es freudig. War es darum, daß Rudolf Hartenstein neben seiner Cousine sitzen mußte? Aber nein, die Aufführung wäre auch möglich gewesen, wenn sie an verschiedenen Tischen Platz genommen hätten. Er hatte sie eben gern. Das war ja auch kein Wunder. Denn Anneliese Bergholz sah wie die verkörperte Anmut beim Tanzen und Singen aus. Begeistert fielen die Musentöchter und Musensöhne sämtlich in den in schwäbischer Mundart gehaltenen Refrain ein:
»Gar schön i’scht die Rose, i liab sie halt sehr,
Doch’s Mädle, das ros’ge, das liab i halt noch mehr.«
Neumann begann wieder elegische Karpfenaugen zu machen, die Viehmuse mit Bierstimme laut mitzubrüllen. Beim zweiten Versrefrain ordneten sich die Paare; überall auf dem kleinsten, engsten Rasen tanzte man die Menuettschritte mit.
Annemarie fuhr sogar zweispännig. Weder Neumann noch Krabbe mochten zurückstehen. Keiner gönnte sie dem anderen.
Und da man nun gerade beim Tanzen war, wurde auch nach Beendigung der allerliebsten kleinen Aufführung, die den beiden dankbaren Beifall eintrug, trotz des warmen Sommernachmittags weiter getanzt. Im Gartensaal, auf dem Rasen, drunten am Neckar, wo man gerade ging und stand, begann man sich zu drehen. Mit jener ungezwungenen Fröhlichkeit, wie sie beim Rosenfest im Bergholzschen Garten stadtbekannt war.
Rudolf Hartenstein wandte sich, nachdem er seinem schönen Cousinchen die letzte Verbeugung gemacht, sofort suchend nach Annemarie. Der nächste Tanz gehörte ihr. Er mußte sein Vergehen gleich gutmachen.
Aber merkwürdig – an die blonde Schöne war nicht heranzukommen. Bald wirbelte sie mit diesem davon, bald mit jenem. Immer gerade in dem Augenblick, in dem Rudolf sich vor ihr verneigen wollte. Und dabei sah die Annemarie so mutwillig und durchtrieben aus, als hätte sie ihre helle Freude daran, ihn abzublitzen. Als läge ihr gar nichts daran, sich von seinem Arm umschlungen im Tanze zu wiegen. Man tanzte Onestep und Boston, man foxtrottete und wiegte sich dazwischen wieder in einem alten ehrlichen Walzer aus der guten alten Zeit. Wangen glühten, Löckchen lösten sich. Man promenierte zu zweien in den Laubengängen. Man schwelgte in Erdbeeren mit Schlagsahne. Die Stimmung war famos. Professor Bergholz hatte seine helle Freude an all den jungen frohen Menschen, mit denen er sich sonst nur durch gemeinsame Arbeit verbunden fühlte. Er neckte die Schönen, und besonders auf Annemarie Braun, die in übermütiger Keckheit jeden scherzhaften Hieb parierte, hatte er es abgesehen. Seine Nichte Ola, die mit der Cousine Anneliese zusammen als guter häuslicher Geist über dem Ganzen schwebte, fühlte sich ebenfalls zu dem munteren blonden Mädel hingezogen. Auch Annemarie empfand besondere Sympathien für Rudolf Hartensteins Schwester. Vor der Tochter des Hauses, der allgemein gefeierten, aber hegte sie eine merkwürdige Scheu.
Die Sonne neigte sich. Purpurrosen erblühten jetzt auch am lichtgrünen Abendhimmel. Da ließ der Festredner, ein älteres Semester, die Fanfare erklingen. Er verkündete, daß man jetzt den Tanz unterbrechen und zur Abkühlung eine kleine Neckarfahrt machen wolle. Boote lägen bereit.
Die Pärchen fanden sich. Neumann und Krabbe hatten sich wie Polizisten neben Nesthäkchen postiert.
»Kommt, wir fahre alle drei z’samme«, sagte Neumann schließlich, als er einsah, daß keiner dem andern weichen würde.
Da verneigte sich ein kaffeebrauner Leibrock vor Annemarie.
»Darf ich um die Ehre bitten, gnädiges Fräulein?«
»Wir g’höre scho’ z’samme«, wies ihn die Viehmuse deutlich ab.
Annemarie durchzuckte es. Jetzt den Arm von Neumann und Krabbe nehmen und an ihm vorüberschreiten. Dann hatte sie ihre Revanche. Sie hob das Auge mit spöttischem Blick. Da begegnete es einem so bittenden der grauen Augen, daß der Spott plötzlich in den blauen Mädchenaugen erlosch. Ihr Blick wurde weich, und ohne sich von ihrem Tun Rechenschaft zu geben, tat sie gerade das Gegenteil von dem, was sie soeben noch beabsichtigt hatte. Sie, die ungern den Arm eines Kavaliers annahm, legte jetzt von selbst den ihrigen in den kaffeebraunen des jungen Mediziners und ließ sich von ihm zur Bootsstelle hinabführen. Kein Gedanke an die zurückgebliebenen Freunde, die ihr empört folgten.
