Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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      »Der Portier, der eklige Kulicke, hat den Leierkastenmann sicher vom Hof gejagt – solche Ruppigkeit!« schalt Doktors Nesthäkchen erhitzt. »Aber das schadet nichts, wir können auch ohne Musik tanzen, ich singe dazu, Minna.«

      »Aber Fräulein Annemarie, ich habe doch keine Zeit. Ich muß noch die ganze Rollwäsche plätten.« Das Mädchen eilte davon.

      »Dann muß Hanne ran.« Annemaries Tanzwut war jetzt entzündet. »Hanne, können Sie Jas tanzen?«

      »Jas? Du bist woll nicht recht bei Troste, Annemiechen! Mit’n Jas habe ich jetzt alle Tage ’n Tanz während der Sperrstunden, wenn es nich brennen will – – –« Hanne sah wütend wie eine Bulldogge drein.

      Das half ihr alles nichts. Schon hatte Annemarie die dicke Küchenfee rund um die umfangreiche Taille gepackt, die frischen Lippen pfiffen kunstgerecht die Melodie, und auf und nieder ging es mit der Widerstrebenden. Puck, munter bellend, hinterher.

      »Sehen Sie, das ist der neue Tanz Jas, Hanne – den muß jede junge Maid unter fünfzig Jahren können.«

      »Quatsch mit die modernen Tänze! Du bist und bleibst ’ne richt’ge Jöre, Annemiechen, trotzdem de nu schon bald an die siebzehn bist. Schämste dir denn jar nich vor Minna, wie soll die denn den notwendigen Respekt vor dich als Fräulein haben?« So schalt Hanne. Zur Strafe wirbelte Annemarie sie jetzt im Galopp herum. »Der Tanz wird Ihnen doch altmodisch genug sein, Hanne!« Damit ließ sie die schwer Japsende los.

      »Jeh lieber zu deine Bücher,« fauchte Hanne atemlos.

      »Ist das der Ernst, den du zu deiner Arbeit notwendig hast?« erklang es da auch aus dem Nebenzimmer vorwurfsvoll. Die Mutter war von dem Lärm aus ihrer Ruhe aufgescheucht worden.

      Annemarie schlich betroffen zu ihrem Schreibtisch zurück, Puck in seinen Korb. Wer konnte denn was dafür, wenn plötzlich ein Leierkasten alle guten Vorsätze über den Haufen warf! Annemarie vertiefte sich wieder in ihren französischen Aufsatz. Aber sie konnte es doch nicht hindern, daß ab und zu das Schwarzwaldmädel zwischen den Mauern von Jerusalem hervorlugte.

      Sieben Schläge dröhnten von der großen Standuhr durch die Wohnung. Klapp – erleichtert schlug Annemarie ihre Bücher zu. Nun war es Zeit zum Anziehen. Heute mußte sie sich besonders fein machen. Großmama und Bruder Hans, der dieses Semester in Berlin studierte, hatten versprochen, zum Zusehen in die Tanzstunde zu kommen.

      »Na, ist unsere Balldame fertig?« Doktor Braun, der bereits am Abendbrottisch saß, musterte sein hübsches Töchterchen in stolzer Vaterfreude.

      »Ja – Klaus nölt natürlich noch. Der läuft ’ne ganze Stunde mit der Schnurrbartbinde herum und denkt, seine niedliche Anpflanzung wird dadurch wachsen. Ich wollte ihm schon an der halben Mandel Schnurrbarthärchen ein Schild mit ›Schonung‹ anmachen – – –«

      »Frechdachs!« unterbrach der eintretende Bruder das Wortgesprudel. »Zur Strafe tanze ich heute kein einziges Mal mit dir – – –«

      »O Gott, das wirst du mir nicht antun, Kläuschen. Dann muß ich ja den ganzen Abend über Mauerblümchen spielen und die Wand schmücken,« lachte der Kobold.

      »Verdienen würdest du’s!« Klaus sah in seinem dunkelblauen Jackettanzug, den Taschentuchzipfel keck aus der linken Brusttasche, nicht weniger schmuck aus als sein hübsches Schwesterchen. Seit Oktober war er Student auf der landwirtschaftlichen Hochschule.

      »Was, Klaus, jetzt willst du erst noch essen? Es ist ja schon in fünf Minuten acht. Und ich bin zum ersten One-step bereits von Richter aufgefordert!« drängte Annemarie.

      »Dann muß sich der Ärmste gedulden. Meine Käsestulle ist mir wichtiger.«

      »Lotte, du ißt auch noch etwas, ohne Abendbrot gehst du nicht fort,« erklärte der Vater.

