Armand

Carl Scharnhorst: Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika


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Was sie aber auch unternahm, sie konnte nirgend Ruhe finden, und mit jeder Stunde wuchs ihr Verlangen nach der Rückkehr ihres Gatten. Wieder und immer wieder begab sie sich in das Wohnzimmer, aus dessen Fenstern sie weit auf der Straße, die nach dem Städtchen führte, hinblicken konnte, um zu sehen, ob sie Turner noch nicht erspähen könne. Als aber nun die Sonne versank, da setzte sie sich an dem Fenster nieder und hielt ihre Augen auf den fernsten sichtbaren Punkt der Straße geheftet. Endlich erkannte sie ihren zurückkehrenden Gatten, er kam aber nicht, wie sonst, im schnellen Trabe, das Pferd ging nur im Schritt, und sie meinte, so langsam sei Turner niemals nach Hause geritten. Sie konnte ihn nicht im Zimmer erwarten, sie warf ihr Tuch um und eilte hinaus ihm entgegen.

      »Du bringst keine frohe Nachricht mit Dir, Turner,« sagte sie, als sie mit ihm auf der Straße zusammen traf und ihm die Hand zum Willkommen reichte.

      »Nein, Marie, wir haben uns in einem unserer Freunde sehr verrechnet, und zwar in dem Kreisrath. Die Nachricht, daß wir die Kluse verlassen müßten, schien mehr sein Bedenken, als seine Theilnahme zu erwecken, und statt warmer herzlicher tröstender Worte erhielt ich Nichts bezweckende kalte Rathschläge und steife Höflichkeiten. Er war ein Freund im Glück, ist aber kein Freund in der Noth!« entgegnete Turner, indem er abstieg, das Pferd leitete, und Arm in Arm mit der Gattin der Wohnung zuschritt.

      »Der Kreisrath?« sagte Madame Turner überrascht mit halblauter Stimme, »er war doch immer so herzlich und liebevoll gegen uns!«

      »Ja, der Kreisrath, er machte mir nur Vorwürfe und rieth mir, wo es sich um Mein und Dein handele, alle Menschen für Spitzbuben zu halten, so wie er es thue, um sich vor Betrug zu schützen.«

      »Der Himmel bewahre Dich vor solchem Glauben, Turner, lieber mag man uns betrügen. Nein, es giebt noch gute Menschen, und grade im Unglück werden wir sie erkennen. Was sagten denn Apothekers?«

      »Ich bin nicht bei ihnen gewesen. Es war mir unmöglich, mich einer zweiten solchen Täuschung auszusetzen. Wir wollen abwarten, welchen Trost uns unsere Freunde bringen; suchen werde ich denselben nicht bei ihnen. Ich ging vom Kreisrath wieder in das Gasthaus zurück. Dort fand ich viele Bürger versammelt, die mir immer herzlich zugethan waren, wenn sie mir sonst auch nie näher gestanden haben. Die Leute waren außer sich, sprachen sich heftig gegen die Gutsherrschaft aus, und erklärten schließlich, daß ich unter keiner Bedingung diese Gegend verlassen dürfe. Es müsse Rath geschafft werden, auf irgend eine Weise ein Gut für mich in der Nähe auszumitteln, weil ich immer den Armen und Bedürftigen eine Stütze gewesen sei. Sieh, Marie, das hat mir wohlgethan, und mich tausendfach für den Verlust eines reichen vornehmen Freundes entschädigt.«

      »Dessen Hülfe wir auch nicht nöthig haben werden, wenn uns der eine treue barmherzige Freund, der uns bis jetzt so väterlich beigestanden hat, seine Gnade auch fernerhin angedeihen läßt,« sagte Madame Turner, indem sie zum Himmel aufblickte.

      »Ja, Marie, Gott ist immer unser treuster Freund gewesen, und wir wollen fest auf seine fernere liebevolle Hülfe bauen. Was uns im Augenblick als Mißgeschick erscheint, wird sich sicher zu unserm Besten wenden; es sei uns willkommen, wie es sich auch gestalten mag!« Mit diesen Worten legten die beiden Gatten ihre Hände ineinander, als wollten sie sich gegenseitig das Versprechen geben, in diesem Glauben niemals zu wanken.

      Am nächsten Morgen setzte Turner mehrere Anzeigen für verschiedene Zeitungen auf, worin er bekannt machte, daß er ein Gut zu pachten suche, und schrieb zugleich eine Menge Briefe an auswärtige Freunde, welche er aufforderte, sich für ihn zu bemühen und ihm mitzutheilen, wenn sie von einer offenen Pachtung hören sollten. Er brachte die Schreiben selbst nach der Stadt zur Post, und wurde dabei allenthalben in den Straßen von den Einwohnern angehalten, da ein Jeder aus seinem Munde hören wollte, ob das Gerücht von der Pachtkündigung wahr sei. Es herrschte nur eine Stimme unter den Leuten, die der Entrüstung gegen die Gutsherrschaft und die der wärmsten liebevollsten Theilnahme für Turner. Von seinen Freunden aber bekam er Keinen zu sehen. Mochte es nun Zufall sein, daß Keiner derselben ihn beim Vorübergehn vor deren Wohnung bemerkt hatte; bis jetzt aber war er kaum jemals durch das Städtchen gegangen, ohne daß der eine, oder andere Freund ihn aus dem Fenster angerufen, oder ihn in der Straße, oder im Gasthaus aufgesucht hatte. Vor der Apotheke sogar blieb er eine geraume Zeit stehen, weil mehrere Bürger ihn dort anredeten, um ihm ihr Bedauern über das ihn betroffene Mißgeschick auszusprechen; er erkannte hinter dem Fenster die Frau und die Töchter des Apothekers, sah, wie dieselben sich schnell von den Fenstern entfernten, und erwartete nun von Augenblick zu Augenblick, daß sein Freund, der Apotheker, zu ihm heraus in die Straße kommen würde, – allein, er hatte sich getäuscht, es ließ sich Niemand aus dem Hause sehen.

