konnte auch nur ein Zimmer heizen. Und auch das nur noch für wenige Tage.
Annemarie hatte weder Lust zur Arbeit, noch zur Unterhaltung. Das war nun eine ganz besondere Merkwürdigkeit bei der lebhaften Enkelin, deren munteres Wesen sonst Großmama eine Erquickung war.
»Kind, bist du auch gesund – ist dir auch nichts? Kein Gliederbrechen, kein Frösteln?« so forschte die alte Dame mit der ängstlichen Besorgnis der Großmütter so und so oft des Tages.
Dann lachte Annemarie wohl ihr altes, frisches Lachen. Aber nicht lange, so war sie wieder still und in sich gekehrt. Wenn sie nur bei Mutti hätte sein dürfen! Frau Doktor Braun war zart und anfällig, seitdem sie während des ersten Kriegsjahres in England interniert gewesen war. Nicht ohne Grund sorgte sich das junge Mädchen, daß der schwächliche Gesundheitszustand der Mutter die Grippe nicht überstehen würde. Jeden Morgen schlich sie sich nach Haus über den Hof zur Küche hinein.
»Hanne, wie geht’s Mutti?« Wie bang die blauen Augen dreinsahen.
»Jut, janz jut, Kind – ich koch ihr eben ein Taubensüppchen. Aber mach, daß du wechkommst, Kind, wenn dich unser Herr Doktor hier erwischt, setzt es ein Donnerwetter.«
Bums – schlug die Tür zu und sperrte Annemarie mit all ihrem Bangen und den tausend Fragen, die ihr nach der Mutter noch auf der Seele brannten, einfach aus. Da stand sie vor der verschlossenen Tür ungefähr mit denselben Empfindungen, wie Puck an der Krankenstube, in die er nicht durfte.
Bei Thielens drüben war die Gefahr vorübergegangen. Das war wenigstens ein Lichtblick. Margot war fieberfrei, mußte aber noch lange das Bett hüten, da die Lunge etwas angegriffen war. Annemarie schrieb ihr zärtliche Briefe, um sie zu erfreuen und ihr Gewissen ihr gegenüber zu entlasten.
»Morgen müssen wir im Bett bleiben, Annemiechen,« eröffnete Großmama eines Tages der verwunderten Enkelin.
»Nanu – hat sich die verflixte Grippe etwa hier bei dir auch angesagt?«
»Behüte – aber wir haben heute die letzten Kohlen in den Ofen gelegt. Von Tag zu Tag hat mich der Kohlenlieferant vertröstet, aber er bekommt keine Ware herein. Frieren kann ich nicht, dazu bin ich schon zu alt; folglich bleiben wir im Bett.« Es war Großmama vollständig ernst mit ihrer Absicht.
»Aber ich doch nicht etwa auch, Großmuttchen? Ich lege einfach meine Eskimouniform wieder an. Ich bin Grönlandtemperatur schon gewöhnt,« erhob Annemarie lebhaft Einspruch.
Den ganzen Tag verfolgte sie der Gedanke, daß die arme Großmama von morgen ab frieren sollte. Die alte Dame saß selbst im geheizten Zimmer noch mit dem gehäkelten Seelenwärmer. Wie fing man es nur an, Kohlen für sie zu erhalten?
Als Annemarie abends aus dem Gymnasium mit kältegeröteten Wangen zur Großmama heimkehrte, hatte dort ein zweiter Gast seinen Einzug gehalten: Tante Albertinchen mit Nachtjacke, Zahnbürste und Lockenwickler, mit Sack und Pack.
»Tante Albertinchen, du wagst dich bei achtzehn Grad Kälte aus deinem warmen Stübchen heraus? Du bist doch sonst nicht so unternehmungslustig,« machte das Backfischchen seiner Überraschung Luft.
»Ja, Kind, wenn ich ein warmes Stübchen gehabt hätte, kriegten mich keine zehn Pferde heraus. Aber ich friere schon seit drei Tagen, ich habe das Reißen in allen Knochen.« Ganz betrübt hingen Tante Albertinchens Pudellöckchen herunter, die sonst so lustig zu wackeln pflegten. »Und weil ich weiß, daß Großmama ein leeres Bett für mich hat, habe ich mich zu der Übersiedelung hierher entschlossen. Ich ahnte ja nicht, daß das Bett schon besetzt sei, und daß es hier ebenso hundekalt ist wie bei mir.«
»Hundekalt – aber Tante Albertinchen, heute ist doch noch geheizt. Es ist doch ganz mollig hier.«
»Ja, aber morgen! Morgen werde ich hier genau so erstarrt sein wie zu Hause. Ach, wer mir das in meiner Jugend gesagt hätte, daß ich mal im Alter so frieren muß!«
Tante Albertinchens Kummer tat Annemaries liebevollem Herzen ganz schrecklich leid. Als sie nachts auf dem Sofa lag, denn das Bett hatte sie natürlich dem alten Tantchen mit den sorgsam aufgewickelten Locken abgetreten, zerbrach sich Annemarie den Kopf, woher sie wohl Kohlen für die beiden alten Damen auftreiben konnte. Bis in die Träume hinein verfolgte diese Unruhe die junge Schläferin. Aufgeregt warf sie sich auf dem ungewohnten Lager hin und her.
