welche einen wohlgeschützten Hafen bildet. Fischfang und Hafen haben dem kleinen Ort auf dieser Insel eine gewisse Bedeutung gegeben und ihn zu einem der höchsten Außenposten nach dem Norden hin gemacht. Hier, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern von der Nordspitze Europas, gibt es außer zahlreichen Fischerhütten auch eine Kirche, einen Handelsladen, ein Postbüro, ein Krankenhaus usw., und ich brauche wenigstens für diejenigen, welche das nördlichste Norwegen bereist haben, wohl kaum hinzuzufügen, dass man hier auch verschiedene gastfreundliche Familien findet, in deren Kreis wir manche Stunde unseres unfreiwilligen Aufenthalts in dieser Gegend recht angenehm verplaudert haben. Die Einwohner des Ortes leben natürlich nur von Fischfang, da jeder Ackerbau hier unmöglich ist. Zwar haben Kartoffeln manchmal eine reichliche Ernte auf der nahegelegenen Insel Ingö gegeben, indessen misslingt ihr Anbau meistens infolge der Kürze des dortigen Sommers. Von wilden Beeren trifft man Preiselbeeren, jedoch nur in so geringer Menge, dass man nur selten ein oder zwei Liter einsammeln kann; Heidelbeeren kommen etwas reichlicher vor, und die norwegische Multbeere (eine kriechende Himbeerart), die Traube des Nordens, findet sich sogar außerordentlich reichlich.
In der Nachbarschaft des Nordkaps erstreckt sich der Wald jetzt nicht mehr bis an die Küste des Eismeers selbst, aber an geschützten, eine kurze Strecke innerhalb des Meeresbandes gelegenen Stellen trifft man schon vier bis fünf Meter hohe Birken.
Das Klima von Masö zeichnet sich nicht durch besonders strenge Winterkälte aus, aber die Luft ist beinahe das ganze Jahr hindurch rau und feucht. Die Gegend soll jedoch ganz gesund sein, bis auf den Umstand, dass der Skorbut, besonders während feuchter Winter, die ganze Bevölkerung heimsucht, sowohl die Gebildeten wie die Ungebildeten, die Reichen wie die Armen und alte Leute wie Kinder. Nach Angaben einer im Orte wohnenden Frau wird sehr schwerer Skorbut mittels eingemachter Multbeeren mit Rum geheilt. Ich führe diese Art der Anwendung der Multbeeren, dieses alten, wohlbekannten Heilmittels gegen den Skorbut, hier deshalb an, weil ich überzeugt bin, dass diejenigen zukünftigen Polarexpeditionen, welche hieraus eine Lehre ziehen wollen, finden werden, dass dieses Mittel wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden aller Leute an Bord beiträgt.
Zu dem Plan dieses Werkes gehört es ebenfalls, allmählich, je nachdem, wie die Vega vorwärtskommt, einen kurz gefassten Bericht über die Fahrten derjenigen Männer zu geben, welche den Weg, den dieselbe betritt, zuerst eröffnet und demnach in ihrer Weise zur Vorbereitung der Fahrt beigetragen haben, durch welche die Umseglung Asiens und Europas endlich vollbracht worden ist. In dieser Beziehung ist es meine Pflicht, zunächst über die Entdeckungsreise zu berichten, während welcher die Nordspitze Europas zum ersten Mal umsegelt wurde, und zwar besonders deshalb, weil der Bericht über diese Reise außerdem noch dadurch großes Interesse erweckt, dass er viele merkwürdige Aufklärungen über die frühen Bevölkerungsverhältnisse des nördlichen Skandinavien enthält.
Diese Reise wurde vor ungefähr einem Jahrtausend von einem Norweger Othere aus Halogaland oder Helgeland (die zwischen 65° und 66° liegende Küstenstrecke Norwegens) ausgeführt. Derselbe scheint weite Reisen gemacht zu haben, und auf seinen Irrfahrten kam er auch an den Hof des berühmten englischen Königs Alfred der Große. Diesem König gab er eine in einfachen, klaren Worten abgefasste Schilderung seiner Seereise, welche er von seiner Heimat aus nach Norden und Osten hin unternommen hatte.
Aus Otheres Bericht geht hervor, dass er eine wirkliche Entdeckungsreise unternommen hatte, um die nach Nordost gelegenen unbekannten Länder und Meere kennenzulernen. Diese Fahrt wurde deshalb auch besonders erfolgreich, weil während derselben der nördliche Teil Europas zum ersten Mal umsegelt wurde. Ebenso dürfte es keinem Zweifel unterworfen sein, dass Othere während dieser Fahrten bis an die Mündung der Dwina oder wenigsten des Mesenflusses vorgedrungen war. Die Erzählung lehrt uns auch, dass das nördlichste Skandinavien, wenn auch dünn, dennoch von Lappländern bewohnt war, welche ein Leben führten, das sich nicht besonders von der Lebensart unterschied, welche sie noch jetzt an der Küste führen.
