Armand

Carl Scharnhorst: Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika


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so sorgfältiger einzubringen. Turner hatte schon viele Güter in Augenschein genommen, wobei er wiederholt wochenlang von der Kluse abwesend geblieben war, doch keines von allen hatte ihm zugesagt, theils, weil sie werthlos, theils, weil sie zu bedeutend waren, als daß er sie mit eigenen Mitteln hätte übernehmen können. In der Nähe war überhaupt kein Gut zu pachten, welches nur einigermaßen seinen Anforderungen entsprochen hätte, wodurch sich die Nothwendigkeit für ihn herausstellte, sein Inventar, das heißt seine Geräthschaften, Vieh und Pferde und alle seine Vorräthe zu verkaufen, die er weithin nicht mit sich nehmen konnte. Die Zeit, wo Turner die Kluse verlassen sollte, rückte immer näher, wieder und wieder begab er sich auf Reisen, um pachtfreie Güter zu besehen, aber immer kehrte er ohne den gewünschten, ersehnten Erfolg nach Hause zurück.

      Die letzten vier Wochen waren nun angetreten, welche Turners noch auf der Kluse zubringen konnten, und da sie immer noch kein anderes Gut gepachtet hatten, so blieb ihnen Nichts übrig, als Alles zu verkaufen, nach der Stadt zu ziehen, und sich dann von dort aus in Ruhe nach einer Pachtung umzusehen. Die gegen frühere Jahre nicht bedeutenden Vorräthe waren bereits nach und nach zu ziemlich guten Preisen verwerthet, und um sich nun auch des Inventars zu entledigen, wurde eine Auktion angesetzt und die Anzeige davon in mehreren Zeitungen, so wie in den nicht weit entfernten Städten und Ortschaften durch Anschlagzettel bekannt gemacht. Die Zahl der Kauflustigen, die sich dazu einfanden, war keine große, und der Verkauf stellte sich als ein sehr mittelmäßiger heraus. Namentlich brachte das Vieh sehr niedrige Preise auf, weil fast Niemand nur für den eigenen Viehbestand Futter genug geerntet hatte.

      Wenige Tage nach der abgehaltenen Auktion standen des Morgens zwei aus der Stadt gemiethete vierspännige Frachtwagen, mit dem Hausgeräth der Familie Turner beladen, auf dem Hofe der Kluse; Madame Turner trat, einen frischen Blumenstrauß in der Hand, mit Thränen in den Augen aus dem Wohngebäude und nahm den Arm ihres Gatten. Schweigend und durch ihre Thränen blickte sie die alte freundliche Wohnung an, die ihr bisheriges großes unermeßliches Glück beherbergt hatte; stumm, aber schluchzend sagte sie ihr das letzte Lebewohl, mit blutendem Herzen riß sie sich von dieser theuren Heimath los, um, wer wußte wo, eine andere zu finden. Auch Turner waren die Augen feucht geworden; das alte Haus war die Wiege seiner Vorfahren, seine eigene und die seiner Kinder gewesen, es hatte seit hundert Jahren das stille anspruchslose Glück der Turnerschen Familie gesehen, und nun sollte ihr Name in seinen Mauern vergessen werden! Er hatte keine Worte für den herzzerreißenden Abschied, für das letzte Lebewohl, er gab den Fuhrleuten einen Wink fortzufahren, drückte den Arm seiner Gattin fest an seine Brust, und schritt mit ihr und mit den Kindern durch das Hofthor nach der Straße hinunter. Langsam und ohne ein Wort zu sagen, folgten sie den knarrenden, wankenden Wagen, und erst, als sie den letzten Punkt auf der Straße, von wo man noch die Kluse sehen konnte, erreicht hatten, blieben sie stehen und blickten zurück.

      »Die alte Heimath haben wir verlassen, wir sind unterwegs, Marie, wer weiß, wohin dieser Weg uns führen wird!« sagte Turner, indem er seinen Arm um die Schulter der Gattin legte, und seinen Blick auf die Kluse geheftet hielt.

      »Wohin er uns auch führen mag, unsere Heimath nehmen wir mit uns; denn wo wir vereint sind, da ist unsere Heimath!« antwortete Madame Turner mit einem innigen liebevollen Blick, und streckte ihre Hand nach den Kindern aus, die sich an sie schmiegten und gleichfalls betrübten Herzens von der Kluse Abschied nahmen.

