Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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lachte der Knabe auf.

      Das waren dieselben beherrschten Laute, die einst so fremdartig, so edel lieblich in den Räumen des finsteren, bäurisch zugestutzten Klosterhauses geklungen und dem Ohr des rauhen, verdüsterten Onkels mißfallen hatten ... War sie es wert, daß ihr noch einmal ein solch köstliches Kleinod in die Hand gegeben wurde, um ihr auf Erden noch die Umkehr möglich zu machen, so daß sie seinen Kindern in Fülle das gewähren durfte, was sie ihm zeitlebens hart versagt hatte? ... Nicht ein Augenblick der vergönnten Frist sollte verloren gehen! Sie wollte die kleinen Sendboten seiner unwandelbaren Sohnesliebe behüten, hegen und pflegen als ihr höchstes Gut, als ihren Augentrost – schon jetzt unter den strömenden Tränen, die ihm flossen, labte sie sich an ihrer Jugend und Lieblichkeit. Hier zwischen ihnen war ihr Platz – auf das Klostergut kehrte sie nur noch einmal zurück, um ihr Eigentum zu holen, aber nie mehr, um ferner dort zu leben ...

      Noch war keine Frage über ihre Lippen gekommen; aber nun stellte sie die kleine Paula auf den Teppich, und so erschöpft, als sei der Weg vom Fichtenwäldchen bis zum Säulenhause ein unermeßlicher, über rauhes Geklüft, durch dornstarrende Schluchten führender gewesen, sank sie im nächsten Lehnstuhl zusammen – es war Donna Mercedes' Stuhl in der Fensterecke. »Nun sprechen Sie!« murmelte sie, die gefalteten Hände vor die Augen gedrückt.

      Donna Mercedes war neben die Pflanzengruppe getreten, welche den Schreibtisch umgab. So stand sie ihr schräg gegenüber, und das Herz schlug ihr heftig – wenn die Hände von den Augen dort sanken, dann sah die Majorin in das Gesicht ihres geschiedenen Mannes – und das geschah in diesem Augenblick.

      Sie stieß einen halbunterdrückten Schrei aus und wollte sich erheben, aber sie sank wie gelähmt zurück und legte die Rechte mit einer schlaffen Bewegung wieder vor die Augen ... Das war ja alles tief vergraben gewesen im verschlossensten Seelenwinkel der alternden Frau, der berückende Blick der feurigen blauen Augen, das edle, bärtige Gesicht mit dem sprühenden Geist und Humor in seinen Linien, die herrliche, ebenmäßige Gestalt voll ritterlichen Anstandes. Und wenn ja einmal ein Klang, ein Wort von außen, ein unerwünschter nächtlicher Traum den kraftvoll niedergehaltenen Strom der Erinnerung entfesselt und seine Wellen emporgespült hatte, dann war sie fortgestürmt aus dem Hause, auf die Felder hinaus; sie hatte nach Hacke und Spaten, nach Sichel und Erntegabel gegriffen und mit Bärenkraft gearbeitet, bis sie todmüde zusammengebrochen war und im tiefen, traumlosen Schlaf vergessen hatte ... Nun trat er ihr da von der Wand entgegen, jugendlich wiedererstanden in der ganzen verführerischen Herrlichkeit seiner Erscheinung, und neben sich ein wunderschönes Weib, das zu ihm gehörte...

      Eine Ahnung schien sie wie ein Blitz zu durchzucken. »Das ist Ihr Platz – wer sind Sie?« fragte sie kaum vernehmlich und sah mit einem erloschenen Blick unter der beschattenden, wie vom Fieber geschüttelten Hand hervor in das Gesicht der jungen Dame.

      »Ich bin Mercedes Lucian, Major Lucians Tochter zweiter Ehe,« antwortete diese fest und stolz – es mußte ja doch gesagt werden; und wenn sie auch gezwungen war, einen Dolch in dem Herzen dieser Frau umzuwenden, sie durfte und konnte ihre Abkunft nicht eine Sekunde länger verleugnen...

      Und nun erzählte sie von der Heimat, möglichst schonend, ruhig und beherrscht. Und die Majorin sah den Mann, von dem sie unter innerer Genugtuung geglaubt hatte, er sei verkommen und verdorben, nachdem sie ihn verlassen, zu der Gewalt und dem Reichtum eines Fürsten auf seinem Plantagengebiet emporsteigen, sie sah ihn glücklich im Besitz einer schönen, vornehmen Frau, mit der die geborene Wolfram, bei allem Familiendünkel, an Rang und Geburt nicht in die Schranken treten durfte. Sie erfuhr, daß der verstoßene Sohn in der Tat zu seinem Vater gegangen und mit offenen Armen empfangen und in alle Vorrechte eines geliebten, heißersehnten Kindes eingesetzt worden war. Aber an diese Mitteilungen reihte sich dann auch die Schilderung des grausen Bürgerkrieges, der seine Wogen verheerend über die glücklichen Gefilde gewälzt und Vater und Sohn in den Schlund des Todes gerissen hatte ...

      Bitter, bitter war der Kelch, den sie, Tropfen um Tropfen, bis auf den Rest leeren mußte, und der stolze starre Nacken beugte sich tiefer und tiefer, bis die Stirn auf die Arme sank, die sich auf der Tischplatte verschränkten ... So verharrte sie, als sei alles Leben aus ihr gewichen ...

