kann doch solche Sachen überlegen, und braucht nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sieh, Victor schreibt, daß man dort in seiner Nähe gutes Land für zehn bis fünfzehn Thaler den Morgen kaufen kann, und daß weiter im Westen das Regierungsland nur etwa drei hiesige Thaler kostet. Denke einmal darüber nach, ob es nicht für drei so tüchtige Buben, wie wir deren haben, besser ist, wenn der Vater ein gutes Stück Land als Eigenthum besitzt, als daß er den Pächter auf einem fremden Gute spielt, von dem man ihn beim Ablauf der Pacht verjagen kann. Und, sage selbst, läge das Wasser nicht zwischen den beiden Erdtheilen, wer würde sich nur einen Augenblick bedenken, nach Amerika hinüber zu wandern?«
»Das alte Sprichwort sagt,« bemerkte Madame Turner: »Bleibe im Lande –«
»Und mache es so, wie es die Väter machten, und wenn es auch gar nicht mehr in die Zeit paßt,« unterbrach sie ihr Gatte, »es ist ja nur, daß man darüber spricht, Marie; noch wollen wir ja nicht auswandern. Da, nimm den Brief und lies ihn morgen einmal mit Muße.«
Nun öffnete Turner die übrigen Schreiben, die jedoch nichts von Wichtigkeit brachten, und dann begann er die während seiner Abwesenheit angekommenen Zeitungen zu durchsuchen, ob nicht darin eine offene Pachtung angekündigt sei.
Madame Turner war nachdenkend geworden und blickte, von den Anderen unbeachtet, bald ihren Gatten, bald ihre Kinder an, denn Alle waren mit Lesen beschäftigt, sie allein nur strickte. Turner verbrachte den ganzen Abend mit Durchsehen der Zeitungen, wobei er sich nicht gern stören ließ, weshalb die Stunden ziemlich schweigsam verliefen.
»Sieh, da habe ich die älteste Zeitung bis zuletzt aufgespart,« sagte er, indem er das Blatt entfaltete. »Es wird aber wohl ebenso wenig Interessantes für mich darin sein, als in den andern.« Er überblickte den Inhalt nur flüchtig, und wollte das Papier zu den anderen legen, als eine Anzeige, die auf der letzten Seite stand, seine Aufmerksamkeit fesselte.
»Ist es möglich,« sagte er, freudig überrascht, »das Gut Schwaneberg in Sachsen soll verpachtet werden, der Eigenthümer will es nicht mehr selbst bewirthschaften. Ja, wenn ich das bekommen könnte, da würde ich mich nicht einen Augenblick besinnen. Ich kenne es ganz genau, denn ich habe einen Theil meiner Lehrzeit darauf zugebracht; es ist nicht zu groß, und vortrefflich in jeder Beziehung, hätte ich nur schon vor meiner Abreise diese Anzeige gesehen, ich würde die Reise gar nicht gemacht haben. Sogleich will ich aber an den Besitzer schreiben, damit der Brief morgen frühzeitig abgeht; wenn mir nur kein Anderer schon zuvorgekommen ist.« Er stand rasch auf, nahm die Zeitungen und die Briefe und eilte nach seinem Zimmer.
Am folgenden Morgen, während Turner nach der Post ging, setzte sich Madame Turner an das Fenster und begann den Brief von Amerika zu lesen. Sie that es halb mit Widerwillen und mit der Ueberzeugung, daß sie, was auch darin stehen möge, niemals für eine Auswanderung in das fremde Land stimmen würde. Während des Lesens aber wurde sie aufmerksamer, sie hielt wiederholt inne und sah nachdenkend über das Papier hinweg, und als sie mit Lesen zu Ende war, begann sie das Schreiben abermals durchzublättern. Der Vetter ihres Mannes hatte die großen Vorzüge Amerika's, namentlich die für Oeconomen, so klar und deutlich geschildert, und den reichen Ertrag der Länderei so anschaulich hervorgehoben, daß Madame Turner, trotz ihres Vorurtheils, Nichts dagegen einzuwenden vermochte. Er hatte aber insbesondere auf die Kinder Turners hingewiesen und ihm auseinandergesetzt, daß er, wenn er auf der Kluse bleibe, denselben niemals eine sichere Zukunft bereiten könne, wenn sie auch sämmtlich auf diesem Gute immer genug zu leben hätten. In Amerika aber würde er mit Leichtigkeit einem jeden der Knaben ein eigenes Gut in seiner Nähe einrichten können, so daß sie für Lebzeiten versorgt sein würden. Dann beschrieb er die unabhängigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse so schön und angenehm, gab eine so herrliche Schilderung von dem prächtigen Lande und dem reizenden Klima, daß Madame Turner das Bild Amerika's mit jedem Augenblicke in einem schönern Lichte sah.
Wieder und immer wieder nahm sie das Schreiben von ihrem Nähtisch auf, um einzelne Abschnitte desselben noch einmal zu überlesen, und sie hatte es abermals offen vor sich auf den Tisch gelegt, als Turner von der Post zurückkehrte und in das Zimmer trat.