Schifflein auf Schifflein, rosenumkränzt, singende, lachende, sich übermütig bespritzende und kreischende Jugend darin. Annemarie sah nicht das unter hängendem Ufergebüsch versteckte Boot ihrer nicht geladenen Freunde, die sich ihr vergeblich bemerkbar zu machen suchten. Sie sah nicht, daß Krabbe und Neumann, die mit ihrem Nachen Nesthäkchens Entführer folgen wollten, erst heimlich eingesteckte Kräpfle und Tortenstücke in das Boot der Zaungäste verstauen mußten. Als sie damit fertig waren, war das Schifflein mit dem Biedermeierpärchen bereits ihren Blicken entschwunden. Mit ein paar kräftigen Ruderschlägen hatte Dr. Hartenstein sein Boot aus dem Gewühl herausbugsiert und war in einen weidenumbuschten Seitenarm des Neckars eingebogen.
Still wurde es um die zwei. Nur die Ruder plätscherten leis in den goldiggrünen Wassern. Keiner sprach. Annemarie war es zumute, als ob Rudolf Hartenstein mit ihr geradeswegs in die goldene Sonnenflut fahre.
Da zog er die Ruder ein und ließ den Nachen von der Strömung langsam weitertreiben. Seine Hand griff nach der schmalen Mädchenhand, die lässig auf dem Bootrande ruhte. Er neigte sich und drückte die Lippen darauf.
»Ich danke Ihnen, daß Sie mit mir gefahren sind, Fräulein Annemarie«, sagte er warm.
Kein Wort der Erwiderung fand des Doktors sonst so keckes Nesthäkchen. Stumm blickte es auf die Hand, die heute zum erstenmal im Leben geküßt worden war.
Nur der graue Haspelturm, der durch die Silberweiden lugte, hatte den Handkuß mit angesehen. Und der erzählte es nicht weiter.
8. Kapitel
Im Dreimäderlhaus
Lange sprach man in Tübingen noch von dem Rosenfest. Besonders im Dreimäderlhaus mußte alles haarklein berichtet werden. Annemarie tat das auch nur zu gern. Wie man bei der märchenhaften Beleuchtung von farbigen Lampions an langen Gartentafeln bei der Erdbeerbowle gesessen und Studenten-und Volkslieder ins schlafende Neckartal hinaus gesungen hatte. Wie dann umfangreiche Biertonnen unter lautem Hurra herangerollt wurden und der Kommers begann. Getanzt hatte man, Bierjungen getrunken und Semester gerieben. Auch den Damen waren Kneipnamen beigelegt worden. Sicher war die Viehmuse daran schuld, daß man sie mit einemmal allgemein »Nesthäkchen« rief. Bloß um sie zu ärgern, weil Annemarie die Kahnfahrt mit Dr. Hartenstein der Gesellschaft Krabbes und Neumanns vorgezogen hatte.
»Was sagt ihr denn nur dazu, Kinder, daß ich meinen Würzburger Kavalier hier wiedergefunden habe? Und Fräulein Hartenstein dazu, nach der ich mir die Augen blind gesucht hab’! Wir wollen jetzt öfter zusammen sein – sie wird euch gefallen.«
Annemarie wurde noch lebhafter als gewöhnlich.
»Ich habe gehört, die Cousine Anneliese Bergholz soll viel hübscher sein«, warf Marlene ein.
»Mir gefällt Ola Hartenstein besser.«
»Sie sieht wohl wie ihr Bruder aus?« fragte neckend Ilse.
»Nee, ganz und gar nicht!« – Peinlich, daß man manchmal rot wird und immer in den ungeeignetsten Momenten.
»Denkt mal, die ganze Mondscheinnacht haben wir durchgekneipt«, gab Annemarie dem Gespräch rasch eine andere Wendung. »Der Sonnenaufgang war bezaubernd schön. Bergholz hat vorgezogen, ihn von seinem Bett aus zu genießen. Er drückte sich englisch. Aber viel geschlafen wird er wohl kaum bei dem Radau haben. Denn die ausgelassene Gesellschaft ließ sich nicht im geringsten stören. Mit dem Milchjungen zugleich kam ich erst heim. Herr Nepomuk ging gerade auf Arbeit. Eigentlich eine Schande!«
»Wenn ich dabei gewesen wäre, hättest du nicht die ganze Nacht durchkneipen dürfen wie ein Student, Annemie. Dann wären wir zu anständiger Bürgerstunde nach Hause gekommen«, scherzte Marlene.
»Sicher, Pensionstuntchen. Gut, daß du nicht da warst. Übrigens, Rudolf Hartenstein wollte euch