Armand

Carl Scharnhorst: Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika


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nach der Laube zurückkehrte, war der Tisch bereits gedeckt. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als die Gäste den Heimweg antraten und ihren freundlichen Wirthen einen neuen Beitrag zu dem Glauben hinterließen, daß sie mehr aufrichtige wahre Freunde besäßen, als andere Menschen.

      Der folgende Tag war für die Arbeiter noch ein Festtag, Herr Turner war aber seiner Gewohnheit nach schon am frühen Morgen davongeritten, um die Felder und Wiesen in Augenschein zu nehmen. Auch Madame Turner hatte sich, wie an Werktagen, vor Aufgang der Sonne in ihrer Wirthschaft eingefunden, um mit Julie beim Melken, beim Buttern und beim Bereiten des Frühstücks zugegen zu sein. Die Knaben waren, weil sie heute die Schule noch nicht zu besuchen brauchten, frühzeitig nach dem Flusse gegangen und hatten eine tüchtige Tracht Fische gefangen, wozu Carl die Angeln angefertigt hatte. Im Triumph trugen sie die reiche Beute in die Küche, damit Madame Turner die kleineren Fische noch zum Frühstück in der Pfanne backen möge, während die größeren für das Mittagsessen aufgehoben werden sollten. Dann nahm Carl seine beiden Halbbrüder mit sich hinaus, um Herrn Turner entgegen zu gehen, da sie genau den Weg kannten, auf welchem derselbe zurückzukehren pflegte. Pluto natürlich mußte sie begleiten, und jubelnd sausten sie durch das bethaute Gras der nahen Wiese, um an deren anderen Seite den Pfad einzuschlagen, der zwischen den Feldern hinführte. Kaum hatten sie denselben aber erreicht, als Herr Turner schon herangetrabt kam und die junge Gesellschaft nach dem Hause zurückführte.

      Bald darauf trat Julie in ihres Vaters Zimmer, um ihn zum Frühstückstisch zu rufen, bei welchem sich die Familie schnell sammelte; denn Alle waren schon seit mehren Stunden thätig gewesen, und erfreuten sich eines gesunden Appetits. Als nach dem üblichen Tischgebet der Teller mit rohem Schinken und das Brod und die Butter herumgereicht wurden, und Julie den Kaffee und die frische Milch darbot, nahm Herr Turner das Wort, und rühmte den Segen, der weit und breit auf den Fluren ausgebreitet läge.

      »Alles steht ungewöhnlich gut und im Ueberfluß, und wenn der Himmel uns ferner gnädig ist, so machen wir eine außerordentlich reiche Ernte. Die Kluse ist und bleibt doch eine Goldgrube, und –«

      In diesem Augenblick trat das Hausmädchen mit einem Briefe in der Hand in das Zimmer, und meldete, daß ein Bote der adeligen Herrschaft, deren Eigenthum die Kluse war, das Schreiben abgegeben habe.

      »Sage ihm, er solle warten, vielleicht bekommt er Antwort mit,« rief Turner dem Mädchen zu, indem er aufstand und den Brief erbrach.

      »Er ist schon fort, und sagte, daß er nicht auf Antwort zu warten brauche,« entgegnete die Dienerin und verließ das Zimmer, während Turner mit den Worten: »was mögen die wollen?« nach dem Fenster trat und das Papier entfaltete.

      Madame Turner war unwillkürlich mit dem Blick ihrem Gatten gefolgt; dieser wurde plötzlich bleich, das Papier bebte in seiner Hand, er las das Schreiben noch einmal durch, und faltete es dann schnell zusammen, um es in der Rocktasche zu verbergen. Da begegneten seine Augen dem ängstlich fragenden Blick seiner Gattin.

      Er sagte nichts, und Madame Turner fragte nicht; es war aber ein Schweigen, wie wenn ein Gespenst in die Stube getreten wäre und hätte ihnen die Worte auf den Lippen erstarrt. Turner legte seine Serviette neben seinem Teller nieder und verließ das Zimmer.

      Carl war aufgesprungen und wollte seinem Onkel nacheilen, doch Madame Turner hielt ihn mit den Worten zurück: »geh mit Arnold und Wilhelm in den Garten, bist auch ein guter Carl. Der Vater hat jetzt Geschäfte.«

      Dann sandte sie Julie mit dem Tischgeräth fort und blieb allein in dem Zimmer zurück.

      Mit angsterfüllter Brust stand sie einige Augenblicke, unschlüssig, was sie thun solle. Es war etwas Ernstes, etwas Schreckliches geschehen, das hatte ihr der Blick ihres Gatten gesagt – was aber konnte es sein – was in der Welt gab es, dessen Verlust einen solchen erschütternden Eindruck auf Turner machen konnte? Sie mußte es wissen – sie mußte das Unglück mit dem Gatten tragen, wie sie das viele Glück mit ihm getheilt hatte!

      Schnell glitt sie aus der Stube durch den langen Corridor nach dem Zimmer ihres Gemahls und öffnete leise die Thür.

