Daniels, daß das Mittagsessen aufgetragen sei, vermochte sie nicht, ihr Lager zu verlassen; denn schon der Gedanke an Speisen war ihnen zuwider. Nachmittags aber fühlten sie sich plötzlich weniger unwohl, sie meinten, das Schiff mache nicht mehr solche gewaltige stoßende Bewegungen, und nach und nach kamen sie aus ihren Zellen hervor. Der Wind stand so fest und gerade von dem Ocean in den Canal herein, daß der Goliath nur mit großer Schwierigkeit und vielem Zeitverlust hätte gegen denselben ansegeln können, weshalb Kapitain Bosse sich entschlossen hatte, in der Nordsee hinauf und nördlich um England seinen Weg nach dem Weltmeer zu nehmen. Dadurch, daß der Wind nun mehr seitwärts in die Segel des Goliath blies, wurden dessen Bewegungen regelmäßiger und weniger heftig, und in gleichem Maße nahm das Unwohlsein der Passagiere ab. Herr und Madame Turner erholten sich weniger schnell und waren genöthigt, sich auf dem Verdeck auf wollenen Decken niederzulegen, die Daniel dort für sie ausbreitete; aber die Kinder hatten bald die Seekrankheit vergessen und ergötzten sich an dem neuen prächtig großen Schauspiel, welches sie umgab. Mit aufgeblähten Segeln bis in die Spitzen seiner Masten überwölkt, stieg das Schiff an den durchsichtigen smaragdgrünen Wasserbergen hinan, theilte deren schäumende Höhen und schoß dann wieder in die Tiefe hinab, um sich abermals auf die nächste Woge zu heben. Die Sonne strahlte aus dem eilenden Gewölk hervor und warf hier und dort helle Lichtstreifen auf das wogende Meer, und der Sprühregen, der sich vor dem scharfen Kiel des Goliath aufthürmte und seitwärts an ihm vorüberstäubte, blitzte in ihrem Schein in allen Farben des Regenbogens. In der Mitte des obern Verdecks war das große Boot, mit dem Kiel nach oben gekehrt, auf mehreren Stützen befestigt, so daß man unter demselben Schutz gegen Regen und Sonnenschein finden konnte. Diesen Platz hatte Carl für sich und seine Gefährten zum Sammelplatz erkoren, sobald Matrosen sich auf dem Verdeck zeigten, um Arbeiten zu verrichten. Jetzt aber, wo das Schiff ruhig und ohne weitere Hülfe beim Winde segelte, waren Carl und Arnold, so wie Wilhelm oben auf das Boot gestiegen, weil sie von hieraus über die Brüstung des Schiffes hinaus das Meer frei überblicken konnten. Der Neger Daniel fand großes Gefallen an den wackeren Knaben und gesellte sich, sobald er einige Augenblicke Zeit hatte, zu denselben, um sich mit ihnen zu unterhalten; denn er hatte schon beinahe zwei Jahre auf diesem Schiffe gedient und recht gut Deutsch reden gelernt. Die Knaben faßten bald Zutrauen zu dem ehrlichen Schwarzen, und er mußte ihnen über Alles, was sie nicht kannten, Auskunft geben. Die weißen und bunten, großen und kleinen Möven, die auf ihren langen sichelförmigen Schwingen segelnd über das Meer hinschwebten und von Zeit zu Zeit in den Schaum einer Wellenspitze hineinstießen, nahmen insbesondere die Aufmerksamkeit der Kinder in Anspruch, und Dan, ihr schwarzer Freund, erzählte ihnen dabei von den felsigen Inseln, nördlich von Schottland, auf welchen diese Vögel in unzähligen Schaaren brüteten.
»Fische, Fische, große Fische!« riefen plötzlich die Knaben einstimmig, und zeigten über die See hinaus.
»Das sind Pourpoises, Braunfische, oder Seeschweine, sie kommen gerade hierher, und werden bald den Goliath umschwärmen, besonders gern spielen sie in dem Schaume vor dem Schiffe,« antwortete der Neger, gleichfalls nach den großen Fischen schauend, deren mehrere hundert von weit her angebraust kamen, indem sie aus der See emporschossen, einen Bogen durch die Luft beschrieben, und, mit dem Kopfe voran, wieder in die Fluth hinabtauchten. In diesem spielenden Laufe jagten sie, den Schaum um sich aufspritzend, pfeilschnell über die Wogen heran, und sie hatten das Schiff bis auf einige hundert Schritte erreicht, als Carl nach der Kajüte springen wollte, um seine Büchse zu holen. Daniel aber hielt ihn zurück und bedeutete ihn, daß die Büchse nicht die rechte Waffe sei, um diese Fische zu jagen.
