu haben. Es kniff die Augen fest zu, als ob es gar nichts sehen wollte, den Mund riß es dafür um so weiter auf. So gab es sich redlich Mühe, den frommen Sang der Kinder zu übertönen.
Ob Annemarie ihm die mühsam gehäkelten hellblauen Schuhchen zeigte oder Margot ihre selbstgesäumten Windeln – der undankbare kleine Bengel schrie unentwegt seine eigene Naht weiter.
Annemarie begann der Angstschweiß auszubrechen.
Großmama mußte sich wieder erbarmen. Durch Klopfen und Schaukeln versuchte sie ihn zu beruhigen.
»Himmel, das Jäckchen ist ja ganz naß – wie kann die Frau das Kind nur so liegen lassen, wenn es sich nun erkältet«, rief Großmama kopfschüttelnd. Die Freundinnen begannen heimlich zu kichern. Annemarie aber wurde rot.
»Ich wollte ihn ein bißchen bespritzen, daß er aufwacht, aber die olle Gießkanne hat gleich so doll geplanscht«, gab sie nach kurzem Schwanken der Wahrheit die Ehre.
»Was – mit der Gießkanne hast du den armen Kerl aus dem Schlaf geweckt – ja, dann ist es sein gutes Recht, zu brüllen«, Großmama wußte nicht, ob sie lachen oder ärgerlich sein sollte.
Mäxchen wurde umgezogen. Er bekam eins von den neuen Jäckchen an und die hellblauen Schuhe. Leider verstand er sie aber nicht richtig zu würdigen, denn er ließ sie sofort in den Mund spazieren.
Wenigstens war seine Gemütsverfassung jetzt eine menschenfreundlichere geworden. Nur einmal litt sie noch Schiffbruch, als Annemarie ihm den krähenden Hahn vorführte. Da begann er aufs neue noch viel lauter zu krähen.
Die Junghelferinnen waren eigentlich von Herzen froh, als Fräulein ihren Schreihals wieder in die Portierwohnung hinabspedierte, um gleichzeitig für ein trockenes Lager zu sorgen. Nun konnten sie wenigstens noch ungestört bis zum Heimgehen spielen.
Nesthäkchen erkundigte sich beim Gutenachtsagen angelegentlich, ob das Kleinkindergeplärr auch nicht zu anstrengend für Großmamas Nerven gewesen sei. Da konnte sich diese doch nicht enthalten zu fragen: »Sag’ mal, Herzchen, was hast du heute bloß immer für Angst um mich, das bin ich doch gar nicht von dir gewöhnt.«
»Na, Mutti hat doch geschrieben, ob ich auch gut für dich sorge, Großmuttchen,« kam ein wenig kleinlaut Nesthäkchens Antwort.
Ja, das Wort einer Mutter wirkt selbst auf eine Entfernung von London nach Berlin.
14. Kapitel
Streckt eure Vorräte!
Das große Kriegsjahr 1914 war vom Zeitenrad abgeschnurrt, und das junge Jahr 1915 nicht weniger kriegerisch und waffenklirrend in die Welt hineingestürmt. Millionen von deutschen Herzen schlugen ihm hoffnungsfreudig entgegen. Es würde die großen Siege des vergangenen Jahres vollenden und den ehrenvollen Frieden bringen – so hoffte ein jeder.
Und als ob das junge Jahr wüßte, was man von ihm erwartete, so schmetterte es schon im Februar dem deutschen Volke siegesfroh entgegen: »Fahnen heraus!« Hindenburg, der Retter der östlichen Grenzländer, hatte seine gewaltige, neuntägige Winterschlacht in Masuren geschlagen, für immer waren die Kosakenhorden aus Ostpreußen vertrieben.
Da wehte und wallte es farbenfreudig von den Häusern Berlins, da wogte es und bauschte sich siegesstolz im Winde. Schwarz-weiß-rot, schwarz-gelb und der türkische Halbmond, auch von dem Braunschen Balkon flatterten diese Fahnen. Jeder der drei Kinder flaggte in einer andern Farbe. Seitdem die Türken Deutschlands Bundesgenossen geworden waren, hatte Klaus für sich die Halbmondfahne erkoren. Annemarie in ihrer Vaterlandsliebe ließ nicht von schwarz-weiß-rot, so mußte Hans zu den Farben der österreichischen Bundesgenossen greifen.
