Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


Скачать книгу

      Nun stand das neue Kindermädel, mit dem eisernen Haken bewaffnet, vor dem Herd, um den rotglühenden Bolzen aus dem Feuer zu heben. Ach, wenn Hanne doch hier gewesen wäre! Die hätte ihr sicher bei dem schwierigen Werk geholfen. Auguste rührte sich nicht von ihrem Spinat fort. Knapp, daß sie ihr die notwendigste Anweisung gegeben hatte.

      Denn Doktors Nesthäkchen, das sonst so kecke, hatte Angst. Richtige Angst vor dem glühenden Bolzen, an dem sie sich bestimmt verbrennen würde.

      »Nu haben Se sich doch nich asu, Anna!« Der Name Annemarie war der Köchin zu umständlich. »Der Bolzen beißt doch nicht. Feste zugepackt!« Auguste hatte schon eine ganze Weile die vergeblichen Bemühungen des Kindermädels beobachtet.

      Annemarie packte fest zu. Denn sie schämte sich heimlich vor Auguste ihrer Ungeschicklichkeit. Bauz – da lag der glühende Bolzen auf den Steinfliesen. Bei einem Haar wäre er Annemarie auf die Füße gepurzelt. Daneben das blanke Nickelplätteisen. Vor Schreck war es ebenfalls der Hand des jungen Mädchens entglitten.

      »Nu, su a Trampel! Reene nischte verstäht se!« schalt die Köchin und half nun endlich die Sache in Ordnung bringen. »Das Eisen hat eine Beule bekommen, lassen Se das erscht die Gnädige sähen.«

      Plätten ist eine schwierige Kunst für den, der es nicht kann. Das neue Kindermädel bügelte die Kinderhöschen mit einem Kraftaufwand, daß ihm die hellen Schweißtropfen auf der Stirn perlten. Aber anstatt daß die Falten herausgehen sollten, plättete es lauter neue Falten und Fältchen hinein. Kätherles Höschen wollten nicht glatt werden. Und was das schlimmste war, die schlohweiße Wäsche bekam eine bräunliche Färbung. Denn das Plätteisen war so niederträchtig, auch noch zu sengen. Eine halbe Stunde plättete Annemarie schon an den Höschen herum. Vor dem Kellerfenster des Wirtschaftsraums, das in den Garten hinausging, hockten die drei Pflegebefohlenen und lugten, ob ihr neues Kindermädchen denn immer noch nicht zum Spazierengehen bereit sei. Die Mutter hatte ihre drei schon selbst fertig gemacht, damit sie nur fortkommen sollten.

      Aber das neue Kindermädel erschien nicht. Frau Doktor klingelte.

      Annemarie plättete ruhig weiter auf ihre Kinderhosen los. Sie ahnte gar nicht, daß das Läuten ihr gelten könnte.

      Das Klingeln wurde stärker. Es wurde Sturm.

      »Nu, wollen Se denn nich gefälligst zur Gnädigen ruff gähen,« rief Auguste unwirsch aus der Küche. »Der Radau ist ja schon reene nich mähr auszuhalten.«

      Erschreckt ließ Annemarie ihre Höschen im Stich und jagte die Treppe zu den Wohnräumen hinauf.

      »Aber Annemarie, sind Sie denn noch nicht mit dem einen Paar Hosen fertig? Die Kinder müssen spazieren gehen.« Frau Doktor schien sehr wenig erbaut von ihrer neuen Perle.

      »Ja, fertig könnte ich schon längst sein, aber – sie sind nicht sehr schön geworden. Ich hab’s immer wieder von neuem probiert,« gab Annemarie mit der ihr eigenen Ehrlichkeit zu.

      »Sie haben noch keine Übung darin, Kind, Sie werden es schon lernen,« begütigte die gnädige Frau. »Nun aber rasch – rasch – daß ihr fortkommt.«

      Kätherle wurde in den weißen Sportwagen gesetzt.

      »Einen Augenblick noch – ich möchte nur die Schürze abbinden und den Hut aufsetzen.« Das junge Mädchen wollte noch einmal zurück ins Haus.

      »Aber, Annemarie, unsere Kindermädel sind immer mit Schürze und Häubchen gegangen. Netter kann doch ein Kindermädel gar nicht aussehen,« sagte Frau Doktor in bestimmtem Ton. Hatte sie da etwa ein putzsüchtiges Ding ins Haus bekommen?

      »Hahaha – die Annemarie will einen Hut aufsetzen wie eine Dame!« lachte Rudi sie aus.

      »Wie eine Dame!« echote Edith sofort. Und selbst Kätherle stimmte in das Lachen der Großen ein.

