Greg F. Gifune

MIDNIGHT SOLITAIRE


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verzweifelt. »Was haben Sie ihr angetan?«

      Der Mann nähert sich ihm immer weiter, ohne etwas zu erwidern.

      »Wer sind Sie? Und warum tun Sie das? Was zur Hölle soll das alles?« Als er wieder keine Antwort bekommt, wankt er ein wenig zurück und streckt die Hände vor sich aus, als könne er so irgendetwas abwenden. »Warten Sie, ja? Bleiben Sie einfach stehen – Sie brauchen das nicht zu tun, ich habe Ihnen doch gar nichts getan, ich … Mensch, kommen Sie schon, ich kenne Sie ja nicht einmal! Ich bin erst fünfundzwanzig, okay? Mein Name lautet Martin, der meiner Freundin Carey, und wir wollen bald heiraten, ich – bitte hören Sie mir doch nur eine Minute zu!«

      Es geschieht ohne irgendeine Unterbrechung oder ein Zögern, dass der Mann die letzten Schritte zurücklegt, um zu Martin aufzuschließen, und ihm das große Messer tief in die Eingeweide rammt. Dann hält er ihn fest, indem er ihm den Hals mit einer behandschuhten Hand zudrückt, und reißt die Waffe mit der anderen Hand nach oben, um sein Opfer brutal aufzuschlitzen, einhergehend mit einem markerschütternden Knirschen.

      Schließlich zieht er die Klinge wieder heraus, wischt sie sorgfältig mit zwei langen, gleichmäßigen Bewegungen an seiner Hose ab und steckt sie anschließend zurück in ein Futteral an seinem Gürtel. Obwohl er auch jetzt nichts sagt, stützt er Martins Hinterkopf fast zärtlich und lässt ihn sanft auf der Straße nieder. Danach geht er neben ihm auf die Knie und legt ihn hin, als sei dieser ein empfindliches Kind, ehe er ihm leicht über die Stirn fährt und tief in seine Augen schaut, während Martin abdriftet in eine ganz andere Art von Dunkelheit.

      Das Letzte, was er sieht, sind die Augen, die unter der Krempe dieses Hutes auf ihn herabschauen. Aber es sind nicht mehr jene lodernden eines Dämons, sondern die eines menschlichen Wesens, das trauert und leidet, weil es hilflos mit ansehen muss, wie Martin stirbt. In diesem merkwürdigen, eigenartig intimen Moment lässt Martin all seine Ängste fahren und erkennt, dass irgendwie alles wieder gut werden wird.

      Heute Nacht ist er der Glückliche.

      ***

      Der Schnee geht nun unvermittelt in Regen über.

      Immer noch ist es Nacht, und ein Wolkenbruch geht über der Stadt nieder. Kräftig prasselt er auf das leer stehende Gebäude und fließt laut rauschend an der Feuerleiter hinunter. Weder Blitz noch Donner, nur Regen … Regen und Erinnerungen … Regen und ein Kartenspiel … der gleiche Stapel, den er jetzt schon seit Jahren bei sich trägt, abgegriffen und zerfleddert, aber immer noch brauchbar.

      Er sitzt an einem kleinen Tisch in einem Raum, der einmal eine Küche gewesen ist und einzig von den Flammen schwarzer Weihkerzen erhellt wird. Als er sich noch einen Wodka einschenkt, bemerkt er, dass die Flasche bereits halb leer ist. Er mischt die Karten und legt sie erneut aus. Ein Blick auf die Uhr; es ist kurz nach Mitternacht. Er nickt wie zur Antwort auf die Erinnerung und lässt sie dann verfliegen wie alles andere.

      Die ganze Zeit über spielt er.

      Nach so vielen Jahren tut er es mechanisch, weil es ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass er sich nicht einmal mehr auf die Karten konzentrieren muss. Solitär ist immerhin nur ein Ritual, das er oftmals beginnt, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

      Manchmal gewinnt er, kann die Züge aber nicht rekapitulieren, die ihn zum Sieg geführt haben, ein anderes Mal beißt er sich fest und fängt dann geistesabwesend ein neues Spiel an. Während er sich in seinen Mitternachtspartien Solitär ergeht, schweifen seine Gedanken unwillkürlich ab. Die sich wiederholenden Bewegungen lassen ihn praktisch auf Autopilot umschalten und versetzen ihn sozusagen in Trance, woraufhin er sein Gefühl für Zeit und Raum verliert, bis er erst Stunden später wieder aus seinem Spiel auftaucht. Sollte es zu irgendetwas dienen, abgesehen vom nächtlichen Zeitvertreib, dann als Hilfe beim Wandeln zwischen seiner Welt und der ihren.

      Da sich heute einfach nicht die passenden Karten auftun, rafft er sie kurzerhand wieder zusammen und mischt sie ein letztes Mal, bevor er sie beiseitelegt. Nachdem er den Rest Wodka hinuntergestürzt hat, lauscht er dem trommelnden Regen. Er schaut auf das Eis in seinem Glas, greift gleichzeitig zur Flasche und schenkt sich erneut ein. Wie in den meisten Nächten wird er weiter trinken, bis ihn der Alkohol schließlich derart benebelt, dass er ansatzweise wegdämmert, obwohl noch Stunden vergehen werden, ehe er einschlafen kann.

