Armand

Carl Scharnhorst: Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika


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Seinigen folgten seinem Beispiele. Mit wenigen klaren, aus tiefem Herzen kommenden und zum Herzen dringenden Worten dankte er Gott für die unendlich vielen Wohlthaten, die er ihm und seiner Familie hatte angedeihen lassen, und flehte um seinen ferneren Segen. Mit demüthiger Andacht folgten Mutter und Kinder dem Gebet, und nach dessen Beendigung wünschten sich Alle gegenseitig guten Appetit.

      »Daran wird es uns Allen gottlob nicht fehlen, denn wir haben ja sämmtlich unsere Schuldigkeit gethan und unsere Herzen drückt keine Schuld und kein Kummer,« sagte Turner, indem er die Schüssel mit Speisen nahm, sich derselben bediente, und sie dann weiter reichte.

      »Ich hätte Euch nun wohl einen Vorschlag zu machen, das heißt, wenn Ihr früh aufstehen könntet,« fuhr er nach einer Weile fort. »Wie wäre es, wenn wir morgen früh auf der Wichtelkuppe die Sonne aufgehen sähen?«

      »Ach ja, lieber Vater!« fielen die Kinder jubelnd ein, und auch die Mutter stimmte freudig dafür.

      Die Mahlzeit war bald gehalten und Madame Turner rückte auf der Bank näher zu ihrem inniggeliebten Gatten, um sich in treuer Liebe an seine Seite zu schmiegen. Der Mond blickte silberhell in die Laube, der Maiwurm glühte im Grase und die Nachtigall flötete ihre süßen Lieder im nahen Gesträuche. Die laue Nachtluft trug den tausendfältigen Duft der Frühlingsflur hin und wieder, und der nahe Bach rauschte und murmelte in dem Gestein, über welches seine krystallklaren Wellen spielten.

      »Der allmächtige gütige Gott hat uns doch überreich gesegnet, Marie,« sagte Turner im Gefühle seines großen Glückes zu seiner Gattin, und sah nach den Kindern hin, die in den krummen Wegen des Gartens spielten und sich jauchzend und lärmend auf denselben hin- und herjagten. »Sieh unsere Kinder an, wie sie geistig und körperlich gedeihen, wie sie gut und ehrlich denken und fühlen, wie jede Unwahrheit, jedes Unrecht ihnen verhaßt ist, und wie sie kräftig und übermüthig emporwachsen.«

      »Gott der Gütige erhalte uns unser Glück, Max, wir sind vor Tausenden von ihm bevorzugt. Unsere Kinder sind gut, wir haben keine Sorgen, und unsere Liebe hat uns den Himmel auf Erden gegeben. Mag unsere Bitte um Erhaltung unseres Glücks dem Allmächtigen nicht unbescheiden klingen; fast ist es zu groß für diese Welt,« sagte Madame Turner, zum Himmel aufblickend, und das Mondlicht spiegelte sich in den Freudenthränen, die unter ihren langen Wimpern glänzten.

      Es war schon spät, als die Familie den Garten verließ und sich zu ihrer Ruhestätte begab, um noch einige Stunden sich in sorglosem glücklichen Schlafe zu stärken; aber lange vor dem ersten Grauen des Tages schon weckte Herr Turner die Schläfer, und Alle schossen schnell in die Kleider, um zum Aufbruch nach der Wichtelkuppe bereit zu sein.

      Noch war der Mond nicht versunken und er warf sein Licht über den rohen Fahrweg, der sich, steil hinansteigend, zwischen den Bergen nach dem erwählten Ziele der frühen Wanderung hinaufwand. Herr Turner, mit einem schweren Stocke bewaffnet, schritt mit seiner Gattin voran, dann folgten ihre drei Kinder, und Carl Scharnhorst beschloß mit Pluto den Zug. Ein Jedes von ihnen hatte Etwas zu tragen, denn es waren Milch, zwei Bouteillen Wein und ein tüchtiger Vorrath von frischem Kuchen, so wie einige Gläser mitgenommen, und Alles war unter die Gesellschaft zum Tragen vertheilt worden.

      »Warum heißt denn der Berg die Wichtelkuppe, Vater?« fragte Arnold.

      »Es ist eine alte Sage, die dem Berge diesen Namen gegeben hat. Man erzählte sich vor langen Jahren, daß in den Kohlenbergwerken am Meißner, dort drüben an der andern Seite der Werra, gute Geister in der Gestalt von ganz kleinen Menschen leben sollten, die man Wichtelmänner nannte. Diese Geister, sagte man, hielten in mondhellen Nächten ihre Zusammenkünfte und ihre Tänze auf jenem Berge, und darum nannte man ihn die Wichtelkuppe. In früheren Jahren gab es noch viele sehr unwissende Menschen, die an solche Geistergeschichten glaubten; heutzutage aber lacht man darüber, da man weiß, daß es nur ein Geist, ein großer allmächtiger gütiger Geist ist, der allenthalben unsichtbar gegenwärtig und der uns und diese Erde, so wie alle die Welten geschaffen hat, die wir am Himmel über uns sehen. Dieser einzige Geist ist der gütige Gott, den Niemand zu fürchten hat, wenn er recht thut. Andere Geister giebt es nicht, und wem einmal ein angeblicher Geist begegnen sollte, der fasse ihn nur gleich beim Kragen, und er wird sogleich finden, daß er einen Menschen, oder sonst einen Gegenstand vor sich hat. Nur dumme Furcht, oder ein böses Gewissen können Gespenster sehen. Nehmt Euch hier in Acht, Ihr Jungen, daß Ihr nicht fallt, es ist dunkel in diesem Hohlweg, und es liegen viele Steine darin,« sagte Turner, sich nach den Knaben umsehend. »Wer trägt denn die zweite Flasche Wein?«.

