Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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aus.

      »Neschthäkche«, die Viehmuse pirschte sich auf dem Weg nach Pfullingen an Annemaries Seite. »Neschthäkche, was krieg i, wenn i dir halt verrate tu’, weshalb mer g’lacht habe?«

      »Gar nix – interessiert mich absolut nicht mehr.« Das schlaue Nesthäkchen tat möglichst gleichgültig, trotzdem es darauf brannte, das Geheimnis zu ergründen.

      »Also guet, weil du ‘sch bischt, da sag’ i dir ‘sch halt so: Der Hartenstein hat di in sein Käfig ‘neing’sperrt.« Er lachte spöttisch.

      »Was hat er? Du bist wohl hops, Viehmuse?«

      »In sein schwarzen Käfig da bischt drin, Neschthäkche! Während du uns knipscht hascht, bischt halt selber knipscht worde.« Er lachte triumphierend.

      »Schwindel!« rief Annemarie empört.

      »Auf B. E. – frag’ ihn doch halt selber.« So – das war ein kalter Wasserstrahl auf Nesthäkchens warme Freundschaftsgefühle für den Fremden.

      Still und in sich gekehrt ging Nesthäkchen seiner Wege. Auf »B. E.« hatte die Viehmuse gesagt. Da war nichts dran zu deuteln und zu drehen. Wenn ein Student sein Wort auf »Bier – Ehre« gab, war jede Flunkerei ausgeschlossen.

      Also war’s Tatsache! So eine Gemeinheit, so eine heimtückische! Sie vor allen lächerlich zu machen. Wenn er sie knipsen wollte, konnte er es ihr doch sagen, da hatte sie doch wohl vor allem ihre Einwilligung dazu zu geben. Einfach links liegen lassen wollte sie ihn, da würde er schon merken, was er verbrochen.

      Rudolf Hartenstein aber merkte nichts. Der ging mit Hans Braun voran, und beide machten Pläne für den Winter. Der junge Mediziner beabsichtigte zum 1. September nach Berlin zu gehen und sich dort um eine Assistentenstelle in einem der Krankenhäuser zu bewerben. Das war nicht so einfach. Aber Annemarie hatte gemeint, daß sich ihr Vater gewiß dafür interessieren würde.

      Auch Hans glaubte, daß es für seinen Vater ein leichtes sein würde, ihn durch seine vielen Beziehungen zu Ärzten in einem Berliner Krankenhause anzubringen. »Sie werden ihn ja in Ulm kennen lernen, Hartenstein, unsern alten Herrn, da können wir ihn gleich dazu keilen.«

      Die Schwestern der beiden folgten in ziemlichem Abstand. Annemarie hatte zu der um einige Jahre älteren Ola großes Zutrauen gefaßt. Und für diese, welche das Leben ernster gemacht hatte, war Annemaries übermütige, lebensprühende Art geradezu herzerquickend.

      Von ihrer Kindheit erzählte Ola. Wie sie zwei, der Bruder Rudi und sie, schon in jungen Jahren beide Eltern in kurzem Zwischenraum an einer Epidemie verloren hatten. Die Geschwister, die so zärtlich aneinander hingen, mußten sich trennen. Professor Bergholz in Tübingen, ein Bruder ihrer Mutter, nahm Ola ins Haus. Rudi blieb in Stuttgart in der Familie des Vaters. Nur zu den Ferien kam er stets nach Tübingen herüber. Das war jedesmal ein Fest für Ola.

      »Und für Fräulein Anneliese gewiß auch?« warf ihre Begleiterin forschend ein.

      »Ja, natürlich, für Anneliese auch. Wir sind ja wie Geschwister miteinander aufgewachsen.«

      »Warum – warum ist denn Fräulein Anneliese diesmal nicht mit uns gekommen?« Die Frage, die Annemarie schon den ganzen Tag auf der Seele brannte, trotzdem sie Annelieses Abwesenheit ganz und gar nicht bedauerte, brach sich Bahn.

      »Das hat halt einen ganz bestimmten Grund.« Ola machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Ihnen kann ich’s ja wohl anvertrauen, Fräulein Annemarie, sie ist heimlich verlobt – – –.«

      »Mit – mit Ihrem Bruder?« Die Sonne in Annemaries strahlend blauen Augen schien plötzlich zu erlöschen.

      »Mit dem Rudi? Hahahaha – ich bitt’ vielmals um Entschuldigung, wenn ich lach’, aber das kommt mir doch zu komisch vor. Die beiden sind ja wie Schwester und Bruder. Nein, einem jungen Privatdozenten, der von Tübingen nach Freiburg gegangen ist, hat sie’s angetan. Mein Onkel fährt mit ihr nach Titisee, damit die zwei öfters zusammen sein können.«

      »Da wünsche ich Ihrer Cousine alles erdenkliche Glück!« Aus vollstem Herzen kam Annemarie dieser Wunsch. Die Abneigung, die sie von Anfang an Anneliese gegenüber gefühlt, und der Druck, der sie befallen, wenn sie nur an sie dachte, war plötzlich von ihrer Seele gewichen.

