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Armand
Carl Scharnhorst: Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066114138
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt 6. Biberfang. – Die Bärin. – Der graue Bär. – Der Prairiebrand. – Der wilde Rappenhengst.
Abschnitt 1.
In Deutschland. – Das Frühjahr. – Die Fahrt mit dem Hunde. – Der Sonnenaufgang. – Carl Scharnhorst an dem Felsabhang. – Die Gesellschaft. – Die Schreckensbotschaft. – Freunde im Glück.
In dem schönen gesegneten Werrathale lebte eine Familie, Namens Turner, die aus den beiden Eltern, zwei Söhnen und einer Tochter bestand. Herr Max Turner war Oeconom und hatte ein kleines Gut, die Kluse genannt, in Pacht, welches einer alten Adelsfamilie als Eigenthum angehörte. Schon sein Urgroßvater hatte dieses Gut pachtweise besessen, die Pacht war immer vom Vater auf den Sohn übertragen worden, und so war auch Herr Max Turner in dieselbe eingetreten. Ueber hundert Jahre befand sich die Kluse nun schon in den Händen der Familie Turner, so daß diese das Gut als ihr Eigenthum betrachtete, von welchem sie jährlich eine gewisse Summe Geldes an jene adelige Herrschaft abzugeben hatte. Es war niemals von einer anderweitigen Verpachtung die Rede gewesen, und als vor mehreren Jahren die Güter in Deutschland bedeutend im Werthe stiegen, hatte sich Herr Turner auch gern dazu verstanden, seiner Herrschaft eine angemessen höhere Pacht zu zahlen. Die Kluse lag kaum eine Viertelstunde von der Werra entfernt in einem engen, reich bewässerten Thale, welches sich nach dem Strome hin öffnete und zu beiden Seiten von hohen Bergen eingeschlossen war. Großes Vermögen hatten die Turners nie erworben, dazu bot das kleine Gut die Mittel nicht; doch hatten sie ihre Pacht immer pünktlich entrichtet, hatten ohne große Sorgen gelebt, ihren Kindern stets eine gute Erziehung geben lassen und dabei eine kleine Summe baaren Geldes zurückgelegt, wie man zu sagen pflegt für böse Tage, die da kommen könnten. Ebenso stand es nun mit Herrn Max Turner. Auch er besaß kleine Capitalien, die er in dem nahen Städtchen auf Grundstücke ausgeliehen hatte; er lebte zufrieden und ohne Sorgen und bot Alles auf, um seine Kinder so viel als möglich lernen zu lassen; denn er war der Ansicht, daß eine gute Erziehung bei reichen Kenntnissen mehr werth sei, als alles Vermögen. »Wer etwas Tüchtiges gelernt hat,« sagte er oft, »der führt ein Capital mit sich, das ihn in jeder Lage seines Lebens und unter allen Verhältnissen ernährt und welches ihm Niemand nehmen kann.« Seine vierzehnjährige Tochter Julie war sein ältestes Kind; darauf folgte ein Sohn, Arnold, im Alter von elf Jahren, und Wilhelm, der zweite Sohn, hatte sein neuntes Jahr erreicht. Außerdem befand sich noch ein Knabe in der Familie, welcher gleichfalls zu derselben gezählt wurde und Carl Scharnhorst hieß. Seine Mutter, die Schwester des Herrn Turner, war an einen Doctor Scharnhorst verheirathet gewesen; Beide waren vor mehren Jahren gestorben, und Carl Scharnhorst wurde als Waise von seinem Onkel in die Familie aufgenommen und als eigenes Kind betrachtet und behandelt. Carl war vierzehn Jahre alt und ein Knabe von ungewöhnlichen körperlichen wie geistigen Anlagen. Er war ein schöner, kräftiger, gesunder Junge mit braunem lockigen Haar, großen, blauen lebendigen Augen und offenem, ehrlichen, edel geformten Gesicht. Schnell und gewandt in seinen Bewegungen, war er auch rasch und entschlossen in seinen Handlungen und verrieth bei Allem, was er that, ein Herz voll Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit. Mit leidenschaftlicher Anhänglichkeit hing er an den Kindern seines Onkels, die er Schwester und Brüder nannte, und seine Schulkameraden, denen er seine Freundschaft einmal zugesagt hatte, konnten sich bei jeder Gelegenheit unbedingt auf ihn verlassen. Die dankbare Verehrung und kindliche, herzinnige Liebe aber gegen seine Pflegeeltern kannte gar keine Grenzen, er schien nach ihren Gedanken zu haschen, um ihren Wünschen zuvorkommen zu können.
Herr Turner war ein ernster, verständiger Mann im Alter von noch nicht ganz vierzig Jahren, er war groß und stark gebaut, hatte glänzend schwarzes Haar, dunkele beredte Augen, aus denen Biederkeit und Entschlossenheit sprachen, und seine hohe offene Stirn zeugte von gründlichem tiefen Denken. Seine Frau Marie dagegen war eine helle Blondine mit himmelblauen, so freundlichen, liebreichen Augen, daß Jedermann, der ihren Blicken begegnete, sie lieb gewinnen mußte. Sie war eine schöne gesunde Frau, der man es ansah, daß sie die Hände nicht oft in den Schooß legte, und daß sie nur für ihre Familie und für ihre Wirthschaft lebte. Von früh Morgens bis Abends spät war sie in ihrem Haushalte beschäftigt, und da ihre Tochter Julie seit einigen Wochen die Schule verlassen hatte und confirmirt worden war, so mußte sie ihr bei den häuslichen Arbeiten zur Hand gehen.
Julie versprach ganz das Ebenbild ihrer Mutter zu werden, sie hatte dieselben blonden Haare und blauen Augen, und dieselbe Anmuth und Lieblichkeit lag in ihrem ganzen Wesen. Arnold, ihr jüngerer Bruder dagegen, mit schwarzem Haar und dunkeln Augen, glich mehr seinem Vater, während Wilhelm, der jüngste, wieder blond war und auf die Mutter artete. Wahres Glück und wahrer Segen ruhte auf dieser Familie; mit unbegrenzter Liebe und unermüdlicher rastloser Fürsorge wachten die Eltern über das Wohl der Kinder, und mit gleicher Liebe und Dankbarkeit hingen diese an den Eltern. Zutrauen und Einigkeit verbanden sie innig, und kein Opfer war ihnen zu groß, um einander gefällig zu werden und sich gegenseitig Freude zu bereiten. In wahrer Frömmigkeit waren sie alle Gott ergeben und bekannten mit dankbarem