Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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durch Zusammenraffen der vier Ecken gefertigt war, und öffnete ihn mit verheißungsvoller Miene.

      »Mmm –«, machte Ilse begehrlich und leckte sich mit flinkem Züngelchen die Lippen. »Hast du das alles gemaust, Annemie?«

      »Nee, ich klaue immer nur bescheiden. Ich hatte mir für jede von euch ein Praliné und ein Stück Konfekt eingepackt. Aber Dr. Hartenstein füllte ihn trotz meines übrigens nicht allzu energischen Widerspruchs mit allem Guten, was noch zu haben war. Er fand, das sei noch viel zuwenig für euch, arme Daheimgebliebene.«

      »Scheint wirklich ein netter Mensch zu sein, der Dr. Hartenstein«, meinte Ilse anerkennend und ließ es sich schmecken.

      »Krabbe und Neumann waren nicht sehr begeistert von ihm. Arrogant fanden sie ihn«, berichtete Marlene, Ilses Beispiel folgend. »Du hättest dich viel zuviel mit ihm abgegeben.«

      »Eifersüchtig sind sie, die dummen Jungs – ganz einfach! Wie können die jungen Füchse sich überhaupt erdreisten, ein älteres Semester so unverschämt zu kritisieren«, begehrte Nesthäkchen auf. »Und ich für mein Teil werde mir das ganz energisch verbitten, daß sie sich in meine Angelegenheiten hineinmischen.« Ganz heiß redete sie sich.

      »Ach, bausch’ die Sache doch bloß nicht auf«, begütigte Marlene. »Sie meinen es doch nicht bös’. Unser Schwäbischer Wanderbund war bisher so harmonisch, daß wir keinen Mißklang hineinbringen wollen.«

      »Gleich werden sie übrigens hier sein, unsere Schwaben, um uns zum Sonntagsspaziergang abzuholen. Es schlägt schon vier.« Ilse biß mit kräftigen Zähnen auf eine Krachmandel.

      »Hab’ gar keine Lust mitzugehen.« Annemarie gähnte herzbrechend. »Ich hab ‘nen Kater.«

      »‘nen Bock hast du, eigensinnig bist du. Komm nur ruhig mit. Frische Lust vertreibt Katzenjammer am besten, sowohl körperlichen wie moralischen«, lachte Ilse Hermann sie aus.

      »Moralischen Katzenjammer? Möcht’ wissen, weshalb.« Annemarie schnippte mit den Fingern. Aber sie konnte es doch nicht verhindern, daß eine höchst überflüssige Röte sich wieder heiß über ihr Gesicht ergoß. Sie schielte auf ihre linke Hand. Sah man es der nicht an, daß jemand sie geküßt hatte?

      Was war denn aber eigentlich dabei? Ein Handkuß war doch nur eine Höflichkeitsform und bei einem galanten Biedermeierherrn noch viel weniger von Belang. Ja, aber warum mußte sie denn da unausgesetzt an diesen Handkuß im Boot denken? Warum hatte sie den Freundinnen nicht harmlos lachend davon erzählt, wie sie sonst alles bis ins kleinste berichtet hatte? Alles? Nein, alles hatte sie doch nicht berichtet. Sich selbst gegenüber mußte sie doch wenigstens ehrlich sein. Daß Rudolf Hartenstein sie beim Abschied gebeten hatte, während seiner Erholungsferien, die er hier in Tübingen verbrachte, recht oft mit ihm ins Grüne hinauszuwandern, das hatte sie den Freundinnen auch verschwiegen. Worum? Es war doch nicht anders, als wenn sie mit der Viehmuse oder Egerling einen Spaziergang machte.

      Das Motiv aus dem Dreimäderlhaus »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein« erklang vom Gärtle herauf in kunstgerechtem Pfiff. Sie waren da, die Freunde. Annemarie raffte den Rest der Süßigkeiten, die Marlene und Ilse in ihrem Vertilgungseifer noch übrig gelassen hatten, zusammen. »Das ist für Egerling.« Dann folgte sie den Freundinnen die schmale Stiege hinab. Sie konnte ganz ruhig mitgehen. Lächerlich, daß Rudolf Hartenstein heute schon an den erbetenen Spaziergang denken würde. So eilte es ihm nicht damit.

      Die Kirchenmäuse waren auf Kindlbier ins nächste Dorf geladen. Sorglich legte Marlene den Hausschlüssel unter die Türmatte. Hier im Schwabenland gab’s lauter ehrliche Menschen.

      »Grüß Gott – ausg’schlafe, Neschthäkche? Hascht ja geschtern kein Blick nit für deine Freund’ g’habt?« begrüßte sie Egerling.

      »‘sch gab halt anderen Leut’ Blicke zu schenke«, warf die Viehmuse anzüglich dazwischen.