      Turner saß in dem Lehnstuhl, seine Arme stützten sich auf seine Kniee, sein Kopf war auf seine Hand gesunken, und der Schreckensbrief lag vor ihm auf dem Fußboden. Er hatte es nicht gehört, als seine Gattin in das Zimmer und zu ihm an den Stuhl trat. Sanft neigte sich diese zu ihm nieder, legte leise ihren Arm um seine Schultern und weckte ihn aus seiner Erstarrung. Einen Augenblick sah er der geliebten Lebensgefährtin in die thränenschweren Augen und sagte dann mit dumpfer Stimme: »ja, ja, Marie, das Glück ist auch bei uns wandelbar geworden; wir müssen in diesem Herbst die Kluse verlassen!«

      »Großer Gott! und warum denn?« fragte Madame Turner mit bebender Stimme und drückte ihre gefalteten Hände gegen die Brust.

       »Der zweite Sohn unserer Gutsherrschaft soll die Kluse als Erbtheil erhalten, und will sie selbst bewirthschaften. Er ist verlobt, wird im Herbst heirathen, und dann hierher ziehen. Unsere Pacht läuft um diese Zeit ab, und die Bedingungen in dem Pachtbriefe sind der Art, daß wir nichts gegen diesen harten Beschluß einwenden können.«

      »Die Leute werden doch unmöglich so an uns handeln, sie können uns nicht so ohne Weiteres davonjagen, ehe wir eine andere Pachtung haben,« sagte Madame Turner, nach Trost haschend.

      »Sie können es, Marie, und sie wollen es.«

      »Es wäre ja eine unerhörte Rücksichtslosigkeit, eine Grausamkeit sonder Gleichen. Das Gut ist schon über hundert Jahre in den Händen Deiner Familie gewesen, Du hast mit Freuden die verlangte höhere Pacht bezahlt und Alles in so guten Stand gesetzt, wie es niemals früher gewesen ist – es wäre unerhört, ja sündlich, so gegen uns zu verfahren!« fuhr Madame Turner fort, und suchte gefaßt zu erscheinen, während die Thränen über ihre Wangen rollten.

      »Und doch wird es geschehen,« entgegnete Turner; »sie schreiben, daß eine Aenderung in dem Beschlusse unmöglich sei. Wir kommen in eine verzweifelte Lage. Großes Vermögen besitzen wir nicht, wenn wir unser Inventar verkaufen müssen, werden wir bedeutend dabei verlieren, und dann, wo wollen wir so schnell wieder eine Pachtung finden? Eine zweite Kluse giebt es für uns nicht; der Goldbaum hat uns seine letzten Früchte getragen; das Glück will uns verlassen, Marie!«

      »Gott hat uns ja noch nie verlassen, Max, und er wird es auch jetzt nicht thun! Auf einem andern Gute können wir ebenso glücklich sein, wenn wir uns auch etwas mehr einschränken müssen,« entgegnete Madame Turner, indem sie unbemerkt sich die Thränen von den Augen wischte.

      »Ein anderes Gut, das ist leicht gesagt; wenn uns aber die Mittel nun nicht ausreichen sollten!« erwiederte Turner vor sich hinblickend.

      »Turner – wir haben viele reiche und gute Freunde,« nahm die Frau wieder das Wort, indem sie die Hand ihres Gatten ergriff und ihm, wie mit einem Trost in die Augen sah.

       »Du hast Recht, Marie,« sagte Turner nach kurzem Schweigen, »ich habe nicht an sie gedacht; sie werden, wenn es nöthig sein sollte, uns gern helfen, da sie wissen, daß sie es mit rechtlichen Leuten zu thun haben. Ich will übrigens gleich nach Tisch zu meiner Gutsherrschaft reiten, und sie zu bereden suchen, daß sie mir die Kluse wenigstens noch auf ein Jahr in Pacht läßt. Dann kann ich mich nach einem anderen Gute umsehen und Vorbereitungen zu unserem Umzuge treffen. Die Leute werden ja billig sein.«

      Mit diesen Worten ergriff Turner, leichter aufathmend, den Brief und legte ihn auf den Tisch, während seine Gattin ihren Arm in den seinigen schlang und nun mit ihm im Zimmer auf und nieder schritt.

      »Ich habe seit vergangenem Jahre wiederholt auf Erneuerung meines Pachtcontracts gedrungen, es wurde aber immer hinausgeschoben und ich hielt es wahrlich kaum noch für nöthig, einen Contract mit den Leuten zu machen, weil die Kluse ja die langen Jahre in meiner Familie geblieben ist. Wer hätte so etwas denken können!« sagte Turner im Auf- und Niedergehen.

      »Die Kluse können uns die Menschen nehmen, unser Glück aber nicht, Max, wir nehmen es mit uns, wohin wir auch ziehen, wenn Gott nur uns Allen unsere Gesundheit erhält. An Arbeit sind wir gewöhnt und thun sie gern. Sprich einmal mit den Leuten, und versuche es, sie zur Billigkeit zu stimmen. Uebrigens ist die Kluse ja nicht das einzige