»Und wie nahm sie es auf, Doritt?« erkundigte sich Frau Hadebrandt gespannt.
»Zuerst verbat sie sich aufbrausend die Beschuldigung, mußte dann aber klein beigeben, als ich den Schwindel klipp und klar nachwies. Wahrscheinlich nahm sie an, daß Onkel Holger mit ihrem Geheimnis herumhausiert hätte, was ich jedoch sofort widerlegte. Als ich sie fragte, ob sie sich denn gar nicht schäme, ihre gute Mutter so zu belügen, wurde sie böse. Konnte nicht verstehen, daß man wegen einer Lappalie so viel Trara machte, nannte mich spießig und rannte davon. Hoffentlich kommt sie nicht wieder, denn sie wird mir immer widerwärtiger…«
Das Mädchen schwieg, weil Mechthild nahte. Nachdem man sich begrüßt hatte, fragte die Hausherrin: »Warum haben Sie Ebba nicht mitgebracht?«
»Die läßt sich entschuldigen. Als ich auch für sie die Einladung annahm, da wußte ich noch nicht, daß sie sich der Familie einer Freundin anschließen wollte, die heute einen Ausflug macht.«
Es war derselbe Gedanke, den die andern hatten, nämlich: daß die vornehme, liebreizende Frau von ihrer Tochter wieder einmal belogen worden war. Darob tat sie allen von ganzem Herzen leid.
Während man Kaffee trank, plauderte man gemütlich. Auch Mechthild beteiligte sich lebhaft an der Unterhaltung. Sie lachte und scherzte, als sei sie unbeschwert von Sorgen.
Nur Holger ließ sich nicht täuschen. Er hatte den Eindruck, als wenn hinter dem Lachen zurückgehaltene Tränen säßen und das Herz tat ihm bitter weh. Was mochte es mit Ebba wieder gegeben haben?
Er schrak aus dem schmerzlichen Grübeln auf, als sie ihn ansprach: »Ich muß Ihnen noch herzlich Dank sagen, Holger, daß Sie mit der Ostergabe Ebba eine so große Freude gemacht haben. Eigentlich käme ihr das Geld gar nicht zu, weil sie erst einige Tage in ihrem Betrieb gearbeitet hat.«
»Erstens spielt das Geld bei der großen Summe, die ich ausgeworfen habe, keine Rolle – und wenn schon. Was wäre in dem kleinen Mädchen wohl vorgegangen, wenn es allein auf die Freude hätte verzichten müssen?«
»Da haben Sie recht«, lachte Mechthild. »Ordentlich stolz war die Kleine auf ihr erstes selbstverdientes Geld, so daß ich nicht das Herz hatte, sie eines anderen zu belehren.«
»Das war ja auch nicht nötig. Man soll dem Menschen seine Freude lassen. Was hat sie nun mit dem ganzen Reichtum begonnen?«
»Sich eine langerwünschte Jacke gekauft. Ein Tüchlein fiel auch noch ab.«
»Die Evastöchter sind doch alle gleich«, schmunzelte Herr Wentruck. »Doritt putzte sich auch gern, und selbst unser Muttchen kriegt ganz blanke Augen, wenn es so einen niedlichen Krimskrams sichtet.«
»Na, Robert, wenn du das nicht übertreibst!« lachte die Geneckte mit den andern. »Der Mensch muß sich doch schließlich kleiden.«
»Richtig!« gab der Gatte zu. »Aber wie ich sehe, nahen dort auch zwei so kleine Evas, die an den reizenden Kleidchen, die sie tragen, gewiß ihre Freude haben werden. Kommt nur näher, ihr Marjellchen, wir beißen euch ganz bestimmt nicht.« Er winkte die Kleinen heran, die vor den Terrassenstufen standen und sehnsüchtig hinaufäugten.
Die bunten Körbchen, die mit nicht minder bunten Eiern und Hasen gefüllt waren, vorsichtig vor sich hin tragend, kamen die Dirnlein herbei. Stolz zeigten sie ihre Schätze, die dann auch zu ihrem Entzücken genügend angestaunt wurden.