      Annemarie hielt es für das klügste, Krabbes Sticheleien sowohl, wie Neumanns vorwurfsvollen Karpfenaugen keine Beachtung zu schenken. Die kindliche Freude Egerlings über die für ihn aufgesparten Zuckerle gaben ihr alsbald ihre Unbefangenheit wieder.

      Sonntagsruhe in der Stadt. Sonntagsruhe auch draußen in der Gottesnatur. Das Ammertal, in dem sie aufwärts stiegen, lag so friedlich, so weltabgeschieden mit seinem Erlengrund. Leis’ plätscherte die Ammer dem Neckar zu. Heupferdchen geigten irgendwo im verborgenen. Eine goldbraune Eidechse sonnte sich auf moosigem Felsgestein. Da fand auch Doktors Nesthäkchen, das seit gestern eine unbegreifliche innere Unruhe verspürte, wieder sein Gleichmaß und seine gewohnte Heiterkeit. Das Leben war ja so schön. Wolkenlos klar wie der Sonntagshimmel da droben schien es den jungen Menschen.

      Auf dem Hochplateau, das man erreichte, war man bei der Heumahd. Ungeachtet der Sonntagsruhe wurde hier fleißig geschafft. Das schöne Wetter mußte genützt werden.

      »Grüß Gott!« Egerling blieb stehen und sah mit sachverständigen Blicken zu. »Schafft’s?«

      »‘sch muß halt guet sein!« Der Bauer sah nicht auf.

      »Solle mer helfe?« Es war Neumann, der als Faulpelz bekannt war, ganz gewiß nicht ernst mit seinem Anerbieten.

      Geringschätzig blickte der Bauer auf die Abzeichen ihrer Würde tragenden Studenten.

      »Dazu sein’s Studentle halt nit klug gnua«, schmunzelte er.

      »Oho!« Der Dorfschulzensohn begehrte auf. »Hob scho’ mehr als so a bißle Grünzeug g’schnitte.«

      »Versuch’sch!« Der Bauer reichte ihm die Sense, »aber schneid’ di nit, ‘s ischt nämli g’schärft.« Er lachte dröhnend. Die Frau, der Knecht und das Dirnlein hielten ebenfalls im Schneiden und Zusammenharken inne und sahen mit spöttischen Augen auf den Stadtherrn, wie der sich wohl blamieren würde.

      Aber kunstgerecht ließ Egerling die blanke Sense durch das Gras sausen. Schwaden um Schwaden sank, von seinem muskulösen Arm getroffen.

      »Brav ischt’s«, lobte der Bauer erstaunt, »hätt’ i dem Herrn Studentle nimmer zug’traut. Schad’, daß ka Bauer nit wirscht.«

      »Geischtlich will i werde, da kann i mein Land auch b’stelle!« Egerling mähte kraftvoll weiter.

      »Da werde d’ Landleut’ mal a recht’s Zutraue zu dem Herrn Pfarrer habe, wenn er ihr’ Sach’ so guet verstehe tut«, meinte der Bauer anerkennend. Die Ehrfurcht vor dem geistlichen Stand ließ ihn nicht mehr das landläufige »Du« gebrauchen. »Aber ‘sch wird dem Herrn halt z’viel werde.«

      »Das bißle? I will den Strich scho’ richte. Kommt’s helfe, Kinderle«, wandte sich Egerling an die Kameraden. Ihr könnt’s z’sammereche, Krabbe und Hermann, du, dort drübe das Heu umwende, Ulrich, und du, Neschthäkche, muscht halt auflockere, daß d’guete Herrgottssonn’ allenthalbe dazu kann. Ja, Neumann, wie kannscht denn du noch helfe?«

      »I weiß scho’ wie«, – und da lag Neumann, das Faultier, auch schon der Länge nach irgendwo im Heu und schloß mit melancholischem Gesicht seine Karpfenaugen.

      Mit Rechen und Heugabeln rückten die andern ihm zu Leibe, um ihn etwas nachdrücklich damit zu »kitzeln«. Aber Neumann rührte sich nicht. So machte man sich denn, lachend auf den Nichtstuer schimpfend, selbst ans Werk.

      Hei – das schaffte. Die Wangen glühten, die Arme erlahmten, der Rücken schmerzte von der ungewohnten Arbeit – was tat’s? Immer weiter! Frisch vorwärts!

      Doktors Nesthäkchen stand in einem Heuregen, so temperamentvoll lockerte es die niedergemähten Schwaden. Seit ihrem einstigen Ferienaufenthalt bei Onkel Heinrich auf Gut Arnsdorf hatte sie nicht so frischfröhliche Arbeit unter blauem Himmel getan.

      Marlene und Ilse, die niemals auf dem Lande gewesen, stellten sich ziemlich ungeschickt an, aber das erhöhte nur noch die gute Laune. Übermütige Neckereien begleiteten die Arbeit.

      »Neschthäkche«, rief da Neumann, durch die Augenlider blinzelnd, »gib Obacht!«

      »Redest du aus dem Schlaf, Faulpelz?«