wenn – mein – Kind – ach, Holger.«
»Nun mal ganz ruhig«, umfaßte er ihre bebende Gestalt und führte sie nach dem Diwan. »Zuerst legen Sie sich einmal nieder, sonst klappen Sie uns noch zusammen.«
Mechthild war so erschöpft, daß sie sich nicht widersetzte. Gehorsam streckte sie sich auf das weiche Lager. Frau Hadebrandt deckte sie fürsorglich zu, setzte sich zu ihr und hielt ihre Hand mit warmem Druck, während Holger Wein herbeiholte. Nachdem die ziemlich verstörte Frau ein Glas davon geleert hatte, kam langsam Farbe in das eben noch so todblasse Antlitz.
»Ist Ihnen nun besser, Mechthild?«
»Aber ich kann doch hier unmöglich liegen, während mein Kind…«
Als sie sich erheben wollte, drückte er sie wieder auf das Lager zurück.
»Bleiben Sie ruhig unter dem Schutz meiner Mutter. Ich werde mein Auto flottmachen und durch die Stadt fahren. Irgendwo werde ich Ebba da bestimmt finden.«
»Meinen Sie wirklich?« fragte sie zaghaft. »Aber der Zettel?«
»Nehmen Sie den doch nicht ernst, Mechthild. So junge Dinger sind leicht mit einer Drohung bei der Hand, um sich möglichst wichtig zu machen.«
Er eilte davon, brachte seinen Zweisitzer in Gang und fuhr der Stadt in raschem Tempo zu, das er jedoch abstoppen mußte, als die Hauptstraße erreicht war.
Und siehe da, dort spazierte Ebba ganz gemächlich am Arm einer Freundin dahin. Lachte und amüsierte sich. Da stieg Zorn in Holger auf. So ein niederträchtiges Geschöpf! Spazierte hier in aller Seelenruhe, während ihre Mutter vor Angst um sie fast verging. Sein heißer Zorn war auch noch nicht verraucht, als er das Zimmer wieder betrat, in dem Mechthild noch immer auf dem Diwan lag und ihm mit angsterfüllten Augen entgegensah.
»Ja. Sie promeniert gemächlich auf der Hauptstraße.«
»Gott sei Dank!« atmete die gepeinigte Frau auf, und Holger konnte seine zornige Erregung kaum noch zurückhalten. Seine Stimme vibrierte leise, als er sprach:
»Mechthild, so geht das nicht weiter. Sie müssen Ebba mit unnachsichtiger Strenge anfassen!«
»Das habe ich doch schon getan«, unterbrach sie ihn erregt, indem sie aufsprang und Holger die verschlungenen Hände entgegenschob.
»Helfen Sie mir!« flehte sie. »Helfen Sie mir – bitte! Ich werde mit Ebba allein nicht mehr fertig. Wenn Sie sie zur Frau nehmen würden – sie ist ja noch so jung, läß sich bestimmt erziehen nach ihrem Sinn – haben Sie Erbarmen!«
Weiter kam sie nicht, denn der Mann wich einen Schritt zuruck, als fürchte er ihre Nähe. Seine Augen wetterleuchteten in dem tieferblaßten Antlitz, hart klang seine Stimme.
»Ich kann mir nicht helfen, die Stunden voll Angst müssen ihre Sinne verwirrt haben – sonst würden Sie mir – das nicht zu bieten wagen. Ich soll Ebba zur Frau nehmen – Ihre Tochter, Mechthild? Wissen Sie denn überhaupt, was Sie damit von mir verlangen?«
»Holger, wenn Sie mich auch nur ein wenig lieb haben…«
»Auch das noch!« knirschte er dazwischen. »Hat Ebba Sie etwa hergeschickt, um – Freierwerberin zu spielen – dieses mißratene Geschöpf?«
Zuerst sah sie ihm fassungslos in das Gesicht, in die Augen, in denen glühheißer Zorn brannte. Doch dann fuhr sie empört auf.
»Holger, ich verbitte mir, in dem Ton von meiner Tochter zu sprechen. Sie ist noch lange nicht mißraten, nur unbedacht und eigenwillig. Sie können sie nur nicht leiden…«
»Da haben Sie recht«, fuhr er nun ihr eiskalt in die Rede. »Und alle, die das Mädchen mit dem minderwertigen Charakter kennen, tun es mit mir. Nur Sie kennen ihre Tochter nicht, in Ihrer verblendeten – Affenliebe.
Ruhig, ich spreche jetzt!« Herrschte er sie an, als sie auffahren wollte, aufs neue. »Es muß endlich einmal gesagt werden, was schon längst hätte geschehen müssen.
