Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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zu tauchen. Die meisten haben schon bei drei Meter genug.«

      Ja, der Mann hatte recht. Erst später, als ich mich mehr mit der Taucherei beschäftigte, andere darin ausbildete, erkannte ich, was ich damals geleistet hatte.

      Soll man nur einmal beim ersten Male drei Meter tief tauchen! Im Taucherhelm ist das nämlich etwas ganz anderes, als so in natura, ohne Apparat. Da hat man auch nicht das schreckliche Ohrensausen. Ja, kommt nur hin! Umsonst bekommt doch ein mittelmäßiger Taucher nicht vierzig Mark die Stunde, für jede weitere Minute eine Mark und noch mehr. Schon der Rekrut in der Marine, der zum Taucher ausgebildet wird, erhält für die Minute zwanzig Pfennige, und da hat er noch nichts zu leisten, hat unten nur Steine aufzulesen – oder die Bibel zu lesen, wie es dort heißt. Berühmte Taucher, und da kann man wirklich von Weltberühmtheit sprechen, denn solch ein Mann wird doch von Amerika nach Australien geholt, um ein Wrack zu untersuchen – taucht nicht unter hundert Mark pro Stunde. Der Hamburger Taucher Flint, den ich noch kennen lernte, bekam für die Minute unter normalen Verhältnissen drei Mark. Natürlich weiß man, daß sich solche Männer unten nicht untätig hinsetzen. Davon ist ja überhaupt gar keine Rede, da macht jeder so schnell wie möglich, daß er wieder ans Licht der Sonne kommt.

      Kurz, die aufrichtige Versicherung dieses gelernten Tauchers hatte mir die Ueberzeugung gegeben, daß ich kein Schwächling und Feigling gewesen war, und später sah ich das noch viel mehr ein.

      »Lassen Sie mich zuerst hinuntergehen,« sagte er, »oder mit Ihnen, das Pumpwerk bedarf ja weiter keiner Aufsicht… «

      Nein, da gab es aber bei mir nun nichts! Nur noch zwei Meter hatten bei mir gefehlt, hätte ich den Blendstrahl nach unten gesenkt, hätte ich den Boden, die Kassetten schon sehen müssen.

      Vergebens beschwor Blodwen mich – ich ließ den Helm wieder festschrauben, zum zweiten Male ging es hinab.

      Und ich erreichte den Boden. Und mit einem Male merkte ich gar nichts mehr von dem Ohrensausen. Nämlich deshalb nicht, weil ich auch nichts von Kassetten bemerkte.

      An die Dunkelheit hatte ich mich nun schon gewöhnt, oder vielmehr war der Blendstrahl für mich jetzt schon sehr hell geworden. Auf fünf Meter Entfernung konnte ich in grünlichem Scheine alles deutlich erkennen.

      Ich sah nebenan felsigen Grund, fast ganz glatt, nur mit einer Schicht kleiner Muscheln bedeckt – aber von Kassetten keine Spur, wie ich den Blendstrahl auch herumwandern ließ.

      Wo lagen denn die? Ich hatte sie beim Versenken absichtlich etwas durch Werfen verstreut, daß sie nicht alle direkt auf einem Haufen zu liegen kommen sollten. Und wenn ich mich drehte, so konnte ich doch einen Kreis von zehn Meter Durchmesser überblicken, das ist doch schon ein ganz hübsches Terrain. Und meine geographische Berechnung, bis auf eine Zehntelsekunde gemacht, bestimmte nur wenige Quadratmeter!

      Die einzige Möglichkeit, an die ich im Augenblick dachte, war die, daß hier unten eine Strömung herrschte, welche die Kassetten oder jetzt mich seitwärts getrieben hatte.

      Doch nein, diesen Gedanken mußte ich gleich wieder verwerfen. Jetzt herrschte hier keine Strömung, das konnte ich doch beurteilen, ich brauchte ja nur eine Muschel aufzuheben und sinken zu lassen, und ich war fest überzeugt, daß auch damals hier unten keine Strömung gewesen war, und solch eine Kassette, fast dreißig Pfund wiegend, kann doch auch gar nicht so weit fortgetrieben werden.

      Ich ging noch eine Weile hin und her, wie eine Ballerina bei jedem Schritte in die Höhe hüpfend, unter dem Schiff hinweg, leuchtete – nichts!

      Dann gab ich das Zeichen zum Emporziehen. Ich war einfach ganz perplex, auch noch, als ich an Deck den Helm losschraubte.

      Ich erzählte von meinem negativen Resultat. So bekam die Mannschaft gleich zu hören, um was es sich handelte.

      »Du hast dich einfach damals in der Berechnung geirrt!« rief Blodwen sofort.

      Das war ja auch die einfachste Lösung des Rätsels. Nur nicht für mich. Nur an das wollte ich nicht glauben.