Fahnen und schulfreie Tage – wie jubelte die ohnedies begeisterte Jugend jedem neuen Siege entgegen. Die Braunschen Kinder betrachteten dieselben von ganz verschiedenen Seiten. Der Obersekundaner hatte natürlich nur die militärischen Vorteile im Auge. Klaus, der Faulpelz, überlegte hauptsächlich, ob der Sieg wohl wichtig genug wäre, den Schulunterricht ausfallen zu lassen. Nesthäkchen aber hoffte von einem jeden, daß die Engländer sich dadurch leichter bereit finden würden, ihre Mutti nach Hause reisen zu lassen.
Bisher hatte Annemarie vergeblich gewartet. Wohl trafen Karten und Briefe jetzt ziemlich regelmäßig ein, aber nicht die Heißersehnte.
Heute kam Annemarie empört aus der Schule.
»Großmama,« rief sie schon von draußen, »ich habe geglaubt, das Gemeinste, was die Engländer tun können, ist, daß sie Mutti nicht fortlassen. Aber sie sind noch viel gemeiner – denke bloß mal, unser Direktor sagt, England will die deutschen Frauen und Kinder aushungern. Bloß weil es so wütend ist über unsere Unterseebooterfolge und über unsere Zeppeline. Aber Herr Direktor meint, das wird ihnen nie und nimmer gelingen, jeder einzelne von uns muß helfen, diesen schändlichen Plan zunichte zu machen. Von nun an esse ich nie mehr als zwei Stullen abends, wenn ich auch noch so verhungert bin. Und morgens möchte ich jetzt auch keine Buttersemmel mehr, sondern Marmeladenbrot. Es ist dringend nötig, daß wir unsere Vorräte strecken, sagt der Herr Direktor, und jedes vaterlandsliebende Schulkind muß Opfer bringen.« Ganz heiße Backen hatte sich Nesthäkchen geredet.
»Ei, Herzchen, so schlimm wird’s ja nicht gleich werden«, Großmama lächelte über Annemaries Eifer. »Ich glaube, du kannst dich noch ganz ruhig satt essen. Wir haben viel Getreide in Deutschland.«
»Wir kriegen im nächsten Monat Brotkarten, da kann es doch nicht so reichlich mit dem Brot sein«, fiel Klaus ein. »Unser Lehrer hat uns auch ans Herz gelegt, sparsam mit dem Getreideverbrauch umzugehen und unsern Gurt in der Magengegend etwas fester zu schnallen.«
»Ja, Hanne, dann wird wohl bei uns Schmalhans Küchenmeister werden«, meinte Großmama scherzend zu der Köchin. »Es wäre doch wohl gut, wenn wir uns beizeiten noch etwas verproviantieren. Vielleicht kaufen wir noch einen größeren Posten Hülsenfrüchte und Mehl«, überlegte die erfahrene Frau.
»Nee, Großmama, das darfst du nicht«, rief Annemarie wieder aufgeregt. »Wer die Vorräte aufkauft und hamstert, versündigt sich am Vaterland, hat Fräulein Drehmann gesagt.«
Großmama war ebenso praktisch wie vaterlandsliebend. Ihr Sprichwort war von jeher: Sorge in der Zeit, dann hast du in der Not. Sie konnte durchaus kein Unrecht darin sehen, wenn sie von jedem Ausgang ein Pfündchen Mehl, Reis oder Grütze heimbrachte. Was an ihr lag, sollten ihre Enkelkinder nicht Hunger leiden.
Die Jugend jedoch setzte plötzlich ihren vaterländischen Stolz darein, sich Entbehrungen aufzuerlegen. Hans kratzte sich abends die Butter, die Großmutterliebe ihm fett gestrichen, vom Brot und erklärte: »Fette sollen knapp werden,