was ihm zu wissen nöthig schien, Fragen gestellt. Einen wichtigeren, entscheidenderen Brief hatte er nie zur Post getragen; die Zukunft seiner Familie war darin verschlossen. Mit großem Eifer wurde in Turners Hause Alles gelesen, was Auskunft über Amerika gab, und anerkannt gute Schriften über dieses Land, dessen Zustände und Verhältnisse, wurden angeschafft. Das praktische, selbstständige Leben war in allen vorherrschend geschildert, und namentlich wurde es dem Farmer darin zur Aufgabe gemacht, sich möglichst unabhängig von Anderen zu stellen. Er mußte sich in allen Lagen seines Lebens selbst zu rathen und zu helfen wissen, und zu diesem Ende mit den verschiedenen Handwerken für den Nothfall vertraut sein. Turner beschloß daher, sich selbst einige Kenntniß davon zuzueignen, und ebenso Carl Scharnhorst darin unterweisen zu lassen. Er für seine Person entschied sich dafür, eine Zeitlang bei einem Schmied und dann auch bei einem Büchsenmacher in die Lehre zu gehen, und Carl sollte bei einem Stellmacher und einem Schreiner Unterricht nehmen.
Turner führte nun auch den Beschluß mit der ihm eigenen Willenskraft sofort aus. Des Morgens, nach zeitigem Frühstück, begab er sich zu dem besten Schmied in der Stadt, arbeitete dort mit Lust und Liebe bis zur Mittagszeit, und wieder nach Tisch bis zur einbrechenden Dämmerung, während Carl in gleicher Weise bis zum Abend bei einem Wagener beschäftigt war, um dann noch einige Privatstunden im Englischen und im Maschinenbau zu nehmen. Nach dem Abendbrod saß dann die Familie heiter um den großen Tisch gereiht, Turner entfaltete vor sich eine Landkarte von Amerika, die Reise nach der neuen Welt wurde beredet, und tausend Pläne entworfen, wie man sich dort einrichten wollte.
Die Herbststürme brausten durch das buntgefärbte Laub der Wälder und trieben die gelben und rothen Blätter wie einen Goldregen vor sich hin durch das Werrathal, Nachtfröste überzogen Wiesen und Gärten mit Rauhreif, der in den ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne wie ein Schleier von Diamanten blitzte und funkelte, die Höhen der Gebirge färbten sich weiß, und Anfangs December legte der Winter eine dichte Schneedecke über die Erde.
Um so traulicher saßen Turners Abends in dem gemüthlich warmen Zimmer beisammen und besprachen ihre hoffnungsreiche Zukunft in einem sonnigeren Lande. Das Weihnachtsfest nahete sich mit großer Kälte, es sollte das letzte sein, welches die Familie Turner in der alten Heimath feierte. Madame Turner hatte in dem größten Zimmer einen prächtigen Tannenbaum aufgestellt und ihn mit Zuckerwerk und Lichtern reich geschmückt, und als am Christabend die Dunkelheit hereinbrach, vertheilte sie die Geschenke für die Kinder auf die verschiedenen, um den Baum stehenden Tische, fügte Aepfel, Nüsse und Kuchen hinzu, und zündete die Lichter an. Dann ließ sie die Schelle ertönen, die Thüre des anstoßenden Zimmers öffnete sich, und jubelnd und mit strahlenden Blicken stürmte die junge Schaar herein. Turner, den Kindern folgend, breitete seine Hände nach der Gattin aus, und empfing sie unter Freudethränen an seinem Herzen. Es war ein feierlicher Augenblick, ein Augenblick zwischen der hochbeglückenden Gegenwart und der dicht verschleierten Zukunft, – wo und wie sollten sie wohl das nächste Weihnachtsfest feiern? Beide sahen auf die fröhlichen, jauchzenden Kinder, und Beide beantworteten sich gegenseitig schweigend ihre stummen Fragen durch einen Blick nach Oben, mit welchem sie dem Allmächtigen ihre Zukunft, ihr Schicksal zu lenken, vertrauungsvoll anheim stellten. Die Fröhlichkeit der Kinder verscheuchte aber bald den Ernst von den Zügen der Eltern, und Madame Turner führte mit einem freudigen heitern Antlitz ihren Gatten nach einem der Tische, auf welchem sie mehrere kleine Geschenke für ihn niedergelegt hatte. Unter anderen befand sich dort ein schöner schwarzer Filzhut mit sehr breitem Rande, den Turner als ein nothwendiges Kleidungsstück in einem heißen Klima genannt hatte. Er ergriff ihn, um ihn aufzusetzen, und fand darunter einen Brief – einen Brief von dem Vetter Viktor in Amerika. Derselbe war schon am Tage vorher eingetroffen, Madame Turner aber hatte ihn verheimlicht, um ihren Gatten am heutigen Festabend damit zu überraschen. Die Freude war aber auch eine sehr große und allgemeine, denn selbst bei den Kindern war für den Augenblick alles Interesse für die Geschenke verschwunden, und sie drängten sich zu den Eltern, um die Nachrichten von Amerika zu vernehmen. Turner mußte sich bei dem Tannenbaume niedersetzen und bei dessen Lichtschein den Brief vorlesen. Dies geschah nun, wenn auch nur stückweise, doch hinreichend, um etwas Näheres über die bevorstehende Abreise bestimmen zu können. Das Frühjahr ward dazu festgesetzt.