      Was die Richtigkeit der mathematischen Berechnung betraf, so konnte ich die ja gleich nachprüfen. Ich machte sie stets in einer besonderen Kladde.

      Ich rechnete also nach – die Berechnung stimmte, sollte sie auch nicht! Ich hatte dieselbe Berechnung zweimal mit Prüfung gemacht, hatte es sich doch um eine Bestimmung gehandelt, wo sich der Punkt bei einer falschen Dezimalstelle um hunderte von Metern, um Meilen verschieben kann!

      Nun aber konnte auch noch ein anderer Fehler vorliegen. Nämlich ein instrumentaler, aus Sextant oder Uhrzeit, daß ich also die Höhe der Sonne falsch bestimmt hätte.

      Aber hätte ich genau denselben Fehler wirklich zweimal begehen sollen? Außerdem war das auch jetzt noch nachzurechnen.

      Es wäre doch schlimm, könnte der Astronom respektive der Seemann nicht jederzeit bestimmen, wo vor einigen Wochen zu einer gewissen Sekunde die Sonne am Himmel gestanden hat!

      Um ganz sicher zu gehen, ließ ich gleichzeitig mit mir den ersten und zweiten Steuermann solch eine rückbezügliche Sonnenaufnahme machen, jeder einzeln für sich. Wer es nicht gekonnt, den hätte ich sofort zum Teufel gejagt.

      Die Berechnung stimmte! Und auf die sekundale Richtigkeit meines Chronometers, den ich in Kapstadt nicht um die Zehntelsekunde hatte zu justieren brauchen, schwor ich – also hier auf diesem Punkte, auf den ich jetzt mit dem Finger deutete, hatte ich heute vor neun Tagen die vierzig Kassetten versenkt!!

      Ich ging noch einmal hinunter, diesmal aber doch Karl mitnehmend. Dachte ich, er könnte mehr sehen als ich? Ja, ich begann an Wunder zu glauben, ich war ganz verstört.

      »Dampf auf!!« war mein nächstes Kommando, als ich wieder oben war.

      »Ja aber, Richard!« wollte Blodwen beginnen.

      »Ich bitte dich, Blodwen, sprich gar nicht!! Ergehe dich nicht in Vermutungen!«

      Und die nächsten zwei Tage habe ich tatsächlich kein Wort gesprochen – wenigstens nichts, was nicht das Schiff betraf.

      Ich war eben vollständig perplex geworden, konnte mich gar nicht wieder erholen. Soll einmal ein Geschäftsmann sein Hauptbuch, das er im sicheren Verschluß bewahrt, eines Morgens aufschlagen, um er findet da ganz andere Zahlen eingetragen; am von seiner Hand geschrieben. Was würde der Mann sagen? Was würde er denken? Würde er nicht an seinem Verstande zweifeln?

      Das ist ein Gleichnis. So war auch mir zumute. Wie betäubt! Sonne, steh still, Mond, bewege dich nicht – ich zweifelte an nichts mehr.

      Glücklicherweise konnte sich Blodwen in meine Lage versetzen, sie verstand, sie nahm mir mein sonderbares, grillenhaftes Wesen nicht übel.

      Am zweiten Tage machte ich eine neue Berechnung. Es stimmte, hier auf diesem Punkte hatte ich vor vierzehn Tagen die vorletzten vierzig Kassetten versenkt, in einer Tiefe von nur acht Metern, das eingefettete Lot hatte Pflanzenteile mit heraufgebracht.

      Ich tauchte hinab, ebener Felsboden, mit Seemoos bewachsen, und sonst – wieder nichts! Keine Kassetten!

      »Um Gottes willen, Richard,« flüsterte Blodwen mit ganz bleichem Gesicht, als ich es ihr mit kurzen Worten meldete, »wenn uns das Geld gestohlen … «

      »Gestohlen? Von wem denn?« fuhr ich empor.

      Weiter gedampft, dem dritten Punkte zu, an dem ich Kididimos Schmuck versenkt hatte, wenigstens die Hälfte davon.

      Ich war dem Wahnsinn nahe. Weshalb, das kann ich nicht erklären. Das kann jemand nur mitfühlen.

      Am anderen Tage warfen wir zum dritten Male Anker, ich hatte zweiundzwanzig Meter tief zu tauchen, und das Lot hatte damals sandigen Boden angezeigt, doch der Sand konnte nicht tief sein.

      Ich schwebte hinab, tief, immer tiefer. Diesmal aber merkte ich nichts von Ohrensausen.

      Den Blendstrahl nach unten gerichtet, sank ich – und da tauchte der weiße Boden auf – wieder nichts – kein Gold, kein Edelstein leuchtete mir entgegen, wohl aber …

      Himmel, was war denn