»So viel ist noch geblieben?« wunderte sich Onkel Robert. »Habt ihr denn noch nichts davon geleckert?«
»Doch«, gab Brigit Antwort. »Zwei Eier und einen Hasen.«
»Sßa«, bestätigte Ann-Magret seufzend. »Is möcht ßon mehr – aber die Omi will nis.«
»Wird sie wohl auch recht haben«, amüsierte sich der gute Onkel, den sie zum ersten Mal sahen und sofort in ihre zärtlichen Herzen schlossen, weil er so vergnügte Augen hatte. »Sonst gibt’s Wehwehchen im Bäuchelchen.«
»Da ist ßrecklich, nis, Bigit?«
»O ja«, lachte das Schwesterlein. »Ich mag sie auch gar nicht. Heute abend dürfen wir dieses Häschen noch essen, das hat Omi erlaubt.«
»Sßa – den ßlachten wir…«
»Pfui, Ann-Margret!« rügte die Großmutter und lachte ein wenig.
»Na – er ßmeckt«, erklärte die kleine Kannibalin ungerührt und lachte fröhlich mit, als die Erwachsenen lachten.
*
Als Mechthild ihre Wohnung betrat, ging sie zuerst nach Ebbas Zimmer, um dort Ordnung zu machen. Wie erstaunte sie jedoch, als das Mädchen im Bett lag und sich die Augen rieb, als wäre es aus tiefem Schlaf gerissen.
»Ach, du bist es«, gähnte sie herzhaft. »Du kommst aber spät. Warum bist du ohne mich zu Hadebrandt gegangen?«
»Ebba, wo warst du?«
»Ich? Hier im Bett!« kam auf die schroffe Frage eine erstaunte Antwort.
»Es war leer, als ich kurz vor meinem Fortgang das Zimmer betrat.«
»Ach so – da war ich gerade zu Doritt gegangen.«
»Ebba, du lügst! Doritt war bei Hadebrandt…«
»Laß mich doch ausreden«, wurde sie patzig unterbrochen. »Ich wollte doch eben erzählen, daß ich Doritt nicht zu Hause antraf und daher wieder zurückkam. Mir war so langweilig, während du schliefst. Da wollte ich mir die Zeit vertreiben, bis es soweit war, zu Hadebrandt zu gehen. Als ich dann hier eintraf, warst du bereits fort.«
»Warum bist du nicht nachgekommen?«
»Weil ich keine Lust hatte. Laß nun endlich das blöde Anstarren. Was soll das überhaupt?«
»Ebba, wo warst du?« fragte die Frau noch einmal mit unheimlicher Ruhe, die der frechen kleinen Person hätte eine Warnung sein müssen. Aber gewohnt, mit ihrer Frechheit ungestraft davonzukommen, fuhr sie wütend auf:
»Bist du denn so begriffsstutzig...«
Sie hielt inne und folgte dem starren Blick der Mutter, der an einem Gegenstand hing, der unter der Bettdecke hervorlugte. Rasch wollte Ebba ihn hinunterschieben, doch zu spät – schon hatte die Mutter ihn ergriffen. Sie war erschreckend blaß, als sie laut die Worte las, die auf der großen Bonbonniere standen:
»Ewas Süßes für meine Süße. Kuß Egolf.«
Nun wurde es Ebba doch unbehaglich zumute unter dem Blick der Mutteraugen, die wie leblos auf sie starrten. Dazu diese unheimliche Blässe, der wie im Schmerz verkrampfte Mund.
»Bist du denn plötzlich verrückt geworden?« schrie sie in feiger Angst.
Und schon saß ihr eine Hand im Gesicht, die trotz ihrer Zartheit ganz gut zuschlagen konnte.
»So, mein Kind«, klang nun die Stimme auf, die ebenso unheimlich war wie die Augen. »Und nun höre gut auf das, was ich dir zu sagen habe: Wenn ich dich noch einmal bei einer Lüge ertappe, dann züchtige ich dich dafür. Ferner: Solltest du noch einmal hinter meinem Rücken etwas unternehmen, dann werde ich mit unnachsichtiger Strenge gegen dich vorgehen. Hast du mich verstanden?«
»Nein! – Was hast du mich überhaupt zu schlagen – du – du – Rabenmutter.«
Nun machte auch die andere Backe Bekanntschaft mit der Mutter Hand.
»Hilfe – Hilfe!« – kreischte das Mädchen. »Ich gehe ins Wasser.«
»Tue das«, mußte es nun zu seiner grenzenlosen Verblüffung hören. »Lieber ein totes Kind als ein schlechtes.«
Die Tür fiel hinter ihr zu – und Ebba tobte in ihrem Bett wie besessen.
*
Am nächsten Morgen kümmerte sich Mechthild nicht um ihre Tochter. Rief sie auch nicht zum Mittagessen, von dem sie selbst auch kaum etwas genoß, brachte die Küche in Ordnung und setzte sich dann im Wohnzimmer in einen