      Sie hob auch den Kopf nicht, als plötzlich durch die offenen Fenster von der Straße herüber ein wüster Lärm die Mitteilungen der jungen Frau unterbrach. Nicht das leiseste Rühren ging durch ihren Körper, als Hannchen eintrat und tief erregt, mit einem seltsam flimmernden Blick nach ihr, halb flüsternd meldete, daß ein Zusammenlauf vor dem Klostergute stattfinde – Arbeiterfrauen hätten jammernd und schreiend die Nachricht gebracht, daß eine Kohlenwand im Bergwerk plötzlich eingestürzt und ein furchtbarer Wasserschwall unaufhaltsam in die Gruben brause.

      »Lassen Sie mich!« murmelte die Majorin fast drohend, und kaum die Stirn emporhebend, als Donna Mercedes ihr sanft die Hand auf die Schulter legte, um sie zu vermögen, sich aufzurichten. »Was geht das mich an? ... Der Mann hat über- und übergenug,« – unbewußt wiederholte sie jetzt denselben Ausspruch, der sie einst im Munde ihres Sohnes empört hatte – »und wenn er nicht ein einziges Kohlenstück mehr gewinnt, er kann's verschmerzen ... Was ist der Verlust des Erdenplunders gegen die Schmerzen, die ich leiden muß! – Oh! ... Fahren Sie fort!« – Sie drückte die Augen wieder auf die Arme, und an den unterbrochenen Bericht der jungen Dame anknüpfend, sagte sie schweratmend: »Mein Sohn – mein armer Sohn, erhielt den Schuß in die Brust auf der Türschwelle seines brennenden Hauses –«

      »Ja – und Jack rettete ihn und schleppte ihn auf dem Rücken in den nächsten Busch.« – Und weiter erzählte Donna Mercedes, wie der Verwundete unter unaussprechlichen Mühsalen wochenlang durch verwüstetes Gebiet von treugebliebenen Schwarzen nach ihrer Besitzung Zamora transportiert worden war, weil er gewünscht hatte, bei Frau und Kindern zu sterben. Sie schilderte seine Sehnsucht nach der Mutter, sein heißes Verlangen, sie zu versöhnen und seine Kinder unter ihren Schutz zu stellen.

      Währenddessen war es draußen auf der Straße wieder vollkommen still geworden.

      Hannchen war auf die Bitten der Kinder und einen zustimmenden Wink Donna Mercedes' im Zimmer geblieben. Sie kauerte neben Josés Fahrstuhl und brachte die Wickelpuppe der kleinen Paula in Ordnung.

      Die verdüsterten Augen des Mädchens streiften mit feindseligem Ausdruck wiederholt die tiefgebeugte Frauengestalt in der Fensterecke ... Damals war dieser Nacken steif und unbeugsam gewesen, als ihr Vater, der unglückliche Adam, verzweiflungsvoll bittend an der Schwelle ihrer Küche gestanden – und sie hatte gemeint, mit einem Stückchen Kuchen, das sie gnädig seinem Kinde reiche, beschwichtige sie die wunde Seele des armen Bedienten ... Über das verhaßte Klostergut und seine hartherzigen und habgierigen Menschen brach jetzt die Strafe herein – in die Kohlengruben, um derentwillen ihr gebrandmarkter Vater den Tod gesucht hatte, stürzte eine unterirdische Wasserflut und ersäufte die goldbringenden Schächte, und die Hochmütige, die Harte dort, die wie eine tiefzerknirschte Büßerin die Stirn nicht wieder zu heben wagte, sie weinte dem einzigen Sohne nach, den sie nie wiedersehen sollte.

      Und von der Frau weg fuhr plötzlich der Blick des Mädchens aufglühend nach der Zimmerwand, an der sich die grüne Polsterbank hinzog ... Sie erhob sich lautlos vom Boden, wie ein emportauchender Geist, das Schnitzgeflecht über der Bank starr ansehend, und der faul auf den Teppich hingestreckte Hund hob leise knurrend den Kopf von den Pfoten und schien die Ohren zu spitzen ...

      – »Aber den Brief meines unglücklichen Bruders kann ich Ihnen leider nicht ausliefern – er ist mir hier, zu meinem Schmerz, nebst anderen wichtigen Familienpapieren, entwendet worden,« schloß Donna Mercedes niedergeschlagen, mit sinkender Stimme ihre Mitteilungen dort in der Fensterecke, während sich die Majorin langsam emporrichtete.

      »Siehst du die Staubwölkchen dort auffliegen, José?« flüsterte Hannchen in diesem Augenblick dem Knaben zu und zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach der Wand. »Und horch, wie es tappt! – Jetzt kommt es wie tastende Finger an das Holz – hörst du's? – Du denkst wohl, das sei ein Mensch? – Bewahre – die Mäuse sind's, die Mäuse! Die Leute sagen so, und da muß es wohl wahr sein!« Und auf den Zehen, atemlos, und so rot im Gesicht, als stürme ihr das ganze jugendheiße, hochwallende Blut nach dem Kopfe, trat sie der Wand näher, und Pirat