      »Ich kann wirklich nicht, Vatchen, ich bin ganz schrecklich satt.«

      »Ballfieber nennt man das bei uns zu Lande,« lachte Hans, ihr Bester, sie aus. »Komm, Kleinchen, ich füttere dich.«

      »Lotte, vergiß nicht eine saubere Frisierjacke über das Kleid zu ziehen. Der Mantel ist dunkel gefüttert und kann abfärben. Und Überschuhe bei dem Wetter!« Die Mutter kannte ihr leichtsinniges Mädel, das am liebsten, so wie es war, auf und davon gelaufen wäre.

      »Margot ist schon weg – ich habe eben die Tür klappen hören. Wir kommen natürlich immer zu spät.«

      Minna zog ihr einen Überschuh an, Hanne den anderen. Hans schob ihr inzwischen die Abendbrotbissen in den Mund. Es war eine Aufregung für das ganze Haus, wenn Tanzstunde war.

      »Ich kann ja nicht mehr atmen, Mutti,« wehrte sich das Backfischchen, als die Mutter ihr vorsorglich noch den Kopfschal um den Hals wickelte.

      »Auf Wiedersehen« – »auf Wiedersehen« – »erhitze dich nicht zu sehr, mein Mädel« – – – da war das Braunsche Kleeblatt bereits aus der Tür und die Treppe hinab.

      »So, nun ist Ruhe im Lande.« Die Eltern atmeten unwillkürlich auf.

      »Puh – ist das ein Wetter!« Annemarie schauerte in dem Regengepladder zusammen.

      »Wollen wir umkehren?« neckte Hans.

      »Jawoll ja – sagt Olja!« übermütig ärmelte Annemarie den einen Bruder links, den anderen rechts unter und nun frisch drauflos.

      Die Tanzstunde fand in einem Gesellschaftssaal statt. Eine liebenswürdige junge Dame, Fräulein Steinert, für welche alle Backfische schwärmten, und alle Jünglinge entbrannt waren, gab den Unterricht.

      Wohlig und warm empfing die drei Durchnäßten das erleuchtete Vestibül. An der Garderobe drängten sich noch einige Verspätete. Aus dem Saal klang bereits Tanzmusik.

      »Flink – flink – es hat schon angefangen.« Annemarie riß Kopftuch und Mantel ab. Da erschien auch schon ihr Kavalier.

      »Warum kommt ihr denn so spät – wir sollen heute Boston lernen – flink, Annemarie.« Er zog seine Tänzerin in den Saal. Dort hüpften beim strahlenden Schein der Glühbirnen die weißen, rosa und mattblauen Backfische mit ihren Herren, von denen die meisten noch Kniehosen trugen, auf und nieder. An den Wänden aber saßen die verschiedenen Mütter und Tanten, mit Lorgnetten bewaffnet, und zählten eifrig, ob ihre Tochter und Nichte auch nicht weniger tanzte als eine Freundin. Mitten unter ihnen erblickte Annemarie Großmamas liebes Gesicht.

      Musik, Lichterglanz, heiße Mädchenwangen, wehende Haare – dazwischen Fräulein Steinerts Kommandostimme. Annemarie schwamm in einem Meer von Glückseligkeit. Sie nickte zwischen einer langsamen Schleiftour Großmama strahlend zu. Aber was war denn das? Großmama nickte ja gar nicht so freundlich wieder wie sonst. In peinlicher Verlegenheit winkte sie der Enkelin. Und die andern Damen? Die hatten ja alle ihre Lorgnettengläser auf ihre Füße gerichtet. Was gab es denn da bloß zu starren? Annemarie schielte an Richters Hosenbein vorbei auf ihre Füße. Gerechter Strohsack – sie hatte ihre Überschuhe anbehalten. Zwischen all den leuchtenden Goldkäfer-und Lackschuhchen sprangen die schmutzbedeckten Ungeheuer wie plumpe Riesen unter einer graziösen Elfenschar herum. Es war ihr doch gleich ein so merkwürdiges Gefühl an den Füßen gewesen. Aber deshalb mitten im Tanz aufhören – so dumm! Zu den Schleiftouren des One-step eigneten sich die Gummischuhe gar nicht schlecht. Und die Lorgnetten rings im Kreise störten Annemarie kaum in ihrem Vergnügen. Wenn die ihre elegante Fußbekleidung genug in Augenschein genommen, würden sie schon wieder wo anders hinsehen.

      Da packte sie mitten in der Humpeltour des One-step das Verderben. Eine Hand, die zu Bruder Hans gehörte, legte sich auf ihren Arm und hielt sie fest.

      »Du, Annemie, du sollst sofort aufhören zu tanzen, läßt dir Großmama sagen. Sie schämt sich für dich die Augen aus dem Kopf vor all den fremden Damen. Du sollst dir deine Elefantentreter ausziehen und den fliegenden Holländer, den du da um die Schulter geschlagen hast,« entledigte er sich, lachend auf die merkwürdige Balltoilette der Schwester weisend, seines Auftrages.

      »Was soll ich, Hans?« Annemarie