Bums – ein lauter Knall – Klirren – erschreckte Ausrufe.
»Barmherziger – sind das Einbrecher?« Tante Albertinchen flüsterte es angsterfüllt. Sämtliche aufgewickelte Locken sträubten sich vor Entsetzen.
Auch Großmamas Herz hämmerte vor Schreck. »Kind, Annemiechen, was ist denn bloß passiert?« Mit zitternden Händen schaltete sie das elektrische Licht ein.
Da saß Doktors Nesthäkchen im Nachthemd unten auf der Erde zwischen Sofa und Tisch und lachte – – – lachte – – Mundspülglas und Wasserkaraffe, die sie im Fallen mit vom Tisch heruntergerissen hatte, lagen in Scherben um sie herum.
»Was passiert ist, Großmuttchen? Ich habe geträumt, daß ich Kohlen für dich geholt habe. Eine ganze Kiepe voll. Aber plötzlich kam eine Elektrische, und ich wollte schnell auf die andere Seite, um nicht überfahren zu werden und da – da habe ich eine kleine Rutschpartie gemacht. Ach, ist das komisch – ist das ulkig – – –« Nesthäkchen hielt sich die Seiten vor Lachen.
»Also keine Einbrecher – Gott sei dank!« Tante Albertinchen beruhigte sich wieder.
Bei Großmama ging das nicht so schnell. »Hast du dich auch nicht verletzt, Annemiechen? Ist auch bestimmt nichts gebrochen?«
»Doch – Karaffe und Mundspülglas,« gab Annemarie, vollständig munter geworden, übermütig zur Antwort. »Aber bei der Rutschpartie habe ich sämtliche Kohlen, die ich für dich aufgetrieben hatte, wieder verloren – so ’ne Gemeinheit!« Annemarie kroch zurück ins Bett. Doch so rasch schlief sie nicht wieder ein. Fauchen und Pusten kam alsbald von Tante Albertinchens Lager her, und auch aus der anderen Ecke, in der Großmama schlief, pfiff es melodisch. Das war ja ein nettes Schnarchduett! Annemarie kam nicht zur Ruhe. Der Gedanke verfolgte sie: Wo hatte sie die Kohlen, die sie so deutlich im Traum besessen, bloß herbekommen?
Ach, am nächsten Morgen war keine einzige Kohle mehr in Großmamas Hause. Die beiden alten Damen ließen sich den Kaffee ins Bett bringen, denn draußen war es ungemütlich kalt. Das Thermometer zeigte über zwanzig Grad Kälte an.
»Ei, Annemiechen, solche Nachtwanderung mache nicht wieder. Du hast mir einen schönen Schreck dadurch eingejagt. Ich konnte gar nicht wieder einschlafen,« ließ sich Großmama gähnend vernehmen.
»Aber Großmuttchen, du hast doch wie ein Dompfaff gepfiffen. Ein wunderschönes Schnarchkonzert hast du im Verein mit Tante Albertinchen zum besten gegeben,« rief die Enkelin lachend.
»Das muß Tante Albertinchen gewesen sein – ich war bis zur Morgendämmerung munter.«
Tante Albertinchen aber behauptete, die ganze Nacht kein Auge zugemacht zu haben – sie könne nun mal nur in ihrem eigenen Bette schlafen.
»Na, dann muß ich selbst so doll geschnarcht haben, trotzdem ich ganz allein munter gewesen bin.« Das Backfischchen amüsierte sich gottvoll. »Ich will mal sehen, ob bei Burkhards die Zentralheizung schon wieder in Betrieb ist. Dann wärme ich mich dort auf und arbeite mit Vera zusammen.« Annemarie stülpte die Pelzmütze auf das Blondhaar.
»Kind, du hättest ebenfalls lieber im warmen Bett bleiben sollen. Das heißt Gott versuchen, bei solcher Kälte fortzugehen,« wandte Großmama ein.
»Überhaupt wo die Grippe jetzt so verbreitet ist. Man hat was weg, ehe man’s denkt,« stimmte Tante Albertinchen ein.
Aber das Backfischchen lachte alle Bedenken der alten Damen fort. Was – am hellichten Tage sollte sie sich ins Bett legen, wo sie kerngesund war – nee, das war nichts für Doktors Nesthäkchen, überhaupt man fror nur zu Hause, wenn man hinter dem Ofen hockte. Im Freien trieb einem die Kälte das Blut rascher durch die Adern, da wurde einem ganz warm. So behauptete Fräulein Grünschnabel,