Von dem für das Wohl ihrer Kinder gefaßten großen Entschluß beseelt, und von dem festesten Willen, denselben mit allen Kräften zu einem glücklichen Ende auszuführen, durchdrungen, saßen Turner und dessen Frau auf dem vorderen Theile des Schiffes und nahmen schweigend von jedem zurückgelassenen Dörfchen, von jedem Berge, ja von dem ganzen lieben Werrathale Abschied – Abschied auf Nimmerwiedersehen. Niemals war ihnen das Thal so lieblich, so reizend erschienen, als jetzt, wo sie ihre Blicke zum letzten Male daran weideten; niemals war ihnen die Werra so klar smaragdgrün vorgekommen, als jetzt, wo ihre dahineilenden spielenden Wellen sie den Wogen des Weltmeeres zutrugen. Es war Abend, als das Thal sich öffnete, und das malerisch schön gelegene Städtchen Münden im Duft der blauen Ferne sichtbar wurde. Dort war das Ziel dieses ersten Tages der angetretenen langen Reise. Bald glitt das Boot an dem altergrauen Herzogsschloß vorüber der Weser zu, und legte sich, wo die Fluthen der beiden Ströme sich vereinigen, an die Seite eines größern Schiffes, welches die Reisenden am folgenden Tage aufnahm und sie glücklich nach Bremen trug. Hier gönnte man ihnen einige Ruhe, weil das Schiff, welches sie nach Amerika führen sollte und welches unweit der Wesermündung vor Anker lag, seine Ladung noch nicht vollständig eingenommen hatte. Diese Rasttage benutzten sie, um sich noch mit vielerlei kleinen Bedürfnissen zur Reise zu versehen.
Turner zahlte sein Geld an ein großes Banquierhaus, von welchem er dagegen Wechsel auf Baltimore, dem Ziel der Reise, erhielt, und wohl versorgt mit allem Nöthigen, begab er sich nebst den Seinigen nach mehreren Tagen an Bord eines Segelfahrzeugs, welches sie auf das Seeschiff bringen sollte. Ihr Fuß hatte jetzt zum letztenmale die heimathliche Erde berührt, und mit tiefer Wehmuth sahen sie Bremen bald hinter sich in der Ferne verschwinden. Der Wind war stark und günstig, eilig glitt das Fahrzeug auf dem sich rasch erweiternden Strome dahin, und als die Sonne sich neigte, schaukelte es sich auf hohen halbsalzigen Wogen bis an die Seite des Schiffes Goliath, welches in großer Entfernung vom Lande vor Anker lag. Der Kapitain dieses mächtigen Schiffes, ein kräftiger wettergebräunter Seemann, Namens Bosse, bewillkommnete die Familie Turner von der hohen Brüstung herab, ließ eine hölzerne Treppe aushängen, und unterstützte mit seinem Steuermann die Passagiere, das Fahrzeug zu besteigen. Carl Scharnhorst war der Letzte, der noch im Boote zurückblieb, weil er erst seinen Liebling, Pluto, sicher an Bord des Goliath wissen wollte. Er hob ihn in seinen Armen an der Treppe in die Höhe, wo der Steuermann den Hund an dem Halsband erfaßte und ihn zu sich hinauf zog, und dann erst folgte Carl nach.
Als Turners glücklich auf dem Verdeck angelangt waren, reichte der Kapitain ihnen sämmtlich die Hand und versicherte ihnen, daß er Alles aufbieten werde, um ihnen die Reise so angenehm als möglich zu machen. Er führte sie dann in die prächtig ausgestattete Kajüte, wo sie zum Willkommen ein Glas Wein mit ihm trinken sollten. Sie hatten kaum Platz genommen, als die Kinder und auch Madame Turner plötzlich erschrocken auffuhren, denn ein Mann, so schwarz wie Ebenholz, trug den Wein und die Gläser herein. Es war der erste Neger, den sie in ihrem Leben erblickten, und sein plötzliches Erscheinen hatte sie sehr überrascht. Gleich darauf stimmten sie aber in das Lachen mit ein, in welches der Neger selbst ausbrach, weil er bemerkte, daß seine schwarze Farbe den Fremden einen solchen Schreck eingejagt hatte. Es war ein sehr freundlicher gutmüthiger Mensch, hieß Daniel, oder kurzweg Dan, und hatte die Aufwartung in der Kajüte zu besorgen. Der Kapitain füllte die Gläser, stieß mit seinen Gästen an und trank mit ihnen auf eine recht glückliche schnelle Ueberfahrt nach der neuen Welt. Dann wies er ihnen drei kleine Zimmer an, deren Thüren in die Kajüte führten, und deren jedes zwei Betten übereinander enthielt. Madame Turner mit Julie nahmen von dem einen Besitz, Turner und Wilhelm von dem zweiten, und Carl mit Arnold bezogen das dritte Gemach. Bald aber fanden sie sich sämmtlich wieder auf dem Verdeck ein, um bei dem scheidenden Tageslicht ihre neue schwimmende Wohnung zu überblicken, welche sie durch den Ocean tragen sollte, und welche ihnen für viele Wochen als Aufenthaltsort bestimmt war. Die Weser erschien hier schon so breit, daß man das jenseitige Ufer kaum erkennen konnte, und nach Westen hin ruhte das Auge auf einer endlosen Wasserfläche. Die Sonne hatte dort den Horizont erreicht und ließ, in die Fluth hinabtauchend, ihre Abschiedsstrahlen auf den dahin eilenden Wogen tanzen und blitzen, bis ihr letztes Licht versunken war und nur der Feuerschein des Himmels sich noch glühend auf der bewegten Fluth spiegelte. Die Schauer der einbrechenden Nacht zogen über die unabsehbare Fläche, brausend rollten die Wogen der Nordsee zu, warfen sich ungestüm gegen das an den Ankerketten auf- und niedersteigende Schiff, und in ihrem dumpfen Rauschen verhallte der eintönige Gesang der Matrosen, womit dieselben das Aufwinden der Güter aus dem Segelkahn begleiteten. Auf dem hohen Verdeck über der Kajüte saß Turner neben seiner Gattin und hielt ihre Hand in der seinigen. Der Ernst und die Feierlichkeit der sie umgebenden Natur stand mit der Stimmung ihrer Seelen im Einklang, sie blickten schweigend den unaufhaltsam dahin fliehenden Wogen nach; welchen Stürmen, welchen Klippen jagten dieselben wohl zu! Sie dachten an ihre eigene Zukunft, an ihr und ihrer Kinder Schicksal; welchen Beschwerden, welchen Widerwärtigkeiten zogen sie wohl entgegen!
