Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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nit sitze lasse?« scherzte Anneliese Bergholz unbefangen. »Da geht er mit einer anderen durch, und erst war er selig, daß ich ihn zu meinem Ritter erwählt hab’. Wart’ du – –!« Sie krümmte drollig die rosigen Fingernägel, als ob sie ihm ins Gesicht fahren wollte.

      »Das hab’ ich in der Tat ganz vergessen.« Der Vetter machte ein zerknirschtes Gesicht. »Aber wir können ja alle beieinand’ sitzen, ‘s gibt ja auch Tische zu vieren.«

      »Danke sehr, ich möchte nicht stören«, das blonde Biedermeierfräulein neigte steif den Kopf mit den wippenden Löckchen. Da hatte es auch schon den nichts von seinem Glücke ahnenden elegischen Neumann beim Wickel. Ihren Arm in den seinen legend, schritt es stolz in entgegengesetzter Richtung von dannen.

      »Was hat denn das Mädle? Ich hab’s doch nit etwa gekränkt, Rudi? Weißt’, an deiner Gesellschaft liegt mir ja weiter nix, nur daß wir zwei beid’ doch das Menuett mit Gesang nachher aufführe wolle. Aber wenn’s so fad bist, da such ich mir halt einen, der mehr Schneid hat.« Sie zog den noch immer hinter den Fortschreitenden herstarrenden Vetter zu einem der Tische.

      Rudolf Hartenstein scheuchte die Wolke, die ihm seine heitere Feststimmung verderben wollte, mit Gewalt von der Stirn. Ach was, sie würde schon wieder gut werden, die Annemarie Braun. Warum war sie denn gleich beleidigt, sie hätten doch ganz gut alle zusammen einen fidelen Tisch bilden können. Daß sie den Studenten Neumann unterfaßte und seinen eigenen Arm verschmähte, war überhaupt eine Beleidigung für ihn. Und das dumme Geduze, das ja zwischen Studenten und Studentinnen öfter Sitte war, brauchte sie auch nicht gerade mitzumachen. Eine Unverschämtheit von den Studenten, sie »Nesthäkchen« zu nennen! Rudolf Hartenstein runzelte die dunklen Augenbrauen und sah wütend auf Annemaries Rose, die er im Knopfloch trug. So süß duftete die, so lieb – der Blick des jungen Doktors wurde milder.

      »Schläfst?« Anneliese Bergholz versetzte dem Vetter einen freundschaftlichen Rippenstoß. »Die Herre solle die Dame mit Schokolad’ und Kuche versorge. Aber bei dir kann man halt verhungern. Herr Pfitzner, haben’s ka Dam’ nit? Da komme’s und erlöse’s mich vom Übel, gelt? Bei meinem Herrn Vetter sterb’ ich Hungerstod und vor langer Weil’«, rief sie lachend einem nach Platz suchenden Studenten zu. Der ließ sich mit freudigem Stolz am Tisch der allgemein verehrten Haustochter nieder.

      Auch Rudolf Hartenstein besann sich jetzt endlich seiner Kavalierpflichten und sprang auf. »Befehle’s Eisschokolad’, eine warme Schokolad’, Eiskaffee, Mokka, Tee oder Vanilleeis? Kräpfle, Topfkuche oder Quarkstrudel?« Er hatte die Serviette wie ein Kellner unter den Arm geklemmt und leierte im Kellnerton seine Speisekarte herunter.

      »Eisschokolad’ und Kräpfle, Rudi. Herr Pfitzner, ich bitt’ schön, versorge sich’s auch. Im Gartensaal ist das Büfett aufg’stellt.« Fräulein Bergholz wandte sich verschiedenen anderen Tischen ihrer Nachbarschaft zu, um ihren Haustochterpflichten nachzukommen. Aber da hatte sie nicht viel aufzufordern. Überall schleppten die Herren Studenten Berge von Kuchen heran. Das schmauste, lachte und ulkte, warf sich mit Rosen und Konfetti, als sei bereits die Fidelitas erreicht. Nein, für gute Laune brauchte das Haustöchterchen wirklich nicht Sorge zu tragen.

      Nur an einem Tisch ging es recht einsilbig zu, gerade dort, wo sonst wohl die ausgelassenste Stimmung in Tübingen zu herrschen pflegte. Die Viehmuse hatte zuerst, als Annemarie auch seinen Arm zu packen bekam, wütend geknurrt: »Laß aus, zum Lückebüßer bin i halt zu guet.« Aber dann hatte er sich doch dazu herabgelassen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Dem Neumann das Nesthäkchen allein zu überlassen, ja das war’ so was! Damit der sich ins Fäustchen lachte.

      Aber bestraft mußte Annemarie werden. Krabbe maulte. Keinen einzigen Witz machte er heute, was ihm gar nicht leicht fiel. Er beschränkte sich darauf, ein Kräpfle nach dem anderen zu vertilgen, was ihm schon weniger schwer wurde.

      Um so mehr redete Neumann, ohne Punkt und ohne Komma. Wie ein aufgezogener Wasserfall ergossen sich die Schleusen seiner Beredsamkeit über seine blonde Nachbarin. Er merkte es gar nicht, wie stumm und einsilbig dieselbe neben ihm saß. Daß sie allenfalls mal ein höfliches Lächeln, ein Kopfnicken oder auch wohl ein geistesabwesendes »O ja« auf seine Redeflut hatte, daß sie die Eisschokolade kaum berührte, und an den guten Kräpfle würgte, als seien sie zäh und ledern wie eine Kriegssemmel.

