Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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der Strick, er war etwas größer als sie selbst. Aber sie wollte schon mit ihm fertig werden, mit Klaus hatte sie sich doch auch kunstgerecht gekeilt. Grade als Annemarie diesem Gedanken durch kräftiges Recken ihrer Arme unter dem Tisch lebhafteren Ausdruck gab, wanderte ihr Blick zur Frau Kapitän hin. Auf deren weißen Haar flimmerte die durchs Fenster fallende Morgensonne. Himmel – sie hatte sich ja vorgenommen, der Frau Kapitän nur Freude zu machen. Ob ihr der soeben gefaßte kriegerische Plan wohl zur großen Freude gereichen würde?

      Wieder erklang die Glocke. Das Frühstück war beendigt, die Kinder begaben sich in das Klassenzimmer. Nur Klein-Annekathrein, die noch nicht schulpflichtig war und Annemarie, die sich noch erholen sollte, blieben zurück.

      Dörthe, das Hausmädchen, die das Tassengeschirr abräumte, flüsterte Tante Lenchen einige leise Worte zu. Diese wandte sich an Annemarie, die sich gerade bemühte, aus ihrem Taschentuch eine Maus für das flachsblonde Kleinchen zu verfertigen.

      »Annemarie, ich vergaß, dich auf unsere Hausordnung aufmerksam zu machen. Jedes Kind hat sowohl des Morgens wie auch zu jeder anderen Tageszeit beim Verlassen des Zimmers alle seine Sachen hübsch fortzuräumen. Du konntest das ja noch nicht wissen,« setzte sie hinzu, als sie sah, daß Annemarie rot wurde. »Aber von nun an weißt du es, nicht wahr, und wirst hoffentlich immer daran denken!«

      Warum war Annemarie nur so rot geworden? Sie konnte die Hausordnung ja wirklich noch nicht kennen. Aber hatte Mutti und vor allem Fräulein daheim in Berlin nicht täglich über Mamsell Liederjahn, die ihre Sachen stets herumliegen ließ, gescholten? Nun taten es hier Fremde, und dieser Tadel ging tiefer.

      Annemarie ließ ihre Maus zum Schmerz der Kleinen ohne Schwanz und lief eiligst nach oben, das Versäumte nachzuholen. Ja, die beiden anderen Mädel hatten alles höchst gewissenhaft zur Seite geräumt, nur ihre Siebenfachen waren lustig umhergestreut. Der Kamm hatte sich ins Bett verkrochen, die Zahnbürste thronte noch auf dem Fensterbrett, da ihre Besitzerin beim Zähneputzen nur ganz schnell mal das Meer angucken mußte. Handtuch und Seiflappen machten es sich auf einem Stuhl bequem, und das schöne weiße Nachthemd lag gar als Betteppich auf der Erde.

      Mit rascher Hand schaffte Annemarie Abhilfe. Und als nun nichts mehr im Zimmer herumlag, da hatte sie selber ihre Freude daran. Viel mehr, als wenn Fräulein ihr zu Hause nachgeräumt hatte.

      Aber die Dörthe, die hatte es ein für allemal mit Doktors Nesthäkchen verdorben – pfui – das war ja ’ne Petze!

      Die unverständige Annemarie überlegte nicht, daß es die Pflicht des Mädchens war, Ungehörigkeiten zu melden. Wie sollte sonst wohl bei so vielen Kindern die Ordnung aufrecht erhalten werden!

      Nun war es aber schon in der neunten Stunde, die höchste Zeit, daß sie zu ihrer Mutti herumlief. Sonst ging Mutti am Ende fort. Annemarie setzte den neuen roten Südwester auf die jetzt schön gekämmten Haare und dachte wohl auch für einen Augenblick an das Versprechen, das sie vor kurzem Tante Lenchen gegeben. Aber Tante Lenchen hatte doch bloß gemeint, daß sie künftig nicht mehr vor sieben Uhr aufstehen sollte. Und sie hatte doch jetzt gar nichts zu tun, wo die anderen Kinder Schule hatten.

      Spornstreichs wollte sie durch den Garten davon.

      »Uo uollen du hin?« erklang es da plötzlich von einem Bänkchen unter dem großen Apfelbaum.

      War sie gemeint? Annemarie machte jedenfalls gehorsam halt. Ja, Miß Johns sommersprossiges Gesicht wandte sich ihr zu.

      »Ich springe bloß mal schnell zu meiner Mutti herum, ich muß ihr doch die beiden ›Kusse‹ geben,« gab der Blondkopf schelmisch Auskunft.

      Aber Miß John verstand nicht mehr Spaß als Deutsch.

      »Haben du der Erlaubnis von Mrs. Clarsen?« forschte sie.

      »Nee,« gab Annemarie ziemlich befangen zur Antwort.

      »Dann du bleiben hier, keine Kind ist erlaubt zu laufen allein aus die Garten.«

      »Aber ich will doch zu meiner Mutti, die geht sonst ohne mich weg,« rief Annemarie empört.