      »Wollt ihr wohl artig sein, ihr naseweise kleine Gesellschaft,« schalt die Mutter lächelnd. »So, nun geht mit Gott. Zeigt der Annemarie den Stadtpark und das Eichenwäldchen, in dem ihr immer seid. Um Viertel eins müssen Sie zum Tischdecken zurück sein, Annemarie. Sie hören um zwölf die Fabriken pfeifen.«

      Das neue Kindermädel zog mit seiner Karawane los. Den Kinderwagen mit Kätherle vor sich, Edith an dem einen Arm eingehängt, Rudi am andern, so ging es durch die Straßen von Sagan. Bald waren sie gut Freund alle miteinander. Die kleine Verstimmung, daß sie mit dem Häubchen gehen mußte, hatte Annemarie schnell überwunden. Wenn sie nur nicht Reisegefährten von gestern traf! Das Backfischchen wagte die Augen nicht zu heben.

      Im Eichenwäldchen wurde »geballt«. So nannten die schlesischen Kinder das Ballspiel. Annemarie war ein fröhliches Kind mit den anderen Kindern. Es tat ihr fast am meisten leid, als der schrille Mittagspfiff von verschiedenen Fabriken die Luft durchschnitt.

      »Brauchen wir denn eine Viertelstunde bis nach Haus?« erkundigte sie sich bei Rudi.

      »A bissel können wir halt noch bleiben. Die Muttel sagt immer a bissel eher, als der Vatel kommt.« Rudi machte das Spiel mit Annemarie heute auch Vergnügen.

      Aber aus dem »bissel« wurde eine Viertelstunde und noch eine. Denn Pünktlichkeit war niemals die stärkste Seite von Doktors Nesthäkchen gewesen. Als Annemarie mit ihren Pflichtbefohlenen endlich den Marktplatz erreichte, war es bereits halb eins geworden. Nun aber im Trab die Parkstraße hinunter. Puterrot kam sie sowohl wie die Kinder zu Hause an. Frau Doktor stand ausschauend vor dem Gartentor.

      »Aber Annemarie, wie unvernünftig! Der Spaziergang soll eine Erholung für die Kinder sein. Und nun sind sie bei der Mittagshitze wie aus dem Wasser. Sie müssen sie erst umkleiden und waschen. Den Tisch hat Auguste bereits gedeckt. Morgen aber bitte ich mir aus, daß ihr pünktlich zur festgesetzten Zeit zu Hause seid. Ihr wißt doch, Kinder, wie ärgerlich Vater ist, wenn er aus der Praxis nach Hause kommt, und es kann nicht gleich gegessen werden.« Frau Doktor mochte die Neue nicht bereits am ersten Tage mit ihren Vorwürfen einschüchtern. Darum wandte sie sich an die Kinder. Aber sie war unzufrieden. Die Neue schien nicht zuverlässig zu sein.

      Annemarie hatte zu Hause öfters mal einen Tadel wegen Unpünktlichkeit bekommen. Aber den hatte sie abgeschüttelt wie ein Pudel das Wasser. Hier bei Fremden war das anders. Da machte der Tadel Eindruck und kränkte. Morgen wollte sie aber bestimmt pünktlich daheim sein.

      Endlich konnten die Kinder sauber gewaschen bei Tisch erscheinen. Der Hausherr wies strafend auf die Kuckucksuhr. Gerade steckte der Kuckuck einmal den Kopf heraus. Sonst wurde um halb eins bei Doktor Langes gespeist.

      »Es war halt so schön mit der neuen Annemarie, Vatel,« entschuldigte sich Rudi als Ältester. »Sie versteht so fein zu ballen. Und Latein versteht sie auch.«

      »Was – Latein versteht sie?« Wie aus einem Munde fragten es die Eltern.

      »Ja, ich soll doch immer jeden Tag eine Seite aus meiner lateinischen Grammatik wiederholen, weil ich nur genügend in Latein hatte. Da hat die neue Annemarie mich abgehört und mir verschiedenes verbessert. Nicht wahr, Annemarie, Sie können doch Latein?« wandte er sich an das die Suppe auftragende Mädchen.

      Das hätte vor Verlegenheit fast die Suppenterrine zu Boden fallen lassen.

      »Aber nein – nein, Rudi,« wehrte Annemarie ab. »Zu Hause waren auch Jungen, denen ich öfters ihre Lektion abhören mußte,« wandte sie sich, bis an das weiße Tollhäubchen rot, erklärend an die gnädige Frau. Dabei achtete sie nicht auf die Suppenteller, die sie herumreichen sollte. Schwapp – da hatte der Herr Doktor seine Suppe zwischen Kragen und Nacken.

      »Himmelmohrenelement!« Wütend sprang er auf. Und das konnte man ihm nicht verdenken. Denn es ist nicht sehr angenehm bei einer Julihitze von sechsundzwanzig Grad Celsius, heiße Suppe den Rücken lang laufen zu fühlen. Wieder wurde die Tischzeit verschoben, denn Herr Doktor mußte sich umziehen.

      Annemarie wollte nach ihrem Meisterstück möglichst schnell wieder entwischen. Da aber sagte die gnädige Frau: »Sie müssen das Kätherle füttern, Annemarie. Die Kleine kann noch nicht allein suppen. Aber seien Sie jetzt vorsichtig, daß nicht wieder was passiert.«