Adolf Erik Nordenskiold

Die erste Umsegelung Asiens und Europas


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der Sonne stärker erwärmt waren, starke Luftspiegelungen zeigten, sodass sie in der Entfernung wie gewaltige, gegen das Meer steil abfallende Gletscher aussahen. Als wir weiter nach Süden kamen, hatten wir bei klarem Wetter eine gute Aussicht über die Waigatsch-Insel. Dieselbe schien, vom Meer aus an der Westküste gesehen, eine ebene Grasfläche zu bilden, als wir uns aber Jugor-Schar näherten, sahen wir, dass sich niedrige Höhenstrecken längs der östlichen Seite der Insel hinzogen, welche wahrscheinlich die letzten Auszweigungen des nördlichen Vorsprungs vom Ural bilden.

      Als wir außerhalb des Einlaufens zum Jugor-Schar waren, wurde ein Dampfboot gemeldet. Nach vielem Hin- und Herraten erkannten wir die Fraser. Ich war anfangs unruhig und fürchtete, dass ein Unglück eingetreten wäre, da sie einen Kurs dampfte, welcher ihrer Bestimmung direkt entgegen war; als aber Kapitän Nilson bald darauf an Bord kam, hörte ich, dass er nur ausgefahren war, uns zu suchen. Express und Fraser hatten seit dem 20. an dem bestimmten Sammelplatz auf uns gewartet. Sie hatten am 13. Juli Wardö verlassen und ebenso wenig wie wir irgendwelches Eis während der Überfahrt angetroffen. Die Vega und die Fraser fuhren nun gemeinsam nach dem Hafen bei Chabarowa, wo am 30. Juli abends in einer Tiefe von vierzehn Metern Anker geworfen wurde. Die Lena fehlte noch. Wir fürchteten, dass dieses kleine Dampfboot Schwierigkeiten gehabt hätte, sich in der schweren See zu halten, welche wir jenseits des Nordkaps angetroffen hatten, da selbst bei der größeren Vega eine Sturzwelle über Deck geschlagen war und eine der daselbst festgeschnürten Kisten zerbrochen hatte. Unsere Besorgnis war jedoch unbegründet; die Lena hatte ihren Konstrukteuren Ehre gemacht und sich in dem Seegang gut gehalten. Die Ursache der Verzögerung war eine Kompassabweichung, welche in diesen nördlichen Breitengraden größer gewesen war als die, welche aus den Untersuchungen gewonnen war, die man vor der Abreise zu diesem Zweck angestellt hatte. Am 31. Juli warf die Lena neben den anderen Fahrzeugen Anker, und so war denn unsere ganze kleine Eismeerflotte an dem bestimmten Sammelplatz vereinigt.

       Die Kirche in Chabarowa

      Chabarowa ist ein kleines Dorf, welches auf dem Festland südlich von Jugor-Schar und westlich von der Mündung eines kleineren, zu gewissen Zeiten sehr fischreichen Flusses gelegen ist. Im Sommer wird der Ort von einer Menge Samojeden [Lappen], welche ihre Rentierherden auf der Waigatsch-Insel und auf den umliegenden Tundren weiden lassen, sowie von einigen Russen oder russifizierten Finnen bewohnt, welche von Pustosersk hierher kommen, um Tauschhandel mit den Samojeden zu treiben und mithilfe derselben zu jagen und in dem umliegenden Meer zu fischen. Im Winter treiben die Samojeden ihre Herden nach südlichen Gegenden, und die Handelsleute führen ihre Waren nach Pustosersk, Mesen, Archangelsk und anderen Orten. So ist es wahrscheinlich seit Jahrhunderten zugegangen, doch sind die festen Wohnstätten erst in neuerer Zeit aufgeführt worden. Dieselben werden nämlich in der Beschreibung über die Reisen der Holländer in diesen Gegenden nicht erwähnt.

      Jetzt besteht das Dorf, oder die »Samojedenstadt«, wie es die Fangmänner stattlich benennen, gleich anderen großen Städten aus zwei Stadtteilen, dem Stadtteil der Vornehmen – einigen aus Holz erbauten und mit flachem Torfdach versehenen Hütten – und dem Volksquartier, einem Haufen schmutziger Samojedenzelte. Außerdem gibt es auch noch eine kleine Kirche im Ort, bei welcher, gleich wie an mehreren Stellen des Strands, Votivkreuze aufgestellt sind. Die Kirche ist ein Holzhaus, welches durch eine Zwischenwand in zwei Abteilungen geteilt ist, von denen die innere, die eigentliche Kirche, nur wenig über zweieinhalb Meter hoch und ungefähr fünf Meter im Quadrat ist. An der östlichen Wand befinden sich während der Zeit, wo die Gegend bewohnt ist, eine Menge von Heiligenbildern, die von den Fangmännern bei Gelegenheit aufgestellt werden. Vor den Bildern hingen große verbogene alte Kupferlampen oder vielmehr Lichthalter, welche umgewendeten, an drei Ketten aufgehängten byzantinischen Kuppeln glichen. Dieselben waren mit vielen dünnen und auch einigen dicken Talglichten vollgesteckt, welche bei unserem Besuch angezündet wurden. Gleich oberhalb der Stelle, wo wir landeten, standen zahlreiche Schlitten, mit Waren beladen, welche die russischen Handelsleute hier eingetauscht hatten und die im nächsten Herbst nach Pustosersk abgehen sollten. Die Waren bestanden hauptsächlich aus Tran sowie aus Fellen von Eisfüchsen, gewöhnlichen Füchsen, weißen Bären, Wölfen, Vielfraßen, Rentieren und Seehunden. Die Bärenfelle hatten oft einen sehr dichten, weißen Winterpelz, waren aber dadurch verdorben, dass der Kopf und die Tatzen abgeschnitten worden waren. Außerdem sah ich unter ihren Vorräten Walrosszähne und Stricke aus Walrosshäuten. Bemerkenswert ist, dass die gleichen Waren schon in Otheres Bericht erwähnt werden.

