Theodor Storm

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band)


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in welchen die Hauptszenen dieser rührenden Geschichte dargestellt waren. Die Gestalten des etwas schmächtigen jungen Liebespaares, des alten Negers, wie er in Begleitung des großen Hundes den im Walde Verirrten mit vorgestreckten Armen entgegeneilt, waren ihm seitdem von der Vorstellung eines behaglich eingerichteten Wohngemachs unzertrennlich geblieben. Er äußerte freilich hiervon nichts; aber er ließ sich auch durch keine Einwendungen seines Freundes von der einmal getroffenen Wahl zurückbringen.

      Auf ihrem Heimwege lag die Wohnung eines bei den jungen Herren der Stadt beliebten Schneidermeisters. Der Justizrat blieb stehen. »Was meinst du, Doktor«, sagte er, indem er mit seinem Fischbeinstöckchen über dessen abgetragene und übelgehaltene Kleidung hinstrich, »wir sind einmal beim Tapezieren!«

      Der Doktor, wie er in bedenklichen Fällen zu tun pflegte, faßte mit der Hand in seine Lastinghalsbinde und stieß ein kurzes Husten aus. Bald aber begann er nicht ohne eine kleine Begehrlichkeit eine kaffeebraune Sammetweste zu betrachten, die nebst andern fertigen Arbeiten vor dem Fenster hing, und erkundigte sich bei seinem Freunde nach dem Preise und der Dauerhaftigkeit eines solchen Kleidungsstückes.

      Der Justizrat, nachdem er die verlangte Auskunft erteilt hatte, glaubte eine solche anscheinend günstige Stimmung benutzen zu müssen. »Und wenn du«, setzte er wie beiläufig hinzu, »meinem Friseur noch eine Kleinigkeit zuwenden möchtest – der Laden ist hier nebenan.«

      Aber er war schon zu weit gegangen; der Doktor hatte sich schon besonnen, er sah plötzlich den ganzen überlegten Plan des andern vor sich. »Wir wollen’s nur dabei bewenden lassen, Justizrat!« sagte er und sah seinen Freund mit einem Ausdruck der überlegensten Heiterkeit aus seinen kleinen Augen an.

       Nun wurden für eine Zeitlang Tischler und Maler in dem obern Stockwerk des schmalen Hauses geschäftig, und der Doktor stieg oft die dunkle Treppe hinauf und betrachtete den Fortgang der Arbeiten. – Wieder einige Wochen später, nachdem an Fenstern und Paneelen der rötlich graue Anstrich getrocknet, nachdem die Tapeten aufgezogen und endlich noch der Fußboden mit einem einfachen Teppich belegt war, langten nacheinander auch die von dem Tischler gefertigten Geräte an. Die Mutter des Doktors stand, während sie ins Haus getragen wurden, neben ihrem Sohn im Zuge der offenen Haustür, strich sich dann und wann die grauen Härchen unter ihre Haube und betrachtete kopfschüttelnd die zierlichen Dinge. Schon ein paarmal, wenn wieder ein neues Stück angelangt war, hatte sie den Mund zum Reden geöffnet; aber ebensooft die schon halbbegonnenen Worte wieder hinabgeschluckt. Endlich, als auch der große, aus einem Stück bestehende Wandspiegel gebracht wurde, schien sie es länger nicht verschweigen zu können. »Kind, Doktor«, sagte sie, »was machst du dir für Unkosten; so was gehört ja alles doch zur Aussteuer!« Aber der Sohn wollte ihr heute nicht standhalten; er stieg schon, als hätte er nichts gehört, hinter den Trägern die Treppe hinauf und stellte sich zu ihnen, um das Aufhängen des Spiegels zu beaufsichtigen. – In den folgenden Tagen, nachdem alle Dinge an ihren Ort gestellt waren, saß in der neben dem Hinterzimmer befindlichen Schlafkammer der Mutter eine Näherin, um die neuen Vorhänge anzufertigen; und die alte Frau, da es denn doch einmal sein sollte, ließ es sich nicht nehmen, sie selbst an die dazu bestimmten Brettchen anzustecken.

      So war nun in dem Zimmer oben alles fertig und die Mittagssonne, die jetzt schon warm durch die Fenster schien, beleuchtete an den Wänden eine fremde aber liebliche Welt. Die Kokospalmen ragten so still in den blauen Himmel, die Papageien und Kakadus schwebten lautlos in der Luft, und in der Lianenlaube mit den scharlachroten Blüten, zu den Füßen Pauls und Virginiens, lag schlafend der große Hund. Das Sofa mit seinem Überzug von feingeblümten Zitz stimmte wohl zu den lebhaften Farben der Tapete, und die eingelegten Figuren der Flora und Pomona in den flachen Säulen der Seitenlehne, das Jagdstückchen über dem Rücksitze hoben sich zart von dem lichtbraunen Mahagoni ab. Darüber an der Wand von dem zierlichen Postamente herab pickte die neue Tafeluhr, auf der von mattem Porzellan die spinnende Gestalt einer Parze saß; »eine rechte Doktoruhr«, wie der Justizrat sagte, der auch dieses Stück im Auftrag seines Freundes besorgt hatte. Draußen aber, an den Lindenzweigen, deren Spitzen bis an die Fenster reichten, waren schon die grünen Blätter aufgebrochen.

