es war nicht mehr zu halten, es stieg ihm über die Wangen, in die Augen; und als er endlich das Gesicht der alten Frau von derselben Unruhe ergriffen sah, da brach es hervor sein volles herzliches Lachen, dem weder seine Mutter noch einer seiner Freunde widerstehen konnte.
So lachten sie beide eine ganze Weile miteinander, und die Alte schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Schürze die Tränen aus den Augen. »Kind, Kind! Doktor!« rief sie, »was lachst du denn so gefährlich?«
Ihr Sohn war aufgesprungen, er nahm den Kopf der Mutter zwischen beide Hände und drückte ihn gegen seine Brust. »Mutter«, sagte er, indem er ihr auf die Wangen klatschte, »du bist eine kluge Frau! So welche gibt es heutzutage doch nicht mehr!«
»Ei was!« rief sie und suchte ihn mit beiden Armen von sich abzuwehren, »ich laß mich nicht dumm machen! Ihr habt ja doch zusammen getanzt; warum redst du nicht? Wie dann, wenn dein Vater selig auch den Mund nicht aufgetan hätte? Was treibt ihr denn, wenn ihr beisammen seid?«
Der Doktor schmunzelte. – »Geh!« rief sie, »es ist mit dir kein Fertigwerden; das kommt davon, wenn simple Leute studierte Kinder haben wollen!« –
Er ließ noch einen Augenblick die zärtlichen Augen seiner Mutter in den seinen ruhen; dann trat er an sein Bücherbrett und stöberte zwischen den bestaubten Bänden. Er suchte nach einer alten Ausgabe von Bürgers Gedichten, des einzigen deutschen Dichters, der jemals in seinem Besitz gewesen war. Da er indes den Bürger nicht zu finden vermochte, so begnügte er sich mit einer kleinen Elzevirausgabe des Horaz, die ihm aus seinen Primanerjahren zurückgeblieben war. Nachdem er den Deckel an seinem Schlafrock abgestäubt hatte, setzte er sich wieder an seinen Platz. Er begann in dem Büchlein zu blättern, bis er endlich eine der Oden aufschlug und sich ganz darin vertiefte. »Lalagen amabo!« Er murmelte die Worte halblaut vor sich hin. »Ich liebe Lalagen! Wie lächelt sie und, o, wie plaudert sie so süß!« – Und während des Lesens langte seine Hand unwillkürlich nach dem vor ihm stehenden Glase, und er las und trank, und trank und las, bis die Ode zu Ende und das Glas geleert war.
Das Blechkästchen, worin der Doktor die Ersparnisse seiner Praxis aufgespeichert hatte, stand in dem untersten wohlverschlossenen Schubfache seines Schreibtisches. Am andern Vormittage, als er von seinen Berufsgängen heimgekehrt war und während die Mutter draußen in der Küche hantierte, wurde es behutsam hervorgenommen. Er löste die Bindfäden, mit denen die Wertpapiere zusammengebunden waren, schüttelte aus einem leinenen Beutel ein Häufchen Dukaten und andere Goldmünzen auf den Tisch und notierte die einzelnen Beträge auf ein Papierblättchen. Dann, nachdem er noch eine Weile gerechnet und hierauf alles wieder an seinen Ort verschlossen hatte, ging er durch den schmalen hinter dem Hause befindlichen Garten und von dort durch die noch unbelaubte Lindenallee nach dem alten Schlosse, welches derzeit dem Herrn Kammerherrn und Amtmann zur Wohnung und zum Geschäftslokale eingeräumt war.
Der Doktor wollte den Justizrat besuchen, einen jungen Juristen, der es bislang freilich nur noch zum Amtssekretär gebracht hatte, der aber in seiner goldenen Brille und in seinem wohltoupierten Haar die später erlangte Würde so deutlich vorgezeichnet trug, daß seine Freunde ihn schon jetzt damit belehnt hatten. – Als der Doktor in das hohe düstere Wohnzimmer trat, fand er den Justizrat, in seinen türkischen Schlafrock gewickelt, mit einem Aktenstück beschäftigt, in der Sofaecke sitzen. Von oben durch die Zimmerdecke, über welcher sich die Gesellschaftsräume des Kammerherrn befanden, drangen kaum vernehmbar die Töne eines Klaviers. Der Doktor stand still und horchte; er liebte Musik, er blies sogar selbst ein wenig auf der Flöte.
Der Amtssekretär, ohne aufzustehen, nahm seine goldene Brille herunter und polierte die Gläser mit einem gelben Glacehandschuh, der neben ihm auf dem Sofa lag. »Das hättest du Sonntag bequemer haben können!« sagte er lächelnd, »die alte Exzellenz, unsere grand’mere, träufte nur so von Gnade und Leutseligkeit. Wo stecktest du denn! Du warst doch auch befohlen!«
»Ich, Justizrat?« und der Doktor rieb sich mit seiner runden Hand das unrasierte Kinn, »du weißt, die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht gern geniert.«
»So?« sagte der andere trocken und ließ einen scharfen Blick auf seinen Freund hinübergleiten. »Aber im Schifferhause war Pickenick; unser Schreiber erzählte mir davon. Er war ja auch wohl dort?«
Der Doktor schlug seine kleinen ehrlichen Augen gegen ihn auf. »Laß das Pulsfühlen, Eduard!« sagte er und reichte ihm die Hand über den Tisch hinüber.
