Nordenskiöld lehnte ab. Er hatte bereits ein neues Betätigungsfeld für seinen unermüdlichen Forscherdrang gefunden: die Bezwingung der Nord-Ost-Passage.
Bei diesem ehrgeizigen Vorhaben standen weniger wissenschaftliche Erwägungen im Vordergrund als ökonomische. Kaufleute, sowohl in Schweden als auch in Russland, zeigten an einer Intensivierung der Handelsbeziehungen zunehmendes Interesse. Durch die immer weiter sich ausdehnenden Fangfahrten geriet die sibirische Küste in den Blickpunkt Europas und damit auch die Frage nach den günstigsten Verkehrsverbindungen zu den russischen Eismeerhäfen. 1875 und 1876 unternahm Nordenskiöld zwei Kundfahrten in das lange Zeit als »Eiskeller« gefürchtete Karische Meer östlich von Nowaja Semlja, um die Zufahrt zum Jenissej zu erkunden, wobei er mit einem kleinen Boot ohne Karte den Fluss weit stromauf fuhr. Die zweite Reise war mehr eine Trotzreaktion. Da man dem Forscher vorgehalten hatte, er hätte die Mündung des Jenissej nur dank der ungewöhnlich günstigen Wetterverhältnisse erreicht, ruhte er nicht eher, bis er auf einer zweiten Fahrt alle Zweifler auf eindrucksvolle Weise zum Schweigen gebracht hatte. Vor allem in Wirtschaftskreisen wurde diesen Fahrten größte Beachtung geschenkt, aber sie begründeten auch die Popularität des Nordmeerforschers bei der einfachen Bevölkerung, für die eine Öffnung wirtschaftlich ertragreicher Jagdgründe und Handelsplätze als Reisegrund einsichtiger war als das Sammeln versteinerter Krebstiere oder die Vermessung vereister Küstenstriche. Nordenskiöld kam dies sicherlich nicht ungelegen, vereinfachte es doch die Finanzierung seiner Lebensaufgabe.
Am 26. Januar 1877 wurde der Plan der Umseglung Asiens und Europas anlässlich eines Essens bei König Oskar II. beschlossen. Am 22. Juni 1878 lichtete das Dampfsegelschiff Vega im schwedischen Kriegshafen Karlskrona die Anker, am 21. Juli verließ die Expedition endgültig den Hafen von Tromsö zu der denkwürdigen Reise, von der hier berichtet werden soll. Dass die Fahrt bis auf die Überwinterung genau nach den vorher erarbeiteten Plänen ablief, lässt erkennen, welch große Erfahrungen Nordenskiöld im Laufe seiner zahlreichen Forschungsfahrten gesammelt hatte. Schon damals galt er als der beste Kenner der arktischen Verhältnisse.
Dennoch war er kein Draufgänger. »Keiner fürchtete das Eis so wie Nordenskiöld«, wusste einer seiner Kapitäne zu berichten, und auch gegen Seekrankheit und Heimweh war der Forscher nicht gefeit. Die Heimreise gestaltete sich von Japan an als eine Abfolge von Empfängen, Saluten und Banketten, mit der die erfolgreichen Seefahrer um die halbe Welt herum gefeiert wurden, ehe die Vega am 24. April 1880 vor dem königlichen Schloss in Stockholm festmachte. Die nationale Bedeutung der Reise lässt sich schon daran ermessen, dass seither dieser Tag als »Vegadagen« im schwedischen Kalender verzeichnet ist. Und auch die Werbung ergriff schon damals die sich ihr bietenden Möglichkeiten. Bald wurden Nordenskiöld Zigarren, Nordenskiöld-Schokolade und Nordenskiöld-Punsch zu beliebten Verkaufsschlagern.
Der Forscher selber aber zog sich in seine Studierstube zurück, um die wissenschaftlichen Ergebnisse der Reise aufzuarbeiten und einen Reisebericht zu verfassen. Die schwedische, über tausend Seiten starke Ausgabe lag bereits im Oktober 1881 vor, die deutsche zweibändige Übersetzung ein Jahr später. Überdies hatte der Forscher zahlreiche gesellschaftliche Verpflichtungen wahrzunehmen, war Abgeordneter des Reichstags und nicht zuletzt Leiter der Mineralogischen Abteilung des Nationalmuseums und Vorsitzender der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Aber der Norden ließ ihn noch immer nicht los. Er richtete sein Augenmerk diesmal auf das noch immer unbekannte Innere Grönlands, da er nach wie vor der Ansicht war, dass Erik der Rote seinerzeit dem Land nicht von ungefähr den Namen »Grünland« verliehen hatte. Am 23. Mai 1883 brach er mit der vertrauten Sofia von Göteborg zur Sommerreise auf und startete von Aulaitsivik, wo er bereits schon einmal seine Eiswanderung im Jahr 1870 begonnen hatte, zur Erforschung des grönländischen Inlandeises. Immerhin drang der kleine Trupp mit seinen schweren, von Menschenhand gezogenen Schlitten diesmal einhundertfünfzig Kilometer weit ins Landesinnere vor, zwei vorausgeschickte Lappen erreichten sogar eine Entfernung von zweihundertdreißig Kilometern und damit etwa die Hälfte der Gesamtstrecke zwischen den beiden Küsten. Grünes Land hatte man nirgends entdeckt. Darüber hinaus brachte die Reise neue wissenschaftliche Erkenntnisse, ebnete vor allem aber den Weg für eine spätere berühmte Expedition, Fridtjof Nansens Erstüberquerung Grönlands auf Skiern im Jahr 1888. Da einige die Leistung der beiden Lappen bei der Grönlandfahrt anzweifelten, organisierte Nordenskiöld nach der Rückkehr einen der ersten Ski-Wettläufe in Lappland über eine Strecke von zweihundertzwanzig Kilometern, der durch den Sieg des Expeditionsteilnehmers Lars Tuorda jeder Kritik den Boden entzog und den nordischen Skilauf als sportliche Disziplin populär machte.
