erklärte Eugenie entschlossen, „koste es, was es wolle! Gehen Sie mit mir, Hartmann, nur bis zu den Beamtenwohnungen! Im schlimmsten Falle bleibe ich dort, bis der Weg wieder frei ist, und an Ihrer Seite werde ich doch wohl vor thätlichen Angriffen sicher sein.“
Der alte Mann schüttelte mit bekümmerter Miene den Kopf. „Ich kann Ihnen da nicht helfen, gnädige Frau. Heute, wo Einer gegen den Andern steht, bin ich kaum selbst meines Lebens sicher in all’ dem Toben, und wenn Sie nun gar erkannt werden, dann nützt es wenig, wenn ich an Ihrer Seite. bin. Jetzt giebt es nur Einen, der sich allenfalls noch Respect verschaffen kann, dem sie zur Noth noch gehorchen, meinen Ulrich, und der haßt Herrn Berkow bis auf’s Blut und haßt Sie, weil Sie seine Frau sind. – Gerechter Gott, da kommt er!“ unterbrach er sich auf einmal. „Es hat wieder etwas Arges gegeben; ich sehe es an seinem Gesichte. Gehen Sie ihm aus den Augen, nur jetzt, ich bitte Sie!“
Er drängte die junge Frau in die halb offene Flur des Häuschens, und in der That ließen sich auch schon in unmittelbarer Nähe Schritte und laute heftige Stimmen vernehmen. Von Lorenz und einigen anderen Bergleuten begleitet, kam Ulrich heran, ohne den Vater zu bemerken. Sein Gesicht war flammend geröthet; auf seiner Stirn lag wieder die Wetterwolke, die jeden Augenblick loszubrechen drohte, und seine Stimme klang in wildester Erregung.
„Und wenn es unsere Cameraden und wenn es unsere Brüder sind – nieder mit ihnen, sobald sie zu Verräthern an uns werden! Wir haben uns das Wort gegeben, zusammenzustehen Einer für den Andern, und jetzt kriechen sie feig zum Kreuze und geben uns und die ganze Sache preis! Das soll ihnen vergolten werden. Habt Ihr die Schachte besetzt?“
„Ja, aber –“
„Kein Aber!“ herrschte der junge Führer dem Bergmanne zu, der sich den Einwand erlaubt hatte. „Das fehlte noch, Verrath in unseren eigenen Reihen, jetzt, wo wir nahe dem Siege stehen! Sie werden mit Gewalt zurückgetrieben, sage ich Euch, sobald sie es noch einmal versuchen, anzufahren. Sie sollen begreifen, wo jetzt ihr Platz und ihre Pflicht ist, und müßten sie es auch mit blutigen Köpfen lernen!“
„Es sind aber ihrer Zweihundert,“ sagte Lorenz ernst. „Morgen werden es Vierhundert sein, und wenn sich der Herr erst einmischt und zu ihnen redet – Du weißt doch, wie das wirkt. Wir haben es oft genug erfahren in der letzten Zeit.“
„Und wären es Vierhundert,“ brauste Ulrich auf, „und wäre es die Hälfte der ganzen Knappschaft, wir zwingen sie mit der andern Hälfte. Ich will doch sehen, ob ich mir nicht mehr Gehorsam schaffen kann; aber jetzt vorwärts! Karl, Du mußt nach den Werken hinüber; bringe mir Nachricht, ob Berkow sich nicht etwa einmischt, ob er mit seiner verdammten Art zu reden uns nicht wieder Hunderte abtrünnig macht. Ihr Anderen zurück nach den Schachten! Seht zu, ob sie hinreichend abgesperrt sind, und laßt Keinen heran, der nicht zu uns gehört; ich komme gleich selbst nach – fort!“
Der Befehl wurde augenblicklich ausgeführt. Die Bergleute eilten in den angewiesenen Richtungen davon, und Ulrich, der jetzt erst seines Vaters ansichtig ward, ging hastig auf denselben zu.
„Du hier, Vater? Du solltest doch lieber –“ er hielt plötzlich inne. Der Fuß wurzelte am Boden; das eben noch so heiß geröthete Gesicht wurde weiß, als sei jeder Blutstropfen daraus gewichen, und die Augen öffneten sich so weit und starr, als sehe er ein Gespenst vor sich. Eugenie war aus der Hausflur hervorgetreten und stand ihm gerade gegenüber.