      Auf der Kluse wurde es jetzt sehr still, denn die vielen angesehenen, reichen Freunde, von denen sich Jahr aus, Jahr ein fast täglich eine Anzahl dort eingefunden hatte, blieben aus; Tage und Wochen eilten dahin, ohne daß Einer derselben sich hätte sehen lassen, obgleich das Wetter ungewöhnlich schön und einladend war, und die Gärten im reichsten üppigsten Schmuck ihre ersten Früchte darboten. So schmerzlich sich Turners nun auch durch diese Theilnahmlosigkeit und Vernachlässigung berührt fühlten, so würde doch ihr unbedingter guter Glaube an die Biederkeit ihrer Nebenmenschen nicht dadurch beeinträchtigt worden sein, wären nicht die nachtheiligen Gerüchte zu ihren Ohren gekommen, welche man über sie in dem Städtchen verbreitet hatte. Tief gekränkt und entrüstet darüber, bemühte sich Turner, die Quelle zu entdecken, aus welcher diese Verläumdungen entsprungen waren; doch umsonst, alle seine Nachforschungen dieserhalb blieben vergebens.

      Zum ersten Male in ihrem Leben fühlten sich Turners von den Menschen zurückgestoßen, und ihr Glaube an dieselben begann zu wanken. Um so enger und um so inniger aber schlossen sie sich in ihrem Familienkreise aneinander, und kamen bald zu der Ueberzeugung, daß ihr wahres Glück niemals durch die Menschen vermehrt worden war, daß es immer nur in ihnen selbst, in ihrer Liebe für einander bestanden hatte. Mit doppeltem Eifer, mit doppelter Thätigkeit widmeten sie sich ihren Geschäften und machten, wo sie konnten, schon jetzt Vorbereitungen für ihren Abzug von der Kluse. Sie wurden nun nicht mehr durch viele Besuche von ihren Arbeiten zurückgehalten, und die Ersparnisse in Folge von deren Ausbleiben stellten sich als nicht unbedeutend heraus. Bald waren die sogenannten Freunde, die Schmarotzer, vergessen, und Turners befreundeten sich täglich mehr mit dem Gedanken, das ihnen unentbehrlich geglaubte schöne Werrathal zu verlassen.

       Abzug vom Gute. – Der Brief von Amerika. – Der Beschluß zur Auswanderung. – Vorbereitungen. – Weihnachten. – Der Neger. – Die Nordsee. – Die Seeschweine. – Die Inseln. – Der Sonnenuntergang. – Der Eisberg. – Amerika. – Der Adler. – Todesnachricht. – Der Verlust.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf Carl Scharnhorst übten die Veränderungen in Turners Verhältnissen einen auffallenden Einfluß aus; es schien, als fühle er, daß er die Kinderschuhe ausziehen, daß er seinen Lieben bald seine Kräfte leihen und ihnen bald eine thätige Hülfe werden müsse. Er war ernster als sonst, mit unermüdlichem Fleiße besuchte er die Schule, empfing noch bis spät Abends Privatunterricht, und das erste Licht des Morgens fand ihn schon bei seinen Büchern.

      So segenreich und vielversprechend das Frühjahr auch erschienen war, so verminderten sich doch die Hoffnungen auf eine ergiebige Ernte von Tag zu Tag mehr, da eine anhaltende Dürre sich eingestellt hatte. Die Heuernte war schon vollständig mißrathen, weil das Gras wegen Mangels an Regen durch die Sonnengluth verbrannt wurde, und aus gleichem Grunde darbten die Früchte auf den Feldern; denn der ausgetrocknete Boden konnte ihnen keine Nahrung zum Wachsen und Gedeihen geben. Die Kornernte kam heran, und begann vier Wochen früher als gewöhnlich, sie lieferte nur kleine leichte Körner und kurzes gehaltloses Stroh. Auch das Grünfutter konnte nicht gedeihen, es vertrocknete auf dem Lande, der Weizen lieferte schlechtes Gewicht, und den Hafer lohnte es kaum der Mühe zu mähen. Diese Ergebnisse drückten schwer auf die schon bedrängten Herzen der Turners, denn grade diese Ernte sollte ihnen ja baares Geld in die Hand liefern, und ihnen helfen, anderswo eine neue Heimath zu gründen. Dennoch verließ sie