      »Eifersucht – lächerliche Eifersucht ist’s gewesen – schäme dich«, sagte Nesthäkchen ehrlich, und war trotz dieser wortlosen Strafpredigt plötzlich unsagbar froh.

      »Nein, der Rudi, der darf mir noch nicht ans Heiraten denken. Als Kinder haben wir es uns immer schon ausgemalt, wie wir später wieder beisammen wohnen werden, wenn er erst Arzt sein wird. Denn das war schon als Bub sein Wunsch. Sobald er sich einmal niedergelassen hat, ziehen wir zusammen, und ich mach’ mir ein gemütliches Heim mit dem Rudi.«

      »Was redet’s von mir?« Der Vorangehende, der seinen Namen gehört, blieb neugierig fragend stehen.

      »Denk mal, Rudi, Fräulein Annemarie hat g’meint, daß du und – – –.« Ola, die mit harmlosem Lachen die falsche Mutmaßung berichten wollte, kam nicht weiter.

      Annemaries Hand legte sich ihr beschwörend auf den lachenden Mund. »Nicht verraten – bitte, bitte, versprechen Sie’s mir. So – Herr Doktor, jetzt hab’ ich auch mein Geheimnis.«

      »Also, da sind wir quitt von vorhin,« scherzte Rudolf.

      »Quitt – jawoll! Ihr Verbrechen wird noch geahndet.« Aber gar so bös sah die Annemarie dabei nicht aus, trotzdem sie doch zuerst ärgerlich genug auf ihn gewesen war.

      Die Sonne stand schon schräg, als man nach Reutlingen zurückkehrte. Auf dem Marktplatz herrschte lebhaftes Treiben. Ein Wanderzirkus hatte inzwischen seine Pforten geöffnet. Aber trotzdem mit großen Lettern zu lesen stand: Eröffnungsspiel der berühmten Wanderkünstler »Nimmer da gewese«, trotzdem der Hanswurst auf der kleinen Bretterbühne das Programm in den lockendsten Farben anpries, war der Besuch nur recht schwach. Wenigstens innerhalb der gezogenen Barrieren. Draußen drängten sich die Zaungäste. Barfüßige Buben und Mädel hockten auf dem Gitter, auf allen Steintreppen und Brünnle.

      »Eine kunstbegeisterte Stadt«, lachte Hans, auf die leeren Plätze weisend.

      »Als Fremde haben wir die Verpflichtung, mit gutem Beispiel voranzugehen«, schlug Marlene vor.

      »Fahrendes Volk ischt’s, wie wir, unterstütze wir die Kunscht!« Neumann warf sich in die Brust. »Ich nehm’ halt für uns alle Eintrittskarte.«

      »Hascht denn noch so viel im Säckle?« erkundigte sich Krabbe verständnisinnig.

      Neumann würdigte ihn gar keiner Antwort. »Erschten Platz, anders tun mer’s nit. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht – Krabbe, pump’ mir mal drei Mark, ‘s reicht halt nit ganz.«

      »Das hab’ i im voraus schon g’wußt.« Die Karten wurden erstanden.

      »Aber Kinder, wir werden doch nicht so viel Geld für so’n Jux ausgeben«, begann Nesthäkchen zu protestieren. »Wenn Neumann nobel sein will, soll er’s auf eigene Kosten tun, nicht auf unsere. Ich klettere hier auf den Briefkasten, da seh’ ich besser als vom ersten Platz.« In der Tat, das lose Mädel thronte plötzlich zum Gaudium der Umstehenden droben auf dem blauen Kasten.

      »Aber, Annemie, komm’ doch, wir können doch den armen Neumann nicht mit den acht Billetten sitzen lassen«, stellte Ilse vor.

      »Ist mir ganz wurscht, dann soll er ein andermal vorher fragen.«

      »Annemie, benimm dich doch nicht so auffallend, komm’, wir gehen alle hinein.« Marlene versuchte sie herabzuziehen.

      »Viel Vergnügen, ich genieße das Schauspiel vom hohen Olymp herab. Schenk meine Eintrittskarte einem von den Buben, Hans. Da machst du wenigstens noch jemand damit glücklich.«

      Das erste Schauspiel war, daß sich sämtliche Büble und Mädle, welche Annemaries Worte gehört hatten, um den vornehmen Platz zu prügeln begannen. Dann begann die Vorstellung auf den Brettern.

      Eine