Abaelard gewachsen. Heute wird sie als eine große Philosophin und Literatin aus eigenem Recht anerkannt, und ihr Briefwechsel mit Abaelard gehört zu den großen Büchern der Weltliteratur.
Bei dem unten erwähnten ›Trostbrief‹ Abaelards handelt es sich eigentlich um eine autobiographische Skizze, die den Verlauf seiner Geschichte mit Heloisa nachzeichnet.
Ihrem Herrn, ja Vater; ihrem Gatten, ja Bruder; seine Magd, ja Tochter; sein Weib, ja Schwester:
an Abaelard seine Heloisa
Deinen Trostbrief an einen Freund, mein Geliebtester, hat neulich mir jemand zufällig überbracht. Da ich ihn sogleich nach dem Anblick der Aufschrift als den Deinigen erkannte, so begann ich umso glühender ihn zu lesen, je inniger ich den Schreiber selbst umfasse, dass, wenn mir auch seine Person verloren ist, ich doch durch sein Wort wenigstens wie durch ein Bild von ihm erquickt werde. Es war, erinnere ich mich, im Briefe alles voll Galle und Wehrmut; er erzählte ja die jammerreiche Geschichte von unserer Einkehr ins Kloster und Dein fortwährendes Kreuz! […] Niemand, glaub’ ich, kann dies alles mit trockenen Augen lesen oder hören, meinen Schmerz aber musste es umso mächtiger erneuern, je genauer das Einzelne dargestellt war, umso höher ihn steigern, da Du erzählst, wie jene Gefahren für Dich noch wachsen, so dass wir alle auf gleiche Weise dahin gebracht sind, an Deinem Leben zu verzweifeln, und stündlich unter zitterndem Busen und pochendem Herz jener letzten Kunde von Deinem Tod entgegensehen. Bei ihm selber also, der Dich bis heute für seinen Dienst auf jede Weise schirmt, bei Christus, beschwören wir Dich, Du mögest seine und Deine Mägde würdigen, ihnen recht oft über den Sturm, von dem Du noch schiffbrüchig einhergeschleudert wirst, brieflich sichere Nachricht geben, damit Du uns wenigstens, die wir Dir einzig geblieben sind, zu Genossen des Schmerzes oder der Freude habest. Mitleidende pflegen ja dem Leidenden einigen Trost zu gewähren, und jede Last, die mehreren aufgelegt ist, wird leichter getragen oder abgeworfen. Wenn aber jenes Ungewitter ein wenig ruht, so müssen Deine Briefe umso schneller kommen, je mehr sie uns erfreuen werden. Was Du aber auch schreiben magst, es wird uns alles zum Heile gereichen. […] Gott sei Dank, dass wenigstens diese Gegenwart uns zu gewähren kein Neid Dich abhält, keine Schwierigkeit Dich hindert; ich beschwöre Dich, auch keine Nachlässigkeit Dich säumen zu lassen. Du hast dem Freunde einen langen Brief geschrieben zum Troste zwar für seine Widerwärtigkeiten, aber über die Deinigen. Indem Du die Deinigen sorgsam aufzähltest und ihn zu trösten gedachtest, hast Du meine Trostlosigkeit nur noch erhöht, und während Du seine Wunden heilen wolltest, hast Du mir alle Wunden aufgerissen und neue schmerzliche geschlagen. Heile selbst, ich beschwöre Dich, was durch Dich geschehen, der Du der Sorge für das ein Genüge tust, was durch andere geschehen ist. […]
Und Du weißt doch, dass Du mir mit größerer Schuld verpflichtet bist, je inniger der Bund des ehelichen Sakrament uns aneinanderkettet, dass Du mir umso mehr ergeben sein musst, je heißer ich Dich stets, wie alle wissen, mit unendlicher Liebe umfasst habe. Du weißt, Geliebtester, alle wissen es, wie viel ich in Dir verloren habe, und durch welches unselige Geschick der äußerste Verrat mich selbst und Dich mir entrissen hat, und wie unvergleichbar größer der Schmerz des Verlustes jetzt ist, als der des Schadens war. Je größer aber die Ursache des Leidens ist, desto größere Mittel des Trostes müssen angewandt werden, nicht von einem anderen sonst, sondern von Dir selbst, dass, der Du allein des Leidens Ursache warst, auch allein seist in der Gnade des Tröstens. Du bist es ja allein, der mich betrüben, der mich erfreuen oder mich trösten kann. Und Du bist es allein, der vorzüglich das mit schuldig ist, und darum am meisten, weil ich alles, was Du befohlen, soweit erfüllt habe, die ich Dir in nichts zuwider sein konnte, auf Deinen Befehl mich selbst dahinzugeben vermochte. Und was noch ein Größeres ist und wunderbar klingt, in solche Raserei ist meine Liebe verwandelt, dass, was sie einzig begehrt, sie selbst sich ohne Hoffnung des Wiedergewinnens entzog, da ich folglich auf Dein Gebot ein andres Kleid und einen andern Sinn annahm, auf dass ich Dich als den alleinigen Herrn meines Leibes wie meiner Seele erwiese. Nichts habe ich jemals, Gott weiß es, in Dir gesucht, als Dich selber, rein nur Dich und nicht das Deinige begehrend. Nicht den Bund der Ehe, nicht andere Heiratsgüter habe ich erwartet, nicht meinen Willen und meine Lust, sondern Deine zu erfüllen gestrebt, wie Du selber weißt. Und wenn der Name der Gattin heiliger und würdiger scheint, süßer doch war mir’s immer, Deine Geliebte zu heißen, oder, wenn Du nicht darüber zürnen willst, Deine Buhle oder Hetäre; damit je tiefer ich mich für Dich erniedrigte, ich umso größere Huld und Gnade bei Dir fände und den Glanz Deiner Herrlichkeit weniger beleidigte.
