Unglück Bedrängten erleichterten sich nach und nach durch die tröstenden Worte, die sie mit einander wechselten.
Madame Turner verließ ihren Gatten in einer viel gefaßteren Stimmung, als der, in welcher sie zu ihm gekommen war. Auch die erschreckten Gemüther der Kinder beruhigten sich, als die Eltern, wenn auch ernster, als sonst, doch weniger bekümmert beim Mittagsessen erschienen, welches heute sehr zeitig eingenommen wurde. Gleich nach Tisch reichte Madame Turner ihrem Gatten den Kaffee, Julie brachte die Wachskerze zum Anzünden der Cigarre, und Carl Scharnhorst führte den Rappen vor das Haus. Herr Turner ließ nicht lange auf sich warten, schwang sich in den Sattel und reichte seiner Frau zum Abschied die Hand mit den Worten: »Gott wird uns helfen!«
»Gewiß wird er es thun,« entgegnete Madame Turner mit vollster Zuversicht, und winkte ihrem Gatten noch einen Gruß nach.
Der Ritt war vergebens; denn Turner brachte bei seiner Rückkehr die Nachricht mit, daß alle seine Bitten, seine Vorstellungen umsonst gewesen seien, und daß die Gutsherrschaft unabänderlich auf seinen Abzug von der Kluse im kommenden Herbst bestehe.
Die Kunde von diesem Beschluß verbreitete sich bald in dem Städtchen, und mit ihr wurden vielerlei Vermuthungen über die eigentliche Ursache der Kündigung Seitens der Gutsherrschaft laut. Namentlich sagte man sich im Vertrauen, daß es mit den Vermögensverhältnissen Turners sehr schlecht stehe. Obgleich aber diese Gerüchte von Mund zu Mund gingen, so waren sie doch nicht bis auf die Kluse gedrungen, und beinahe eine Woche verstrich, ohne daß Turners etwas Anderes aus dem Städtchen erfuhren, als was die Knaben, wenn sie Abends aus der Schule kamen, ihnen erzählten.
»Unbegreiflich ist es mir, daß sich noch keiner unserer Freunde hier hat blicken lassen,« sagte Turner eines Abends, als er mit seiner Familie nach dem Abendessen in traulichem Kreise im Garten saß. »Ich will morgen doch einmal in die Stadt reiten und hören, was unsere Bekannten sagen. Sie werden sicher den innigsten Antheil an unserem Geschick nehmen. Vielleicht weiß auch der Eine, oder der Andere von einem Gute, welches pachtlos wird; jedenfalls ist mir der Rath eines Freundes willkommen.«
Am folgenden Tage gleich nach dem Mittagsessen bestieg Turner sein Pferd, um nach der Stadt zu reiten, und Madame Turner rief ihm beim Abschied nach: »grüße nur Alle recht herzlich von mir.«
Von dem Gasthause aus, wo Turner sein Pferd abgab, leitete er seine Schritte zuerst zu der Wohnung des Kreisraths, und erkundigte sich dort in der Hausflur, ob derselbe zu sprechen sei.
»Ja wohl, Herr Turner, der Herr ist in seinem Arbeitszimmer, er wird sich freuen, Sie zu sehen,« entgegnete ihm die Magd mit einem freundlichen Gruß und öffnete eine Thür, indem sie den Herrn Turner anmeldete.
Der Kreisrath, den Turner als einen seiner wärmsten Freunde betrachtete, empfing ihn mit großer Höflichkeit, doch nannte er ihn nicht, wie früher, »mein verehrter Freund,« sondern nur Herr Turner. Er führte ihn durch das Zimmer nach einer Thür, indem er sagte: »meine Damen werden sich sehr freuen, Sie zu sehen.«
Turner aber hielt ihn mit den Worten zurück: »ich möchte Sie gern einige Augenblicke allein sprechen, denn es ist eine wichtige Angelegenheit, in der ich mir Ihren Rath erbitten wollte.«
»Gern, gern, mit Freuden stehe ich zu Ihren Diensten; wahrscheinlich einer Klage wegen. Haben Sie einen schlechten Schuldner, sind Sie schon, oder sollen Sie noch betrogen werden? Auf meine Hülfe können Sie rechnen. Sagen Sie mir gefälligst nur, was ich für Sie thun kann?« erwiederte der Kreisrath, indem er Turner nach dem Sopha führte und neben ihm Platz nahm.
»Sie haben oft mein Glück hoch gepriesen, Herr Kreisrath, es will mir untreu werden,« begann Turner nach einer kurzen Pause.
»Wie so? Sie erschrecken mich!« sagte der Kreisrath mit erzwungenem Ausdruck der Ueberraschung, um Turner nicht zu verrathen, daß ihm dessen Mißgeschick bereits bekannt sei.
»Denken Sie sich, die Pacht ist mir gekündigt, ich muß im Herbst die Kluse verlassen,« fuhr Turner mit beklommener Stimme fort.