      In dem Städtchen wurden sie allenthalben freundlichst begrüßt und von vielen Bekannten bis zu dem kleinen Hause geleitet, welches Turner gemiethet hatte. Dasselbe lag an der Außenseite der Stadt auf einer Anhöhe in einem hübschen Garten, und gewährte einen freien, weiten Blick über das Werrathal, so daß Turners in ihrer äußern Umgebung wenigstens ein ähnliches Bild fanden, wie das, welches sie auf der Kluse so viele Jahre hindurch entzückt hatte. Nach wenigen Tagen waren sie in ihrer neuen Wohnung eingerichtet; Madame Turner suchte sich in den ihr ungewohnten müssigen Stunden im Garten zu beschäftigen, obgleich der Herbst ihre Thätigkeit dort sehr beschränkte; und Herr Turner konnte sich jetzt ungehinderter seinen Bemühungen um eine neue Pacht hingeben. Der Erlös aus seinen sämmtlichen Verkäufen belief sich auf ungefähr neuntausend Thaler, welche er in Werthpapieren angelegt hatte, und seine in der Stadt ausgeliehenen Gelder betrugen noch tausend Thaler, so daß er über ein baares Capital von zehntausend Thalern zu verfügen hatte. Er stand nach allen Richtungen hin in Briefwechsel, und bald nach seiner Uebersiedlung in das Städtchen wurden ihm mehrere Güter im Preußischen bezeichnet, welche pachtlos geworden waren. Er schickte sich abermals zur Reise an, um die Güter in Augenschein zu nehmen, kehrte aber nach mehreren Wochen unverrichteter Sache wieder zurück, denn keines derselben hatte seinen Bedürfnissen entsprochen.

      Die Freude des Wiedersehens überwältigte im Anfange die trübe Stimmung Turners über den abermaligen ungünstigen Erfolg seiner Reise; als aber die Lampe auf dem Theetisch angezündet war und die Familie sich um denselben sammelte, da sprach Turner sich recht ernstlich besorgt darüber aus, daß er möglicherweise noch ein ganzes Jahr ohne Pachtung bleiben und unthätig Geld verzehren müsse, ohne Etwas verdienen zu können.

      »Gieb mir doch die Zeitungen, vielleicht findet sich Etwas darin,« sagte er nach einer Weile zu seiner Gattin, und setzte noch, als diese aufstand, hinzu: »sind auch Briefe angekommen?«

      »Ja wohl,« entgegnete diese, »ich wollte sie Dir eben mitbringen. Es ist auch ein Brief von Amerika dabei; ich glaube, er ist von Deinem Vetter Victor.«

      »Sieh, endlich einmal wieder ein Lebenszeichen von ihm,« sagte Turner, während seine Gattin das Zimmer verließ.

       Bald kehrte dieselbe zurück und legte ein Packet Zeitungen und mehrere Briefe vor ihren Gatten auf den Tisch.

      »Wahrhaftig, ein Brief von Victor! Nun, da bin ich doch neugierig, wie es dem geht; es sind wohl schon beinahe drei Jahre, daß er Nichts von sich hören ließ.«

      Mit diesen Worten zog Turner die Lampe näher zu sich und öffnete das Schreiben. Er las den Inhalt mit augenscheinlich sich steigerndem Interesse, und als er die letzte Seite beendet hatte, legte er den Brief auf den Tisch, schlug mit der Hand darauf, und sagte mit einem freudigen Lächeln zu seiner Gattin: »nun, Marie, was meinst Du wohl, was er schreibt?«

      »Hoffentlich, daß es ihm und den Seinigen recht gut geht; was er sonst schreibt, möchte mir schwer werden zu errathen.«

      »Nichts mehr und Nichts weniger, als daß er uns einladet, auch hinüber zu kommen. Es geht ihm sehr gut; er besitzt eine Farm unterhalb Baltimore an der Chesapeake-Bay, baut Mais und Taback, und verdient dort dreimal so viel, als es ihm hier auf dem Gute bei Hannover mit der doppelten Arbeit möglich war. Dabei ist er so wie seine Familie frisch und wohl, hängt von Niemandem ab, wird von Niemandem belästigt, und muß in wenigen Jahren ein reicher Mann sein.«

      Madame Turner sah ihren Gatten überrascht und mit großen Augen an, als lese sie einen Gedanken auf seinen Zügen, von dem sie im Augenblick nicht wisse, ob sie ihn willkommen heißen solle. Dann aber kam ihre gewohnte Ruhe wieder über sie, und sie sagte: »im Anfange seines Dortseins ist es ihm aber auch schlecht genug ergangen. Ich weiß noch recht gut, daß er sich sehr nach dem alten Deutschland zurücksehnte. Gottlob, daß es ihm nun besser geht!«

      Turner schwieg, zog eine Cigarre aus der Tasche hervor und hielt sie wiederholt, und wie in Gedanken versunken, über die Lampe.

      »Wenn man es eigentlich so recht bedenkt,« fuhr er dann nach einer Weile fort, »so ist es ziemlich einerlei, ob man nach Süddeutschland oder nach Amerika zieht; die Reise nimmt kaum mehr Zeit in Anspruch, und zu Wasser ist sie viel bequemer als zu Lande. Daß der Brief gerade in diesem Augenblick kommen muß – sonderbar!«

      »Aber in einem fremden Lande, unter fremden Menschen, ohne Freunde!« bemerkte Madame Turner halb erschrocken.

      »Ohne Freunde, Marie, – verlangst Du schon wieder nach Freunden?« entgegnete Turner bitter.

      »Nicht nach solchen schlechten Freunden, Max, wie wir sie auf der Kluse um uns hatten, aber nach uneigennützigen, ehrlichen, biedern, gemüthlichen Freunden, solche meine ich, wie Du ja hier unter den Bürgern hunderte besitzest. Hast Du mir nicht selbst gesagt –«

      »Ja, ja, Marie, Du hast