»So wie diese Wellen verlassen auch wir unsere friedliche stille Heimath, Marie, um auf dem großen Lebensmeere heftigern Stürmen, vielleicht auch höherem Glück zu begegnen,« sagte Turner nach langem Schweigen.
»Die Wellen treibt keine Sorge für Anderer Glück von der Heimath fort, wir wandern für unsere Lieblinge aus, um ihnen eine segensreichere Zukunft zu schaffen, als wir selbst beanspruchen. Mit unserer Liebe für sie wollen wir tragen, was uns das Schicksal auch auferlegen mag, wir haben es in Gottes Hand gegeben, und er wird es zu unser Aller Besten lenken,« entgegnete die Frau, mit vertrauungsvollem Herzen zu dem besternten Himmel aufblickend, während Turner ihre Hand an seine Lippen preßte.
Die Kinder, die auf dem untern Verdeck den Matrosen bei deren Arbeit zugesehen hatten, kamen jetzt, von Carl geführt, zu den Eltern herauf, und schmiegten sich an dieselben an; denn Alles war ihnen so neu und fremd, und die rasch zunehmende Dunkelheit steigerte das unheimliche Gefühl, welches die ernste öde Umgebung ihnen aufdrängte.
»Morgen früh, mit Gottes Hülfe, werden wir in See gehen,« sagte Turner zu den Kindern, »die Reise durch den Ocean ist mit vielen Gefahren verbunden, und man muß alle Vorsicht gebrauchen, sich denselben nicht unnöthig auszusetzen. Haltet Euch immer in unserer Nähe auf, und wenn wir nicht auf dem Verdeck sein sollten, so folgt dem, was Carl Euch räth.«
In diesem Augenblicke trat der Kapitain herzu, und bat, ihn zum Abendessen in die Kajüte zu begleiten.
»Ich denke, diese erste Mahlzeit am Bord des Goliath soll Ihnen sämmtlich nach Ihrer heutigen Fahrt recht gut munden; morgen, wenn das Schiff im Segeln ist, möchte sich leicht Appetitlosigkeit einstellen.«
Mit diesen Worten ließ der Kapitain seine Passagiere nach der Kajüte voranschreiten, und als er mit Carl den Zug beschloß und sah, wie Pluto demselben auf dem Fuße folgte, bemerkte er noch, zu dem Knaben gewandt: »Deinem Hunde, mein Sohn, müssen wir morgen auch einen Platz bestimmen, wo wir ihn an die Kette legen können, damit ihn bei den Arbeiten der Matrosen kein Unfall trifft. Es ist wirklich ein schöner Hund.«
»Ja und ein so braver treuer Hund, wie es wenige giebt,« entgegnete Carl stolz, und klopfte den lockigen Nacken des Thieres.
Die Passagiere ruhten am folgenden Morgen noch im tiefsten Schlafe, als sie plötzlich durch das Rasseln der schweren Ankerkette geweckt wurden und sich auf ihrem Lager hin- und hergeschaukelt fühlten. Rasch waren sie in den Kleidern und eilten auf das Verdeck, um von dem Festlande Abschied zu nehmen; denn das Schiff war bereits in vollem Segeln und stürmte bei heftigem Südwind der Nordsee zu. Höher und mächtiger hoben sich die Wogen, sie wurden durchsichtiger und grüner, ihre Häupter bedeckten sich mit weißem Schaum, und, sich übereinander hinstürzend, warfen sie ihren Gischt weit um sich her. Das Land war nur noch wie ein Nebelstreif zu erkennen; doch die Blicke der Auswanderer hingen fest an diesem letzten Zeichen der theuren Erde, und lange schon bildete nur das Wasser noch den fernsten Gesichtskreis, als die Scheidenden immer noch Land zu sehen glaubten, und ihm ihr Lebewohl zuwinkten. Der Goliath hatte die Nordsee erreicht, als der Wind sich drehte, und immer mehr und heftiger von Westen herblies. Der Kapitain, in der Hoffnung, daß derselbe ganz nördlich werden würde, steuerte dem Canal zu, und die Bewegung des Schiffes, welches nun gegen Wind und Wogen ankämpfen mußte, wurde mit jedem Augenblick unangenehmer. Die Folge hiervon