Sie nennen Ihre Tochter unbedacht und eigenwillig – ich nenne sie frühreif, kalt, berechnend, egoistisch und rücksichtslos bis zum äußersten. Glauben Sie doch ja nicht, daß es ihr ernst ist mit dem, was da auf dem Zettel steht. Damit wollte sie nur ihren Willen durchsetzen, wie damals, als sie mit ihrem niederträchtigen Theater unsere Ehe vereitelte. Damals wollte sie mich nicht als Stiefvater – aber jetzt begehrt sie mich zum Gatten.
Gibt Ihnen das alles denn gar nicht zu denken, Mechthild? Machen Sie Ihre verblendeten Augen auf – weit, ganz weit, bevor es zu spät ist. Stecken Sie Ebba in ein strenges Erziehungsinstitut, in dem sie ständig eine harte Faust im Nacken spürt – das könnte sie vielleicht noch retten.«
Nach diesen schonungslosen Worten war es wohl eine Minute lang beängstigend still. Auf Mechthilds Gesicht wechselten Röte und Blässe in rascher Folge. Ihre Augen, zuerst wie die eines todwunden Tieres, wurden dann langsam kalt und glitzernd wie Eis. Und eiskalt klang auch ihre Stimme, als sie sagte:
»Wollen Sie das zurücknehmen, Holger?«
»Nein. Was ich gesagt habe, war meine vollste Überzeugung.«
»So – das genügt mir. Wo man mein Kind so unerhört schmäht, habe ich nichts mehr zu suchen. Meine mißratene Tochter und ich werden sie nicht mehr belästigen «
Damit verließ sie hocherhobenen Hauptes das Zimmer. Holger sah ihr nach, sank dann in den nächsten Sessel und barg das zuckende Antlitz aufstöhnend in den Händen. Beruhigend strich die Mutter ihm über die Schulter.
»Junge«, sprach sie gütig auf ihn ein. »Ich weiß wohl, wie dein Herz blutet. Aber besser einen scharfen Schnitt mitten hindurch, als ewig die Reinigenden Nadelstiche. Du hast deine Pflicht getan, hast Mechthild gewarnt. Hört sie nicht auf dich, muß sie später dafür büßen. Geblendete Menschen können nur durch Schaden klug werden.«
*
Als Mechthild nach Hause kam, war Ebba immer noch nicht da. So konnte sie sich wenigstens noch ein wenig sammeln, bevor sie mit der Tochter Rechenschaft hielt.
Und sie war doch so müde, so grenzenlos müde. Was sie eben erlebt, hatte sie noch tiefer in das Dorngestrüpp hineingestoßen, in dem sie schon so lange umherirrte – und nie einen Ausweg fand. Dazu hätte eine gütige helfende Hand gefehlt, nicht eine, die ihr Disteln und Dornen immer nur tiefer ins Herz bohrten und immer mehr blutende Wunden schuf.
Lang saß sie da, geschüttelt von Qual und Pein, bis Ebba draußen Einlaß begehrte.
»Endlich bist du da, Mutti«, sagte sie harmlos, als wäre nichts geschehen. »Wo bist du denn gewesen?«
Bei der Frage lag etwas lauerndes in ihrem Blick, was Mechthild nicht entging. Und ihr kam die leise Ahnung, daß Holger Hadebrandt mit dem, was er über das Mädchen gesagt, doch nicht so ganz unrecht hätte. Empörung stieg in ihr hoch.
»Das fragst du noch, du scheinheiliges Ding! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du den Zettel schriebst? Schämst du dich denn gar nicht, mir einen solchen Schreck einzujagen?«
»Mutti, es war mir bitter ernst damit«, tat Ebba nun zerknirscht. »Ich weiß nicht, ob ich es nicht doch noch tue, wenn Holger…«
»Schweig!« unterbrach die Mutter sie schroff. »Wäre es dir wirklich ernst gewesen, dann hättest du bestimmt keine Lust gehabt, mit einer Freundin die Hauptstraße entlang zu prominieren. Sieh mich nur so entgeistert an, ich weiß Bescheid. Versuche also erst gar nicht, mich aufs neue einzuschüchtern. Ich habe dich nie für einen Engel gehalten, dazu warst du schon allein mir gegenüber zu unbotmäßig und frech. Auch daß du mich schon oft belogen hast, dahinter bin ich bereits gekommen. Daß du aber so schlecht bist, das erschüttert mich geradezu.
Ich werde dir sagen, wie die Menschen, die dich näher kennen, dich charakterisieren: früh-reif, kalt berechnend, egoistisch und rücksichtslos bis zum äußersten. Und ich glaube, sie haben recht. Daher ist meine Güte und Nachsicht, die ich allzeit für dich gehabt, fehl am Platz. Du gehörst in eine strenge Zucht. Und wenn du dich nicht ändern