»Es ist wohl nicht möglich! Was ist denn der Grund?«
»Der zweite Sohn meiner Gutsherrschaft hat die Besitzung als Erbtheil erhalten, und will sie selbst bewirthschaften.«
»Das ist ja schrecklich – will man Ihnen denn keine Zeit geben, sich nach einer anderen Pachtung umzusehen? Das geht doch nicht so Hals über Kopf, da hat das Gesetz auch noch ein Wort mitzusprechen; haben Sie Ihren Pachtbrief bei sich?«
»Derselbe hätte schon im vorigen Jahre erneuert werden müssen, und ich habe wiederholt darauf gedrungen, man verschob es aber von einem Monat zum andern, und so ist es denn bis auf den heutigen Tag unterblieben. Die Pacht läuft in diesem Herbste ab, und ich habe nach den Bestimmungen in dem alten Contract gesetzlich kein Recht zu einer Beschwerde. Nennen Sie es nicht Nachlässigkeit, wenn ich nicht ernster auf zeitige Erneuerung des Pachtbriefes drang. Das Gut war seit so langen Jahren in den Händen meiner Familie, daß ich den schriftlichen Contract nur als eine Form betrachtete, der zu irgend einer Zeit nachgekommen werden konnte. Wie hätte ich denken können, daß die Verzögerung Seitens meiner Gutsherrschaft eine beabsichtigte gewesen wäre?« sagte Turner mit einem schweren Athemzug.
»Ja, ja, verehrter Herr Turner, nehmen Sie es mir nicht übel, aber allermindestens trifft Sie doch der Vorwurf leichtsinnigen Vertrauens in die Rechtlichkeit anderer Leute; solchem blinden Vertrauen darf man sich heutzutage nicht mehr hingeben; wo es sich um Mein und Dein handelt, da halte ich einen Jeden im Voraus für einen Spitzbuben, dann weiß ich, daß ich nicht hintergangen werde,« entgegnete der Kreisrath mit entschiedener Betonung.
»Dazu würde ich mich nie überreden können, Herr Kreisrath, und ich für meine Person ziehe es vor, gelegentlich betrogen zu werden, ehe ich den Glauben an Rechtlichkeit unter meinen Nebenmenschen aufgeben und in ihnen nur Spitzbuben sehen sollte. Ich habe gottlob noch die Ueberzeugung, viele ehrliche Freunde zu besitzen, die mich auch, selbst wenn es sich um Mein und Dein handelt, nicht für einen Schurken halten,« sagte Turner mit mehr als ihm gewohnter Heftigkeit.
»Ganz recht, da bin ich vollkommen Ihrer Ansicht, aber Freundschaft und Geschäft sind zwei ganz verschiedene Dinge; wo das persönliche Interesse redet, da muß die Freundschaft aufhören. Nun sagen Sie mir, soll ich vielleicht einmal mit Ihrem Gutsherrn reden und ihm ins Gewissen greifen? Ich scheue keine Mühe, wenn ich Etwas für Sie thun kann, und mein Rath steht Ihnen jederzeit zu Dienste.«
»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Bereitwilligkeit, mir zu helfen, muß aber darauf verzichten, da ich diesen Versuch bereits selbst vergebens gemacht habe. Man will von einer Aenderung in dem Beschluß Nichts hören,« versetzte Turner, kalt berührt von den Grundsätzen des Mannes, den er immer für einen warmfühlenden Freund gehalten hatte. Die Unterhaltung wurde wortkarger und gezwungener, und Turner erhob sich bald darauf, um sich zu entfernen. Der Kreisrath nöthigte ihn auch nicht, länger zu verweilen und sagte, indem er ihn bis an die Thür begleitete, mit einer höflichen Verbeugung: »mein Rath steht Ihnen jederzeit zu Gebote, Herr Turner.«
Dieser erwiederte die Zusicherung mit einer stummen Verneigung, und eilte zusammengepreßten Herzens in die Straße hinaus.
Der Kreisrath war gerade derjenige unter seinen Freunden gewesen, von dem er die wärmste Theilnahme an seinem Schicksal erwartet hatte, und welche Gefühle, welche Grundsätze hatte dieser Mann jetzt gegen ihn ausgesprochen!
Unentschlossen, ob er geraden Wegs wieder zu seinem Pferde zurückkehren und nach Hause reiten, oder ob er noch andere seiner Freunde aufsuchen sollte, schritt Turner, in düstere Gedanken versunken, langsam in der Straße hin. Das Gefühl drängte sich ihm unwiderstehlich auf, daß er überall dieselbe herbe Erfahrung machen würde, wie bei dem Kreisrath, wenn auch sein Herz sich dagegen sträubte und an dem Glauben an wirklich wahre Freundschaft festhielt. An der Ecke, wo die Straßen sich theilten, blieb er einen Augenblick zögernd stehen, dann schritt er aber schnell nach dem Gasthause hin, entschlossen, es abzuwarten, welche Theilnahme ihm seine anderen Freunde, ohne von ihm dazu aufgefordert zu sein, zeigen würden; denn die Kunde von seinem Mißgeschick mußte sich bereits in dem Städtchen verbreitet haben.
Madame Turner hatte sich gleich nach ihres Gatten Entfernung