      »Ich habe sie, Onkel, ich werde sie nicht zerbrechen,« rief Carl, der etwas zurückgeblieben war.

      Der dunkle Hohlweg war bald durchschritten und eine steinige Höhe erreicht, von der man auf die Kluse hinabsehen konnte. Hier wurde für einige Minuten Halt gemacht, weil der Weg bis hierher sehr steil gewesen war. Bald aber ging es wieder vorwärts, und immer noch gab der Mond Licht genug, um den Weg erkennen zu können. Ueber eine Stunde lang waren die Wanderer in der fröhlichsten Laune scherzend und lachend, beinahe fortwährend bergauf gestiegen, als sie plötzlich die höchste Spitze der Wichtelkuppe erreicht hatten, und wie von einem Thurme herab in das tiefe Werrathal hinunter schauten. Der Mond hatte den Saum der Gebirge erreicht und warf seinen letzten Blick auf den ruhigen Spiegel des Stromes, der sich wie eine glänzende silberne Schlange durch das tiefe dunkele Thal hinwand. Bald aber versank die helle Mondscheibe hinter dem Berge, die Nacht breitete ihr Dunkel über die Erde, und die Sterne blitzten und funkelten lebendiger. Nur im Osten zeigte der Himmel über den Gebirgssäumen einen bleichen Streif, der den nahenden Tag verkündete. Von Minute zu Minute wuchs dieser Lichtschein und seine bleichgelbe Farbe ging in ein zartes Rosenroth über. Zugleich zitterte die Morgendämmerung über die Berge, und die einzelnen Basaltkuppen und Waldstriche wurden im Thale sichtbar. Der Himmel färbte sich immer feuriger, immer prächtiger, bis seine ganze östliche Hälfte mit einem glühenden Roth bedeckt war.

      Turner, dessen Gattin, und um sie herum die Kinder hatten sich auf Felsstücke niedergesetzt, und hielten erwartungsvoll und von heiligen Schauern durchbebt, die Blicke auf den Fleck über dem dunkeln Gebirgsrücken geheftet, von wo aus die Gluth am Himmel aufzusteigen schien. Plötzlich wurde dort ein glänzender heller Lichtpunkt sichtbar, die goldene Scheibe der Sonne stieg empor, und ihr Strahlenlicht ergoß sich über die Erde.

      »Erkennt die Größe des allmächtigen Gottes in diesem seinen Werke!« sagte Turner zu den Kindern, indem er die Hand nach dem aufsteigenden Gestirn erhob. »Wie Alles in der ganzen Schöpfung Gottes Gnade bekundet, so sendet auch dieses göttliche Werk Leben, Segen und Gedeihen über unsern Erdball. Seht nur, wie die Natur erwacht und wie Alles neu belebt wird!«

      Kein Wölkchen war am Himmel zu erblicken, blau und durchsichtig spannte er seinen hohen Bogen über die weite, im goldenen Morgenlicht glänzende Berglandschaft, frisch und erquickend zog die Luft durch das Thal, und rollte den leichten Nebel, der die Werra wie mit einem weißen Schleier bedeckte, in kleinem Gewölk nach den Höhen hinauf, und Alles schien für den ersten Pfingsttag geschmückt.

      In die Herzen der Familie Turner war der Festtag schon mit dem Erwachen der Natur eingezogen, und so wie die Vögel hoch in der Luft und unten im Thale sich unter fröhlichem Gesange des Morgens erfreuten, so gaben auch Turners sich der beglückenden Heiterkeit hin, die ihnen von allen Seiten entgegenlachte. Noch über eine Stunde verweilten sie im Genusse des herrlichen Morgens auf der luftigen Höhe, ehe sie an den Heimweg dachten. Als aber Madame Turner daran erinnerte, daß man aufbrechen müsse, um zur rechten Zeit in der Kirche erscheinen zu können, schlug ihr Gatte vor, auf dem kürzeren Fußpfad, der an den Werra-Abhängen hinführte, zurückzugehen. Alle stimmten freudig ein, weil dieser Weg beinahe fortwährend einen Blick in das tiefe Thal gestattete, und so traten sie dann abermals ihre Wanderung an. Der Pfad aber war schmal, so daß nur eine Person darauf Platz hatte, und von Herrn Turner geführt, folgte Einer dem Andern. Oft blieben sie stehen, um die steilen Felswände zu beiden Seiten des Flusses zu bewundern, oder den kleinen Fischernachen nachzublicken, die wie schwarze Punkte auf der Werra hinglitten. Wohl die Hälfte des Heimweges hatten sie bereits zurückgelegt, als sie auf dem hohen Bergsaum einen Platz erreichten, wo der Pfad an einer Felswand hinführte, und wo an dessen anderer Seite der, mit losem Gestein bedeckte Boden sehr steil abschüssig wurde, und in einer Entfernung