»Nun, hast Du den Brief gelesen und was hältst Du davon?« fragte er die Gattin.
»Der Brief ist ganz vernünftig geschrieben; es muß Deinem Vetter sehr gut gehen und ihm sehr gefallen,« entgegnete Madame Turner mit einem Ausdruck der Zufriedenstellung.
»Und Du siehst nun wohl auch ein, daß es nicht geradezu Thorheit ist, wenn man gelegentlich die Sache überlegte?« bemerkte Turner abermals halb fragend.
»Max, Dein Urtheil ist freier und richtiger, als das meinige, Deine Ansicht ist mein Glaube, Dein Wunsch ist mein Wille, und Deine Wohnstätte ist mein Himmel. Was Du im Leben auch beschließen, wohin Du auch gehen magst, ich folge Dir, und ginge es an das Ende der Welt. Nur laß uns Nichts übereilt thun und nicht Gutes weggeben, ehe wir sicher sind, Besseres dafür zu bekommen. Für unsere Kinder leben wir, und was wir für ihr Wohl thun können, darf uns kein Opfer sein,« antwortete die Frau mit einem Tone liebevollster Hingebung und reichte ihrem Gatten die Hand.
»Du bist ein Engelsweib, Marie, und ich verspreche es Dir, Nichts ohne Deinen Willen, ohne Deines Herzens Zustimmung zu beschließen. Kann ich das Gut Schwaneberg bekommen, so bleiben wir hier im Vaterlande, wo nicht, so wollen wir über Amerika sprechen.«
Von diesem Augenblick an war unverkennbar ein frischer Lebensfunke in die Gemüther der beiden Gatten gefallen; die Ungewißheit über ihre Zukunft hatte sie plötzlich verlassen, sie hatten außer der einen noch zweifelhaften Aussicht noch eine zweite in Amerika, und diese erfüllte sie von Stunde zu Stunde mit schöneren Hoffnungen. Der Brief von dem Vetter wurde immer wieder hervorgeholt, er wurde Abends beim Thee laut vorgelesen und besprochen, und die Kinder, namentlich aber Carl, redeten von Nichts mehr als von Amerika. Ja, der Wunsch Turners, eine günstige Antwort über das Gut Schwaneberg zu erhalten, wurde täglich weniger dringend, und als nach mehreren Tagen der erwartete Brief von dem Eigenthümer des Gutes ankam, öffnete ihn Turner sogar mit einem leisen Hoffnungsgefühl, daß er eine abschlägige Antwort enthalten möge. So war es denn auch: der Besitzer des Gutes meldete mit Bedauern, daß er vor nur wenigen Tagen einem Andern die Pacht zugesagt habe.
»Da ist die Antwort über Schwaneberg, Marie,« sagte Turner zu seiner Gattin, indem er in ihr Zimmer trat und ihr den Brief hinreichte. »Die Vorsehung zeigt uns augenscheinlich den Weg, den wir wählen sollen; hier in Deutschland schlägt uns Alles fehl. Das Gut ist bereits verpachtet.«
Madame Turner nahm ihrem Gatten den Brief halberschrocken ab; denn so angenehm sie auch der Gedanke an das schöne Amerika umgaukelt hatte, so war doch die Vorliebe für das traute, alte Deutschland zu fest in ihrem Herzen eingewurzelt, als daß eine plötzliche Entscheidung, ob in dem Vaterlande zu bleiben, oder ihm auf ewig Lebewohl zu sagen, sie nicht hätte mit Zaghaftigkeit ergreifen müssen.
»Also wirklich, es ist schon verpachtet? Das ist mir sehr leid – Du hattest Dich so darauf gefreut – und wir würden dort ein sicheres gutes Brod gefunden haben,« sagte sie etwas kleinlaut, indem sie den Brief öffnete und durchblickte.
»Du siehst, Marie, wie sich Alles so wunderbar gefügt hat, um uns hier frei zu machen und unsere Blicke nach der neuen herrlichen Welt zu richten. Laß uns ruhig und ohne alle Vorurtheile überlegen, dann aber auch entschlossen und muthig handeln. Es gilt das Glück unserer Kinder.«
»In Gottes Namen erkläre ich mich zu Allem bereit, was dieses und Dein eigenes Wohl fördern kann, Max. Laß uns Alles reiflich überlegen und dann entscheide; der Himmel wird uns dort, so wie hier gnädig sein,« entgegnete die Frau entschlossen, indem sie ihres Gatten Hand ergriff und dieser sie an seine Brust drückte. Noch am selbigen Abend ward der Beschluß gefaßt, nach Amerika auszuwandern.
Frisches Leben und rege Thätigkeit war jetzt in die Familie Turner gekommen, und alles Denken, alles Streben richtete sich auf das neue Ziel, auf die neu zu gründende Heimath. Schon am folgenden Tage antwortete Turner seinem Vetter Victor in Amerika, und zeigte ihm an, daß er sich entschlossen habe, mit seiner Familie nach dort zu ziehen. Er bat ihn zugleich, nun so schnell als möglich ihm, nach seinen gemachten Erfahrungen, mit Rath an die Hand zu gehen und ihm