      Fast täglich in der Mittagsstunde, wenn er von seinen Berufsgängen nach Hause gekehrt war und bis ihn seine alte Mutter zum Essen hinunterrief, pflegte der Doktor sich hier aufzuhalten. Ein sanftes Feiertagsgefühl überkam ihn, wenn beim Eintritt in das Zimmer seine Schritte auf dem weichen Teppich plötzlich unhörbar wurden. Er setzte sich dann wohl in einer der Fensternischen in den Lehnsessel und sah über den Markt hinüber nach dem großen Giebelhause und folgte mit den Augen den Käufern, die dort aus und ein gingen, oder den Kindern, die vor dem Ladenfenster spielten.

      Mitunter wurde auch eine Mädchengestalt in einem hellen Sommerkleide auf wenige Augenblicke sichtbar; und wenn sie wieder verschwunden war, wandte der Doktor seine Augen in das Zimmer zurück nach der Laube Pauls und Virginiens und horchte auf das Schreien des Heimchens, das von unten aus der Küche zu ihm heraufdrang. – Oder er war aufgestanden und blickte auf das frische Grün seiner Linde oder in den blauen Frühlingshimmel nach den Schwalben, die droben im Sonnenschein um den goldenen Knopf des Turmes flogen.

      Der alte Friedeberg war währenddessen wieder gesund geworden, und die Besuche in dem großen Giebelhause hatten aufgehört. Aber diese glückliche Kur schien dem Arzte keine Freude gebracht zu haben; denn er ging still umher, und die Mutter klagte, ihr Doktor habe das Lachen ganz verlernt.

      Die junge Dame von drüben hatte er in der letzten Zeit nur einmal wieder gesprochen. Es war eines Nachmittags im elterlichen Garten des Justizrats, die weißen Rosen waren eben aufgeblüht. Die Freunde saßen, ihre Zigarren rauchend, in der Lindenlaube, während unten auf dem Rasen die Tochter des Hauses eine Gesellschaft junger Mädchen um sich versammelt hatte. Durch die Büsche des Bosketts hörten sie das Lachen der Mädchen und den lauten Ruf der jugendlichen Stimmen.

      Da, während der Doktor schweigend die blauen Tabakswolken vor sich hinblies, stand sie plötzlich vor ihnen.

      »Wir sind beim Pfänderspiel«, rief sie und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Sie sollen Zweitritt mit mir tanzen!«

      Er blickte auf. Ihr Antlitz war gerötet vom Spiel und von der Sommerluft, ihre Augen glänzten; der weiße Florschal hatte sich verschoben und hing über die Schulter hinab. – Der Doktor schwieg noch eine Weile. »Sie dürfen es mir nicht übel deuten, Mamsell Sophie«, sagte er dann, ohne die dargebotene kleine Hand zu nehmen, »ich tanzte lieber nicht.«

      »Also ein Korb, Herr Doktor?«

      Der Justizrat legte beide Hände auf die Schultern seines Freundes. »Doktor«, sagte er, indem er langsam den Kopf schüttelte, »ich glaube fast, die Luft in deinem Prunksaal hat dich krank gemacht!«

      Der Doktor fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, und er neigte den Kopf, um es zu verbergen.

      »Krank?« erwiderte er, nicht ohne daß ein Ausdruck von Gereiztheit in seiner Stimme bemerkbar gewesen wäre; »du weißt es wohl, Justizrat, die Gesundheit habe ich vor euch feinen Leuten voraus.«

      Die andern antworteten nicht darauf. Als er wieder aufblickte, waren die Augen des Mädchens mit einem Ausdruck von Güte auf ihn gerichtet. »Ich habe noch vergessen«, sagte sie, »der alte Friedeberg läßt Sie grüßen; er dankt Ihnen noch so sehr!«

      Dann ging sie, aber im Fortgehen wandte sie noch einmal den Kopf zurück. »Ich habe warten gelernt«, rief sie, »wir tanzen doch noch miteinander!« – –

      Die beiden Freunde blieben noch lange im geheimen Zwiegespräch in der Laube sitzen. Einige Tage später aber ging auch der Justizrat in auffallender Nachdenklichkeit umher; sein indisches Schnupftuch hing ihm ungewöhnlich lang aus der Tasche, und mehr als sonst schob er die goldene Brille auf die Stirn und rieb sich kopfschüttelnd mit der Hand die Augen.

       Die Zeit verging; die Linde unter dem Fenster der neuen Stube stand schon in dunklen Blättern. Dann war es eines Sonntags, früh noch am Vormittag; durch das offene Fenster kam der Klang des Orgelspiels aus der nahen Kirche. Auf einem Stuhle in der Mitte des Zimmers saß der Doktor und hörte auf einen Bericht seines Freundes, des Justizrats, der mit untergeschlagenen Armen vor ihm stand. Es mußte