Der Justizrat drückte sie flüchtig, indem er zugleich die Brille wieder aufsetzte und die goldenen Stäbchen an seinen Schläfen zurechtrückte. »Nun, Doktor! Aber meine Schwester und die kleine Bürgermeistertochter hatten auf deine Flöte gerechnet. – Du verstehst dich nicht auf derlei Dinge; aber« – und er richtete sich ein wenig in seiner Sofaecke auf – »du hättest sie sehen sollen, wie sie beim Singen ihr feines Näschen emporhob, und wie im Affekt die schlanken Finger so eigensinnig in der Luft spielten!« Und der Justizrat drückte hinter seinen Brillengläsern die Augen zusammen, und blickte vor sich hin, als sähe er dort alles leibhaftig vor sich stehen.
Der Doktor legte die Hand, in der er seinen Rohrstock hielt, auf den Rücken und begann plötzlich im Zimmer auf und ab zu wandeln. »Justizrat«, sagte er endlich, »du hast Geschmack, du bist mit solchen Sachen aufgewachsen.«
Der Amtssekretär zog die Schöße seines Schlafrocks noch dichter um seine etwas hagere Gestalt. »Nur weiter, Doktor!« sagte er.
Der Doktor war wieder einigemal auf und ab gegangen. »Es ist nämlich, Justizrat; du kennst doch das alte Zimmer oben in meinem Hause?«
»Freilich, Doktor; wir haben ja neulich deinen Geburtstagskommers darin gefeiert!«
Der Doktor räusperte sich ein paarmal und blieb dann vor seinem Freunde stehen: »Du mußt mir helfen das Geräte zu bestellen!« sagte er mit einem kleinen resoluten Schwingen seines Rohrstocks. »Die Mittel sind nun beisammen, daß ich es endlich kann instand setzen lassen.«
»Ernstlich, Christoph?« fragte der Justizrat, während er dem andern mit unverkennbarer Verwunderung ins Gesicht blickte.
Der Doktor nickte. »Ernstlich, Eduard!« Dann setzte er sich lächelnd in einen vor dem Tische stehenden Lehnstuhl und wartete geduldig, bis der Justizrat sich erhoben und mit gewohnter Sorgfalt seinen Anzug vollendet hatte.
Nach einiger Zeit traten beide in die Werkstatt eines ihnen bekannten Tischlermeisters. – Ein Sofagestelle, für lose Polster und Lehnkissen bestimmt, war eben in Arbeit und wurde sofort erhandelt. Der Meister legte ihnen mehrere Einsatzstücke von Buchsbaum vor, aus denen der Justizrat zwei schwebende Gestalten, diese mit einer Blumen-, jene mit einer Obstgirlande, für die vorderen Flächen der Seitenlehnen auswählte; überdies ein Täfelchen mit einer Hirschjagd für die Mitte der Rücklehne. Die Furnierung des Ganzen sollte von Mahagoni sein. – Aus der Werkstatt gingen sie in das dahinterliegende Magazin, wo sie die meisten zur Ausstattung eines Zimmers erforderlichen Stücke bereits fertig und in entsprechender Arbeit vorfanden. Ein Postament mit eingelegten Stäbchen für eine Tafeluhr wurde noch bestellt; außerdem zwei Lehnsessel, von denen je einer in den tiefen Fensternischen des Zimmers seinen Platz finden sollte.
Während in einiger Entfernung von ihm der Justizrat mit dem Meister über einen großen Wandspiegel unterhandelte, war der Doktor vor einem zierlichen Nähtischchen stehengeblieben. Er hatte die Platte aufgeklappt, er bückte sich und tastete an den Rollen und Sternchen umher, die in den schmalen Seitenfächern angebracht waren, und betrachtete dann wieder mit augenscheinlichem Wohlbehagen das unter dem Tischkasten hängende grünseidene Arbeitssäckchen. Als er jedoch plötzlich das lächelnde Gesicht des Justizrats vor sich sah, und daneben den Meister, der ihm den Preis des Stückes nannte und die Vorzüge der Arbeit auseinanderzusetzen begann, klappte er hastig die Platte wieder zu und erkundigte sich angelegentlich nach dem Preise eines in der Nähe stehenden Pfeifenhalters. Der Justizrat klopfte ihm auf die Schulter. »Ich seh es schon«, sagte er, »die Pfeife tut’s nicht mehr allein.«
In der Tapetenhandlung, welche sie hierauf besuchten, bestand der Doktor auf einer Landschaftstapete, zu der Bernardins einst so beliebte Erzählung die Staffage geliefert hatte. Das Buch selbst kannte er nicht; aber