Dieses hast Du um Deiner selbst Willen nicht ganz in dem oben erwähnten Briefe vergessen, den Du einem Freunde zum Troste geschrieben. Dort hast Du auch nicht verschmäht, einige Gründe auseinanderzusetzen, durch die ich Dich von unsrem Ehebund und seinem unheilvollen Lager abzuhalten versuchte, die meisten aber verschwiegen, aus denen ich die Liebe der Ehe, die Freiheit der Fessel vorzog. Gott rufe ich zum Zeugen an, wenn Augustus, der Herrscher der ganzen Welt, mich der Ehre seiner Gattin würdigen und mir die Herrschaft des ganzen Erdreiches für alle Zeit bestätigen wollte, so würde es mir lieber und würdiger erscheinen, Deine Buhle genannt zu werden als seine Kaiserin; denn der Reichste und Mächtigste ist darum nicht auch der Beste, jenes ist des Glückes, dieses der Tugend Werk. Täusche sich auch die nicht darüber, dass sie sich bloß verkauft, die lieber einem Reichen als einem Armen sich vermählt und mehr in ihrem Manne das Ihrige als das Seine begehrt. Gewiss, welche von solcher Begierde zur Ehe geführt wird, der gebührt mehr ein Sold als die Huld der Liebe. Denn gewiss, ihr gilt es um das Vermögen, nicht um den Mann, sie würde sich, wenn sie könnte, dem Reicheren preisgeben. […]
Zweierlei aber, ich gestehe es, war Dir eigentümlich, wodurch Du die Herzen aller Frauen sogleich gewinnen konntest: die Anmut des Wortes und des Gesanges; und das war den andern Philosophen bekanntlich keineswegs verliehen. Indem Du hieran wie an einem Spiel Dich von der Anstrengung philosophischer Arbeiten erholtest, hast Du viele im Maß oder Rhythmus der Liebe gedichtete Lieder hinterlassen, die, wegen überschwänglicher Süßigkeit der Worte wie der Melodie häufig nachgesungen, meinen Namen in aller Munde unaufhörlich erhielten, so dass die Lieblichkeit wohllautenden Gesangs auch die Ungebildeten Deiner niemals vergessen ließ. Und daher besonders seufzten die Frauen in Liebe zu Dir. Und da der größte Teil jener Lieder unsere Liebe besang, so verkündeten sie vielen Ländern meinen Namen in kurzer Zeit und entzündeten gegen mich den Neid vieler Frauen. Denn welches Gut der Seele oder des Leibes schmückte Deine Tugend nicht? Welche von allen, die mich damals beneideten, triebe nicht mein Unglück jetzt zum Mitleid, da ich solcher Wonnen beraubt worden bin? Welchen Mann oder welche Frau, mögen sie mir auch anfangs feind gewesen sein, erweichte jetzt nicht das verdiente Mitleid? Und am meisten schuldig, bin ich dennoch, wie Du weißt, am meisten unschuldig. Denn nicht im Erfolg der Tat, sondern in des Täters Gesinnung besteht das Verbrechen, und die Billigkeit wägt nicht, was geschieht, sondern in welchem Geiste es geschieht. Welche Gesinnung ich aber immer gegen Dich hegte, das kannst Du allein beurteilen, der es erfahren hat. Deiner Prüfung stelle ich alles anheim, in allem unterwerfe ich mich Deinem Zeugnis.
[…] Als ich in fleischlicher Lust Dein genoss, da galt es den meisten für ungewiss, ob ich es aus Liebe oder aus Sinnlichkeit tat. Jetzt aber bezeugt es das Ende, aus welcher Quelle der Anfang kam. Alle Freuden habe ich mir untersagt, um Deinem Willen zu gehorchen. Nichts habe ich für mich behalten, als dass ich so am meisten die Deine würde. Wie groß aber Deine Unbilligkeit ist, das erwäge, wenn Du mir, je mehr ich verdiene, umso weniger gibst, ja am Ende gar nichts; besonders da es ein Kleinod ist, was ich fordere, und Dir ganz gleich.
Beim ihm selbst also, dem Du Dich geweiht, bei Gott flehe ich zu Dir, dass Du, auf welche Art Du kannst, mir wieder Deine Gegenwart schenkest und mir ein Wort des Trostes schreibest, mindestens auf den Beding, dass ich dadurch erquickt dem göttlichen Dienste heiterer obliegen könne. Als Du mich einst zu zeitlichen Freuden verlangtest, da brachtest Du durch manches Lied Deine Heloisa in aller Munde. Von mir hallten alle Straßen, von mir alle Häuser wider. Aber mit welch größerem Recht würdest Du mich jetzt zu Gott, als damals zur Lust erwecken! Erwäge, ich beschwöre Dich, was Du schuldig bist, beachte, was ich fordere, und so schließe ich den langen Brief mit dem kurzen Ende: Lebe wohl, Du Einziger!
Katharina von Aragon
(1485-1536)
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