      Nebenan auf einer schmutzigen, alten Matratze, die er irgendwo dort draußen gefunden hat, liegt die Leiche einer jungen Frau – Carey hieß sie laut ihrer eigener Aussage, wenn er sich recht entsinnt. Sie begriff einfach nicht, dass er zu ihr kam, um sie zu befreien und sie zu retten, also starb sie schreiend, so wie es alle taten, weil sie noch nicht bereit waren, das zu akzeptieren, was sie brauchen und aus eigenen Stücken heraufbeschworen haben. Er kennt ihre Schmerzen, ja er spürt sie sogar selbst. Dies hat er ihr erklärt, während er sie häutete und verstümmelte. Danach verwendete er ihr Blut und die anderen Körperflüssigkeiten, um die Wände, die Decke sowie den Boden mit seinen Symbolen und Zeichen zu bedecken, aber sie wollte einfach nicht zuhören. In dem Moment, als er ihr Herz und ihre Leber verzehrt hatte, war ihr toter Körper schon markiert … ein Mittel zur Kontaktaufnahme mit denjenigen, für die er seine Opfer darbringt. Eines Tages werden sie sich vielleicht dazu herablassen, ihn von der Strafe zu erlösen, die er bereits länger abbüßt, als er sich erinnern kann.

      Bis auf Weiteres muss er jedoch noch in der Welt der Menschen existieren. Seine eigene ist natürlich viel älter, und viel erhabener, doch er hat sie schon so lange nicht mehr gesehen, dass er dies bisweilen vergisst. Hier lebt er schon seit früher Zeit … seit der ersten Zeit.

      Wie so viele, die ihr vorausgingen, warf Carey ihm vor, dass er krank und wahnsinnig sei, und dass er Hilfe bräuchte, doch obwohl sie recht hatte, macht dies die Dinge, die er weiß, nicht weniger wahr oder wirklich. Jetzt begreift sie – zumindest insofern, als es dieses arme Geschöpf je können wird – dass er ihr Elend gewittert hat und sie deshalb ihrer Ketten entledigte. Tatsächlich war der Tod, ohne dass sie es bewusst so empfand, ihre eigene Wahl, nicht seine. Eigentlich war sie zu ihm gekommen. Aber wenigstens kapiert die süße, kleine Carey jetzt, dass verlorenen Seelen wie ihrer mitunter genau das widerfährt, was sie so dringend benötigen, da sie zu sehr spezifischen Zwecken geschaffen wurden.

      Bis man den Mann draußen auf dem Highway und seine Freundin hier in diesem verlassenen Gebäude findet, wird er schon längst wieder verschwunden sein. Wie üblich gibt man danach Einzelheiten zu den Morden heraus und bemüht sich händeringend, ihn zu schnappen, doch die Behörden werden die rituellen Aspekte der Verbrechen bewusst aussparen oder herunterspielen, denn manches enthält man der selbstgefälligen und schwächlichen Öffentlichkeit besser vor. Dies spielt ihm natürlich in die Hände, weshalb er insgeheim denjenigen dankt, die ihn sowieso niemals fassen werden.

      Was sollen sie auch sonst tun oder sagen? Dem Volk unterbreiten, dass es Mächte in ihrer Mitte gibt, die nicht nur ihr Begriffsvermögen übersteigen, sondern auch weder beherrschbar noch aufzuhalten sind, geschweige denn, dass sie diese in irgendeiner Art und Weise abwenden oder sich vor ihnen schützen könnten? Ihnen bleibt deshalb nichts weiter übrig als zu heucheln, und wer es ihnen nicht gleichtun möchte, wird eben bezichtigt.

      Kein intelligenter, gebildeter und geerdeter Mensch sucht schließlich nach etwas, das gar nicht existiert. Man hat sich selbst und anderen vergewissert, dass solcherlei nur der Fantasie der Dummen und Ignoranten entspringt; nur von dämlichen Frömmlern und einfältigen Spirituellen herrührt – von denjenigen, die auch an Zauberei glauben und denken, dieses Leben warte noch mit rätselhaften Geheimnissen auf.

      So kommt es, dass er zum Trugbild wird, jedenfalls bis er schließlich irgendwann vor ihnen steht und sie sich um Gnade winselnd einnässen. Dann sind sie auf einmal gar nicht mehr so selbstgefällig, diese Kinder, die pfeifend an Friedhöfen vorbeiziehen, wo bald ihre eigenen Gebeine ruhen werden.

      Im Angesicht des unverfälschten Bösen gibt es weder Gläubige noch Skeptiker, nur Lämmer mit gesenkten Häuptern und Herzrasen, die vor der Schlachtbank Schlange stehen, während sie versuchen, sich Sachverhalte zu erklären, die sie nie zur Gänze erfassen können. Letzten Endes sind auch sie alle nur Trugbilder, ausnahmslos vorgesehen zur Läuterung und zur Unterhaltung