Die Fahrt nach Grönland war die letzte Expedition des unermüdlichen Arktisfahrers. Er kaufte sich ein Landgut in Schweden und widmete sich der schriftstellerischen und wissenschaftlichen Arbeit, oder er zeigte seinen Kindern und deren Freunden, wie man ein Lager baut und Feuer macht. Besonderes Interesse hatte der kleine Sven, der Freund seines Sohns Gustav. Jahrzehnte später ging dieser Sven Hedin als einer der letzten großen Forschungsreisenden in die Geschichte ein und wurde überdies der bedeutendste Biograph Nordenskiölds. Aber auch traurige Zeiten sah das Gut Dalbyö. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren starb seine Tochter Maria im Jahr 1886 an Tuberkulose, neun Jahre später sein Sohn Gustav, der sich bereits erste Meriten als Forschungsreisender in Spitzbergen und Nordamerika verdient hatte. Sein jüngster Sohn Erland (1877–1932) und sein Neffe Otto setzten die Familientradition jedoch fort. Während Otto sich der Antarktis zuwandte und schließlich zum Leiter der schwedischen Antarktis-Expedition berufen wurde, erwarb sich Erland als Südamerikaforscher und hervorragender Kenner der dortigen Indianer einen bedeutenden Ruf.
Die Vega
Nordenskiölds Schriften zogen weite Kreise und inspirierten manchen berühmten Forschungsreisenden. Neben Nansen empfing Peary, der 1909 als Erster den Nordpol erreichte, wichtige Impulse, aber auch Andrée, dessen Ballonexpedition 1897 tragisch endete, beriet sich mit dem erfahrenen Polarforscher.
Nordenskiöld fand jetzt auch Zeit, sich verstärkt seiner Liebhaberei zuzuwenden, der Kartographie und der Geschichte des Reisens. Zeit seines Lebens hatte er alte Bücher und Karten gesammelt. So hatte er während des Aufenthalts in Japan Besatzungsmitglieder losgeschickt, nach alten Werken für seine Sammlung zu stöbern. Aus den Antiquariaten in ganz Europa trafen nun die Angebote ein, sodass Nordenskiöld gegen Ende seines Lebens eine der umfangreichsten Bibliotheken alter Reisebeschreibungen und historischer Karten seiner Zeit hinterließ, die heute als geschlossene Sammlung in der Universitätsbibliothek Helsinki aufbewahrt wird. In zahlreichen Veröffentlichungen über die historischen Aspekte der Entdeckungen insbesondere der Arktis und der Küste Nordamerikas machte sich Nordenskiöld auch auf diesem Gebiet einen Narnen und ließ sogar einen Faksimile-Atlas seiner Kartensammlung drucken, ergänzt durch eine grundlegende und zukunftweisende Geschichte der Kartographie. Aber auch die Mineralogie kam nicht zu kurz. Zwischen 1877 und 1888 studierte und benannte er vier neue Mineralien. Im Winter 1900 litt der Forscher, der nie krank gewesen war, an einer Grippe, die er auf seinem Gut auskurieren wollte. Am 12. August 1901 starb er dort friedlich im Schlaf an Herzversagen. Nachdem die Welt in einer großen Totenfeier in Stockholm von ihm Abschied genommen hatte, wurden die sterblichen Überreste des großen Polarforschers auf dem kleinen Friedhof Västerljung bei seinem Gut Dalbyö in Schweden beigesetzt.
DIE VEGA – SCHICKSAL EINES SCHIFFES
Nordenskiöld zeigte sich moderner Technik gegenüber immer aufgeschlossen; er hatte sich einmal sogar als Erfinder eines feuersicheren Safes betätigt, der allerdings kein Erfolg wurde. Schon 1864 hatte er sich intensiv mit der noch in den Kinderschuhen steckenden Fotografie befasst und auch versucht, sie in den Dienst seiner Reisen zu stellen, ohne zunächst jedoch zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen.
Bis 1868 benutzte er für seine Fahrten reine Segelschiffe verschiedener Größe. Spätestens seit der Fahrt mit der dampfgetriebenen Sofia im Jahr 1868 war er jedoch von der Maschinenkraft als allein möglichem Antrieb für größere Forschungsvorhaben im Eis überzeugt. So war auch die Vega ein dampfgetriebenes Segelfahrzeug, eins jener für das ausgehende 19. Jahrhundert typischen Schiffe, die sich der modernen Technik bedienten, ohne