      Ich besuchte den Ort zum ersten Mal Anfang August 1875. Man feierte eben einen russischen Feiertag, und wir konnten schon von fern zahlreiche Gruppen von Russen und Samojeden am Strand stehen sehen. Als wir näher kamen, fanden wir sie mit verschiedenen Arten von Spielen beschäftigt, und obgleich es für sie wohl seit Menschengedenken das erste Mal war, dass europäische Herren ihre Stadt besuchten, ließen sie sich kaum mehr in ihrem Vorhaben stören, als wenn einige fremde Samojeden sich plötzlich in ihre Reihen gemischt hätten. Einige standen in einem Kreis und warfen abwechselnd ein Stück Eisen auf die Erde, das ungefähr wie eine kurze Rahe geformt war, wobei die Kunst darin bestand, dass das scharfe Ende so in einen auf den Boden gelegten Ring fiel, dass es in der Erde stecken blieb. Andere waren mit einem unserem Kegelspiel ähnlichen Spiel beschäftigt, und wieder andere mit Ringen und anderem. Russen und Samojeden spielten ohne Unterschied miteinander: die Samojeden, klein, hässlich, mit verwirrtem, ungeordnetem Haar, in schmutzige Sommertrachten aus Fellen gekleidet, die bei manchen mit einem grell gefärbten Baumwollzeug überzogen waren; die Russen, groß, wohlgewachsen, mit langem, von Öl glänzendem Haar, zierlich gescheitelt, gekämmt und gekräuselt sowie durch ein Stirnband oder eine Kopfbedeckung zusammengehalten, und in lange, mit einem Gürtel um den Leib befestigte, bunte Blusen gekleidet. Ungeachtet der anfangs gezeigten gekünstelten Gleichgültigkeit, welche ersichtlich zum guten Ton zu gehören schien, wurden wir freundlich empfangen. Zunächst wurden wir eingeladen, in Gesellschaft mit den anderen unser Glück und unsere Geschicklichkeit im Spiel zu versuchen, wobei es sich bald zur nicht geringen Freude unserer Wirte zeigte, dass wir uns auf diesem Feld durchaus in keinen Wettstreit, weder mit den Russen noch mit den Samojeden, einlassen konnten. Hierauf lud uns einer der Russen in seine Behausung ein, wo wir mit Tee, russischen Weizenbrezeln von ungesäuertem Teig und Branntwein bewirtet wurden. Einige kleine Präsente wurden uns überreicht, mit einer artigen Andeutung der Sachen, welche anstelle derselben willkommen sein würden, eine Andeutung, welcher ich, soweit meine Mittel es gestatteten, mit Vergnügen nachkam.

      Anfangs herrschte vollständige Eintracht zwischen unseren russischen und samojedischen Wirten; am nächsten Tag aber war ein ernster Streit im Anzug, weil die Ersteren einen von uns einluden, mit einem in der Nähe einer russischen Hütte stehenden Rentiergespann zu fahren. Die Samojeden wurden hierdurch sehr beleidigt, gaben aber, soweit sich dies mit Zeichen tun ließ, zu erkennen, dass sie selbst auch gern fahren würden, wenn wir es wünschten; und dass es ihnen mit ihrer Erklärung ernst war, zeigten sie dadurch, dass sie dann und wann den Streit abbrachen und mit ihren Rentiergespannen eine sausende Fahrt zwischen den Zelten unternahmen. Die Schlitten der Samojeden sind sowohl für die Winterfahrt auf dem Schnee wie für die Sommerfahrt auf dem Moosbett der Tundra und den wassergetränkten Mooren berechnet.

      Bei den Zelten wimmelte es von kleinen schwarzen und weißen langhaarigen Hunden mit spitzer Schnauze und spitzen Ohren. Sie werden ausschließlich zum Hüten der Rentierherden gebraucht. An einigen Stellen der Küste benutzt man sie auch als Zugtiere.

      Da ich wusste, dass die Samojeden auf ihren Wanderungen immer Götzenbilder mit sich schleppen, so fragte ich, ob sie mir nicht einige derselben verkaufen könnten. Anfangs antworteten sie ausweichend. Es lag zutage, dass teils ihr Aberglaube sie abhielt, auf mein Verlangen einzugehen, und teils auch, dass sie sich vor den Westeuropäern der Beschaffenheit ihrer Götzenbilder ein wenig schämten. Der Metallglanz einiger Rubelstücke, welche ich mir in Stockholm eingewechselt hatte, veranlasste jedoch schließlich eine alte Frau, alle Bedenklichkeit beiseitezusetzen. Sie ging nach einem der beladenen Schlitten hin, welche sie als Magazine zu benutzen scheinen, und suchte lange, bis sie endlich einen alten, unbrauchbaren Lederstiefel in die Hände bekam; aus diesem zog sie einen hübschen Lederstrumpf hervor, aus welchem schließlich vier Götzenbilder