      »Du bleiben hier,« die Engländerin war nicht aus ihrer Ruhe zu dringen.

      Da kam Tante Lenchen, mit der großen grünen Gießkanne bewaffnet, den Gartensteig herauf. Aufschluchzend vor Enttäuschung eilte Annemarie aus sie zu.

      »Aber Kind – Herzchen – was ist denn geschehen?« forschte sie erschreckt.

      »Miß John will mich nicht zu meiner Mutti lassen,« Fräulein Wüterich stampfte sogar ein wenig mit dem Fuß auf.

      »Aber Annemarie, ich denke, du wolltest der Frau Kapitän Freude machen?« mahnte Tante Lenchen ernst.

      »Ja, das will ich ja, aber meiner Mutti doch auch. Und Mutti freut sich bestimmt ganz schrecklich, wenn ich komme, sie wartet gewiß schon auf mich.«

      »Nein, das tut sie nicht. Annemarie. Wenn du ohne Erlaubnis aus dem Kinderheim fortgelaufen bist, freut sie sich gar nicht mit dir. Sie erwartet dich nicht, ich habe mit ihr verabredet, daß wir uns um zehn Uhr am Strande treffen.«

      »Das ist noch so schrecklich lange, bis dahin mopse ich mich tot.« Annemaries Antwort klang nicht sehr artig.

      »Bei uns hat sich noch kein Kind gelangweilt, hier gibt’s Beschäftigung genug. Komm, du hilfst mir, und Klein-Annekathrein hilft auch,« wandte sich Tante Lenchen zu dem Kleinchen, das ihr stets wie ein Hündchen nachlief. Sie tat, als sähe sie gar nicht, wie mißmutig Annemaries hübsches Kindergesicht plötzlich dreinschaute.

      »Bist du unartig?« flüsterte Klein-Annekathrein der großen Annemarie zu und faßte mitleidig nach ihrer herabhängenden Hand.

      »Nee – laß mich!« unwirsch machte Annemarie sich los. Aber im selben Augenblick kam ihr auch das Häßliche ihrer Abweisung zum Bewußtsein. Wie erstaunt die großen Braunaugen von Annekathrein sie ansahen. Flink schlang die Große den Arm um die Schultern der Kleinen und drückte das flachsblonde Köpfchen zärtlich an sich.

      »Ich helfe Tante Lenchen furchtbar gern, das ist so hübsch,« die Braunaugen strahlten wieder auf.

      Auch Annemarie sollte bald sehen, wie hübsch es war, Tante Lenchen zu helfen. Zuerst bekam jedes Kind eine graue Gartenschürze mit Ärmeln übergezogen, die in dem kleinen Häuschen aus weißen Birkenstämmen, in dem die Gartengerätschaften aufbewahrt wurden, hingen. Zwar reichten sie den Kindern bis auf die Füße herab, aber das schadete nichts. Auch zwei kleine Gießkannen fanden sich, eine rote und eine grüne. Das schönste aber war die Pumpe. Ein Panschlieschen war Doktors Nesthäkchen von klein auf gewesen. Nun machte es ihr großen Spaß, den Plumpenschwengel in Bewegung zu setzen, die Gießkannen zu füllen und dann selbst den Wasserstrahl der Brause über die Gemüse-und Blumenbeete zerstäuben zu lassen. Annemaries Gesicht lachte wieder in die Welt hinein, aller Mißmut war daraus verschwunden. Doktors Nesthäkchen, das durch die Krankheit verwöhnt war, und auf dessen Wünsche man zu Hause zuletzt mehr als früher Rücksicht genommen hatte, sah, daß es hier nicht nach dem Willen ihres eigensinnigen Köpfchens ging, sondern nach dem anderer. Und diese Erkenntnis war ihr ebenso heilsam wie die frische Seeluft.

      Noch öfters sollte Annemarie heute Gelegenheit haben, ihre kleine Person nicht als Mittelpunkt zu betrachten.

      »So, Kinder, nun ist unsere Arbeit getan. Ihr seid aber tüchtig durchweicht, trotz der großen Schürzen. Dich, Kleines, ziehe ich selbst gleich um, Annemarie kann das schon allein besorgen, was? In einer Viertelstunde gehen wir an den Strand.« sagte Tante Lenchen.

      »Schon?« Annemarie war ganz erstaunt. Die Zeit war ihr bei der frohen Arbeit im Umsehen vergangen.

      »Du kannst deine Spielhöschen anziehen, die ich gestern in den Schrank gelegt habe, Annemarie, und Sandalen,« rief ihr Tante Lenchen noch nach.

      Das war wieder eine Freude, denn das Putzlieschen legte für sein Leben gern neue Sachen an.

      Selig ritt Annemarie nach kurzer Zeit das Treppengeländer in ihren grauen, rotbesetzten Leinenhöschen herab. Daß sie beim Vorkramen derselben, in dem von Tante Lenchen so sauber eingeräumten Schrank eine greuliche