BEI DEN LAPPEN VON CHABAROWA
Die Vega wurde durch anhaltenden Gegenwind, Regen, Nebel und außerdem durch schweren Seegang bis zum 25. Juli abends bei Masö aufgehalten. Trotz des fortdauernd sehr ungünstigen Wetters lichteten wir dann, ungeduldig weiterzukommen, die Anker und dampften durch den Magerö-Sund in die See hinaus. Gleichzeitig lichtete auch die Lena ihre Anker, da sie Befehl erhalten hatte, der Vega, soweit möglich, zu folgen und für den Fall, dass eine Trennung von uns unvermeidlich werden sollte, ihren Kurs nach Chabarowa in Jugor-Schar, d. h. nach der Stelle zu nehmen, welche ich als Sammelplatz für die vier Fahrzeuge der Expedition bestimmt hatte. Schon in der ersten Nacht verloren wir bei dem schweren Nebel die Lena aus den Augen und sahen sie erst am Sammelplatz wieder.
Der Kurs der Vega wurde nach dem südlichen Gänsekap abgesetzt. Obgleich ich mich schon in Tromsö dafür bestimmt hatte, in das Karische Meer durch die südlichste der dahin führenden Straßen, Jugor-Schar, einzulaufen, so wurde doch der Kurs so nördlich gelegt, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass zu Anfang des Sommers soviel Eis in der Bucht zwischen der Westküste, der Waigatsch-Insel und dem Festland hin- und hertreibt, dass das Segeln in diesen Fahrwassern bedeutend erschwert ist. Diese Schwierigkeiten aber vermeidet man, wenn man ungefähr bei Gänseland Nowaja Semlja anläuft und dort dem westlichen Ufer dieser Insel und der Waigatsch-Insel nach Jugor-Schar folgt. Diesmal war indessen diese Vorsicht nicht erforderlich. Die Eisverhältnisse zeigten sich nämlich besonders günstig, und wir erreichten Jugor-Schar oder die Jugorische Straße, ohne eine Spur von Eis zu sehen.
Die Überfahrt von Norwegen nach Gänseland wurde anfangs von gutem Wind begünstigt, welcher jedoch, als wir uns Nowaja Semlja näherten, schwächer und spärlicher wurde. Dessen ungeachtet ging die Fahrt mithilfe des Dampfes schnell und ohne andere Abenteuer vonstatten, als dass das starke Rollen des Schiffs ein Durcheinanderschütteln verschiedener Instrumente und Bücherkisten zur Folge hatte, glücklicherweise ohne irgendwelchen erheblichen Schaden.
Am 28. Juli, um 10 Uhr 30 Min. nachmittags, bekamen wir Land in Sicht. Dies war die Landspitze, welche sich im Süden von Gänseland unter 70° 33' nördl. Br. und 51° 54' östl. L. von Greenwich in die See hinausschiebt. Das Gänseland ist eine niedrige, von Grasflächen und unzähligen kleinen Seen bedeckte Küstenstrecke, welche von dem Hauptland Nowaja Semljas hervorspringt. Der Name ist eine Übersetzung der russischen Benennung Gusinnaja Semlja und ist entsprungen aus der Menge von Gänsen und Schwänen, welche in dieser Gegend nisten.
Obgleich das Gänseland, von fern gesehen, ganz eben und niedrig zu sein scheint, hebt es sich doch von der Küste in das Land hinein langsam und wellenförmig zu einer mit unzähligen, seichten Seen überstreuten Grasebene von etwa sechzig Metern Höhe. Diese Ebene fällt beinahe überall nach dem Meer hin mit einem steilen, drei bis fünfzehn Meter hohen Absatz ab, unterhalb dessen sich im Laufe des Winters eine gewaltige Schneewehe oder ein sogenannter Schneefuß bildet, welcher erst sehr spät wieder wegschmilzt. Wirkliche Gletscher gibt es hier nicht. Auch sind keine schneebedeckten Bergspitzen vom Meer aus sichtbar, und man kann deshalb zu gewissen Zeiten des Jahres (während des ganzen Augustmonats) von Norwegen nach Nowaja Semlja segeln, dort Jagdausflüge machen und zurückkehren, ohne auch nur eine Spur von Eis oder Schnee gesehen zu haben. Dies gilt zwar nur für den niedrig gelegenen Teil der südlichen Insel, zeigt aber auf alle Fälle, wie unrichtig die allgemein geltende Vorstellung über die Naturverhältnisse Nowaja Semljas ist. Schon Ende Juni oder Anfang Juli wird der größte Teil des Gänselandes schneefrei, und kurz darauf entwickelt sich in wenigen Wochen die nordische Blumenwelt in all ihrer Farbenpracht. Trockene, günstig gelegene Stellen bedecken sich jetzt mit einem niedrigen, aber reichen, von keinem hohen Gras oder durch Gebüsche verdeckten Blumenbett. An feuchteren Stellen trifft man sogar wirkliche Grasmatten, welche, wenigstens von fern gesehen, lachenden grünen Wiesen gleichen.
Infolge des Zeitverlustes, welcher durch die Verzögerung beim Segeln längs der norwegischen Küste und durch den Aufenthalt in Masö verursacht worden war, hatten wir keine Zeit, hier zu landen, sondern setzten unsere Fahrt längs der Westküste Nowaja Semljas nach Jugor-Schar bei einem meist herrlichen, stillen Wetter fort. Das Meer war völlig eisfrei, und das Land, außer einigen in den Talsenkungen noch liegen gebliebenen Schneefeldern, war ebenfalls frei von Schnee. Hier und da sah