Es war der heiterste und doch der ernsteste Weihnachtsabend, der in dieser Familie jemals gefeiert war. Madame Turner hatte einen vortrefflichen heißen Punsch angefertigt, und auf eine glückliche Zukunft in der noch fernen neuen Heimath erklangen und wurden die Gläser bis auf den letzten Tropfen geleert. Alle am heutigen Abend zwischen Eltern und Kindern vertheilten Geschenke waren für das Leben in Amerika berechnet, und Keiner war so reich bedacht worden, als Carl Scharnhorst. Eine prächtige, sehr werthvolle Doppelbüchse mit allem Zubehör, ein herrliches schweres Jagdmesser, eine Jagdtasche, ein Compaß, waren die Gaben, die ihn besonders beglückten, und unter Freudenthränen und mit Küssen dankte er seinen Pflegeeltern für ihre Güte und ihre Liebe.
Alle gaben sich der seelenvollsten Heiterkeit hin, sie lachten, scherzten und stießen mit den Gläsern an, während der Sturm draußen die weißen Schneeflocken gegen die Fensterscheiben trieb, und die Mitternachtsstunde war schon lange dahingeeilt, als die Glücklichen ihr letztes Weihnachtsfest in Europa beschlossen und sich mit den glänzendsten Hoffnungen für ihre Zukunft zur Ruhe begaben.
Der folgende Tag wurde nun ganz dem Briefe des Vetters geweiht. Dieser gab darin die ausführlichsten Anweisungen zu den Vorbereitungen für die Reise. Er rieth, dieselbe im Frühjahr zu unternehmen, und sich namentlich mit so wenig Gepäck zu befassen, als es irgend möglich sei, indem man das Nöthige in Amerika neu billiger kaufen könne, als die mitgebrachten Sachen dort zu stehen kämen. Er gab über Alles die genaueste Auskunft, gab hunderte von Rathschlägen und Anweisungen, und schloß endlich den langen Brief mit dem Wunsche, sie sämmtlich gesund und froh dort in dem Sonnenlande bewillkommnen zu können. Wenige Tage später ging eine lange ausführliche Antwort an den Vetter ab.
Der Winter verstrich unter Vorbereitungen zur Auswanderung; Turner war von dem Schmied zu einem Büchsenmacher in die Lehre gegangen, und Carl hatte den Wagenmacher gegen einen Schreinermeister vertauscht.
Unter den Bürgern des Städtchens erregten diese ernsten Anstalten für einen Abschied auf immer, großes Aufsehen und die wärmste Theilnahme. Mit allgemeinem Bedauern sah man eine so biedere, so hochgeehrte und beliebte Familie sich nach einem fernen Lande wenden, und von allen Seiten suchte man Turners die Verehrung, die sie hier weit und breit genossen, durch Hülfsleistungen und Liebesdienste aller Art an den Tag zu legen. Die vornehmen, reichen früheren Freunde aber schämten sich in tiefster Seele ihrer niedrigen selbstsüchtigen Handlungsweise, und vielfach wurden ihnen Kundgebungen der Verachtung zu Theil; die öffentliche Meinung hatte sie gerichtet.
Abermals zog das Frühjahr lächelnd und neu belebend in das freundliche schöne Werrathal ein, Wald und Flur schmückten sich wieder mit jungem Grün, die Gärten prangten wieder in reichster Blüthenpracht, die Schwalben begrüßten schwirrend die heimathlichen Berge und suchten über den Thüren und in den friedlichen Hausfluren ihre Nester auf, und die Nachtigallen sangen ihre süßen klagenden Lieder, wie zum Abschied an die reisefertige Familie Turner.
Der Wonnemonat ging zu Ende, als ein geräumiges Schiff unweit des Städtchens vom Ufer stieß, und Alt und Jung der Einwohnerschaft den Passagieren im Boote ein herzinniges Lebewohl zurief. Es war die Familie Turner, die mit feuchten Augen von dem Schiffe her nach dem Ufer zurück schaute, und von den vielen wahren Freunden und von der Heimath Abschied nahm. Lange noch hingen ihre thränenvollen Augen an den geliebten Mitbürgern, an dem Städtchen, an der Kluse, an den trauten Bergen, bis sie die klare Fluth der Werra um eine schroffe nahe Basaltkuppe trug, und sie nun ihre Blicke vorwärts richteten. Sie nahten sich dem Fuße der Wichtelkuppe, da schlossen Turner, so wie seine Gattin, Carl beim Anblick des Baumes, der über der Felswand hing, von der furchtbaren Erinnerung tief ergriffen, an ihre Herzen, und dankten ihm nochmals mit seelenvollster Innigkeit für die Rettung ihres Kindes.
Carl hatte von Allen das unternehmendste Aussehen: er trug einen grauen Filz, dessen breiter Rand über seine Schultern hinausragte, einen kurzen grauen Rock, unter welchem das umgeschnallte Jagdmesser hervorsah, und über seiner offenen Brust lag der durch Juliens Hand schön gestickte Riemen seiner Waidtasche. Seine Büchse, mit deren Gebrauch er es bereits zu einer