      Die Viehmuse beobachtete diese ungewöhnliche Schweigsamkeit Annemaries ungefähr so, wie er galvanische Zuckungen an einem Frosch experimentierte. Aha – also machte es doch Eindruck auf sie, daß er sie so links liegen ließ. Ein wenig zappeln lassen mußte er Nesthäkchen noch, wenn es ihm auch leid tat, daß sie sich seinen Zorn so zu Herzen nahm. Strafe muß sein! Und um so netter war sie nachher dann zu ihm.

      Das blonde Biedermeierfräulein, das so manchen bewundernden Blick der jungen Musensöhne auf sich zog, merkte weder was von den huldigenden Augen der Nachbarschaft, noch von dem Strafgericht der Viehmuse. Stumm starrte es an dem großen Busch gelber Teerosen, der ihren Tisch schmückte, vorüber, durch das Blätter-und Blütengewirr der purpurnen Kletterrosen, welche die Laubengänge überwucherten, hindurch. Es sah nicht das entzückende Bild, das all die Biedermeierdamen und -herren, all die rosengeschmückten jungen Menschen in ihrer heiteren und ausgelassenen Stimmung zwischen dem Blühen und Glühen von Blüten und Farben boten. Annemarie, die sonst ein so offenes Auge für alle Naturschönheiten hatte, merkte es nicht einmal, daß der Bergholzsche Garten dem Stil des Festes getreulich entsprach. Daß er selbst ein Überbleibsel aus Großvaters Zeiten mit seinen buchsbaumeingerahmten Wegen, den altmodischen Blumenbeeten und den vielen verschwiegenen Lauben und Plätzchen zu sein schien.

      Ja, was hatte denn Doktors Nesthäkchen eigentlich, das sonst so übersprudelnd von Ausgelassenheit war, das mit seinem hellen Lachen eine ganze Gesellschaft anstecken konnte?

      Durch die purpurnen Rosenzweige schimmerte es kaffeebraun und lila. Dort drüben saß Rudolf Hartenstein neben seiner Cousine, die das schönste Mädchen in Tübingen sein sollte. Sie hatten recht, ganz entzückend war Anneliese Bergholz mit ihrem dunklen Madonnenscheitel und den tiefblauen Augen. Annemarie konnte es eigentlich Rudolf Hartenstein gar nicht verdenken, daß er das reizende Bäschen ihr vorgezogen hatte. Besonders heute, wo sie die gräßlichen Pudellöckchen trug und wie Tante Albertine aussah.

      Recht vergnügt schien es dort drüben an dem Tisch zuzugehen. Konfettischlangen flogen hin und her. Jetzt befestigte der kaffeebraune Leibrock dem lila Biedermeierdämchen gar eine rote Rose in dem dunklen Haar. War es etwa die, welche sie ihm geschenkt?

      Annemarie gab sich einen Ruck. Sie riß all ihren Stolz zusammen. Pah, das wäre ja noch besser, wenn sie sich das schöne Fest durch irgendeinen, der gar nicht mehr zu wissen schien, daß sie überhaupt da war, verderben würde. Nun gerade lustig sein, nun gerade!

      »Krabbe sitz’ nicht da wie ne olle Tante, die im Nebenzimmer übelnimmt. Schaust aus, als ob du statt Eisschokolade Rhizinus schlucken mußt. Neumann, Menschenskind, hör’ auf mit deinem Gejabber. Das geht ja wie’n Wasserfall! Da – das ist die Strafe, daß ihr so unausstehlich seid!« Ein bunter Regen von Papierschnitzeln ergoß sich plötzlich über die beiden. Das war wieder Doktors lustiges Nesthäkchen, das mit lachenden Augen in die Konfettischlacht eingriff. Die Studenten der Nachbarschaft beteiligten sich an den Wurfgeschossen. Der Tisch des bildhübschen, goldhaarigen Biedermeierfräuleins wurde im Nu der Mittelpunkt der hin und her geschleuderten Scherzworte und zerplatzenden Seidenpapierbälle.

      Da gerade lugte Rudolf Hartenstein herüber. Ei, das blonde Mädel schien sich ja seine unbeabsichtigte Kränkung nicht weiter zu Herzen zu nehmen. Die Übermütigste von der ganzen Gesellschaft da drüben war Annemarie. Na, ihm konnte es ja nur recht sein, wenn sie ihm jene Zurücksetzung gegen seinen Willen nicht nachtrug. Aber so ganz recht war es dem kaffeebraunen Biedermeierherrn doch nicht.

      An Annemaries Tisch hatte sich jetzt Ola niedergelassen, um auch teilzuhaben an der übersprudelnden Lustigkeit in dieser Ecke. Rudolf ertappte sich darauf, daß er der Schwester den Platz nicht gönnte. Anneliese mußte ihn zweimal anstoßen, ehe er recht begriffen hatte, daß jetzt das Menuett aus Urgroßvaters Tagen mit den Sangversen, bei denen das Publikum den Refrain zu wiederholen hatte, steigen sollte.

      Die Hauskapelle saß am Klavier, und das reizend