»Mit der Harpune kann man einen fangen,« sagte er aufspringend, »soll ich sie herbeiholen?«
»Ach ja, Dan, geschwind, da sind die Fische schon dicht beim Schiff – hu – wie sie brausen!« riefen die Jungen, und Daniel rannte eiligst hinab in die Kajüte, um deren Wunsch zu erfüllen. Wenige Augenblicke nachher erschien er wieder auf dem untern Verdeck mit dem zwei Fuß langen Eisen, dessen scharfe Spitze mit Widerhaken versehen war, stieß einen langen schweren Stock in das hohle andere Ende desselben, befestigte eine starke Leine daran, und winkte nun den Knaben, zu ihm herabzukommen. Diese folgten jauchzend dem Neger bis an die vordere Spitze des Schiffes, wo derselbe das Seil der Harpune an der Brüstung befestigte, über welche die Kinder in die See hinabschauten und den hin- und herschießenden Fischen mit den Blicken folgten. Daniel hatte sich auf die Brüstung an das starke Tauwerk gestellt, welches von da nach den Masten hinaufführt, und hielt, in das Meer hinabspähend, die Harpune zum Wurf bereit in die Höhe. Die Fische schienen es besonders zu lieben, seitwärts an dem Schiffe vorüberzujagen und sich dann in den Schaumberg hinein zu stürzen, der sich vor demselben aufthürmte. Wiederholt zuckte Daniel mit der Lanze, als wolle er sie hinabschleudern, hielt sie aber immer noch zurück, um seines Wurfes gewiß zu sein; plötzlich aber fuhr sie sausend hinunter, und ihre Spitze begrub sich tief in dem Rücken eines der Fische.
»Getroffen, getroffen!« rief Carl jubelnd, doch der Fisch war in die Tiefe hinunter geschossen und zog das lange Seil schwirrend nach sich. In wenigen Augenblicken hatte dasselbe jedoch das Ende erreicht, und man konnte sehen, daß das gespießte Thier mit gewaltiger Kraft an demselben riß und zuckte. Daniel rief nun einige Matrosen zu Hülfe, um die Beute auf das Verdeck zu ziehen. Mit großer Anstrengung wurde das Seil eingezogen, bald erschien der Fisch, dagegen kämpfend und um sich schlagend, über den Wogen, und nun hoben ihn die Matrosen über die Brüstung und ließen ihn auf das Verdeck fallen. Es war ein ungeheures, nicht mit Schuppen, sondern mit einer braunen glatten Haut bedecktes Thier, im Gewicht von mehr als zweihundert Pfund. Bald hatte es sich verblutet und wurde von den Matrosen seiner Leber beraubt, dem einzigen genießbaren Theile seines Körpers. Es ward in Stücken gehauen und seines Thranes wegen ausgebraten.
Durch diese Jagd hatte Daniel seinen jungen Freunden eine große Freude bereitet und sich in ihrer Gunst nur noch fester gesetzt.
Herr und Madame Turner fühlten sich wieder so viel wohler, daß sie an dem Abendbrod Theil nahmen, wenn sie sich dabei auch mit einem Stück Zwieback und einer Tasse Thee begnügten. Dann eilten sie aber auf das Verdeck zurück, weil ihnen die frische Seeluft besonders wohl that, und der aufmerksame Daniel richtete ihnen dort abermals aus wollenen Decken ein Lager her. Julie hatte ihre Mutter während des ganzen Tages nicht verlassen, bereitete Limonade für sie, reichte ihr zuweilen ein Stück einer Orange, deren sie von Bremen einen Vorrath mitgenommen hatte, und war jeden Augenblick ihres Winkes gewärtig, um ihr einen Wunsch zu erfüllen.
Der Kapitain kam wiederholt zu den Passagieren herangetreten, um sich nach ihrem Befinden zu befragen, und als der Tag sich neigte, setzte er sich in traulicher Unterhaltung bei ihnen auf dem Verdeck nieder.
»Die Knaben scheinen mit Daniel Freundschaft geschlossen zu haben,« sagte Turner zu dem Kapitain, »durch den Fang des Fisches hat er sich ihre Herzen gewonnen. Jetzt sitzen sie alle drei wieder um ihn, und lassen sich von ihm erzählen.«
»Der Neger ist ein ungewöhnlich guter Bursche, ein ausgezeichneter Diener und ein Mensch, der sehr viel im Leben durchgemacht hat,« antwortete der Kapitain. »Seine Eltern waren Sklaven unter einem Indianerstamm im fernen Westen Amerika's, dort wurde er geboren und dort verlebte er seine Jugendzeit. Nachdem ihm aber Vater und Mutter durch den Tod entrissen waren, entfloh er den Wilden, gelangte nach langer Verfolgung durch dieselben glücklich in die Grenzansiedelungen der Weißen und kam endlich als freier Schwarzer nach New-York, wo er sich mehrere Jahre durch Arbeiten ein rechtliches Brod erwarb. Ich lernte ihn kennen, als ich vor einigen Jahren mein Schiff in jener Stadt ausbesserte, wobei er sich mir als Arbeiter vermiethete. Ich gewann ihn lieb und machte ihm den Antrag, mit mir auf See zu gehen, um die Aufwartung in meiner Kajüte zu übernehmen. Er willigte ein, und so ist er bei mir geblieben, und bis auf den heutigen Tag haben wir noch nie ein böses Wort mit einander gewechselt. Er ist ein zuverlässiger, ehrlicher und treuer Mensch.«
»Den Eindruck hat er mir vom ersten Augenblick an gemacht, und es ist mir lieb, daß er sich der Jungen annimmt, da er über sie wachen wird,« entgegnete Turner, nach dem Neger hinschauend, der zwischen den drei Knaben oben auf dem Boote saß, und sie eifrig unterhielt.
Er erzählte ihnen aus seinem Leben unter den Wilden, von den Jagden nach Büffeln, Bären und wilden Pferden, von den blutigen Kämpfen unter den verschiedenen Indianerstämmen und