In dem Kopfe der jungen Frau war ein Gedanke aufgeblitzt, der auch in demselben Moment schon ausgeführt wurde. Sie dachte nicht an die Kühnheit, ja an die Gefahr ihres Wagnisses; sie wollte zu ihrem Gatten um jeden Preis, und da galt es, das Grauen zu überwinden, das sie vor jenem Manne dort empfand, seit sie wußte, worauf sich ihre Macht über ihn gründete; da galt es einzig diese Macht zu gebrauchen, deren Wirkung sie so oft schon erprobt hatte.
„Ich bin es, Hartmann,“ sagte sie, ein unwillkürliches Beben bemeisternd und anscheinend mit vollkommener Ruhe. „Ihr Vater warnte mich soeben den Weg allein fortzusetzen, und doch muß ich vorwärts.“
Erst bei dem Klange ihrer Stimme schien Ulrich zu begreifen, daß es wirklich Eugenie Berkow war, die da vor ihm stand, und nicht blos ein Gebilde seiner erhitzten Phantasie. Er that stürmisch einige Schritte gegen sie; aber Eugeniens Ton und Blick übten doch noch die alte Gewalt über ihn aus; es legte sich wie ein Schimmer von Ruhe und Milde über seine Züge.
„Was wollen Sie hier, gnädige Frau?“ fragte er unruhig; aber der eben noch so herrisch rauhe Ton war verändert. Er hatte fast einen Anflug von Weichheit. „Es geht heute schlimm zu bei uns; das ist nichts für Frauen, am wenigsten für Sie. Sie dürfen hier nicht bleiben.“
„Ich will zu meinem Manne!“ sagte Eugenie rasch.
„Zu – Ihrem Manne?“ wiederholte Ulrich. „So?“
Es war das erste Mal, daß die junge Frau diese Bezeichnung gebrauchte; sie hatte sonst immer nur von Herrn Berkow oder ihrem Gemahl gesprochen, und Ulrich schien zu ahnen, was in diesem einen Worte lag. In der ersten Ueberraschung hatte er wohl nicht daran gedacht, wie sie so plötzlich hierher kam und weshalb es möglicher Weise geschehe; jetzt warf er einen schnellen Blick auf ihre Reisekleidung und einen zweiten umher, wie um den Wagen oder die Begleitung zu suchen.
„Ich bin allein,“ erklärte Eugenie, die diesen Blick auffing, „und eben das verbietet mir die Fortsetzung des Weges. Ich fürchte nicht die Gefahren, wohl aber die Beleidigungen, denen ich ausgesetzt sein könnte. Sie haben mir einst Ihren Schutz und Ihre Begleitung angeboten, Hartmann, wo ich dessen nicht bedurfte; jetzt nehme ich Beides in Anspruch. Führen Sie mich sicher nach dem Hause gegenüber! Sie können es.“
Der Schichtmeister hatte bisher angstvoll bei Seite gestanden; er erwartete jeden Augenblick ein Attentat seines Sohnes gegen die Gemahlin des so sehr gehaßten jungen Chefs und war bereit, sich im Nothfalle dazwischen zu werfen. Er konnte die Ruhe und Sicherheit der jungen Frau einem Manne gegenüber nicht begreifen, den sie doch so gut wie alle Welt als den eigentlichen Anstifter des ganzen Aufruhrs kannte; als sie nun aber gar dies Verlangen an ihn stellte, sich seinem Schutze anvertrauen wollte, da verließ den alten Mann die Fassungskraft; er schaute förmlich entsetzt auf sie hin.
Aber auch Ulrich war furchtbar gereizt durch diese Zumuthung. Der flüchtige Schimmer von Milde und Nachgiebigkeit war bereits wieder verschwunden und der alte herrische Trotz zurückgekommen.
„Ich soll Sie hinüberführen?“ fragte er mit dumpfer Stimme. „Und von mir verlangen Sie das, gnädige Frau, von mir?“
„Von Ihnen!“ Eugenie ließ das Auge nicht von seinem Gesichte. Sie wußte, daß darin ihre ganze Macht lag, aber hier schien sie denn doch an der Grenze derselben zu stehen. Ulrich fuhr auf wie ein Rasender.
„Nun und nimmermehr! Eher lasse ich das Haus stürmen, lasse Alles in Grund und Boden reißen, ehe ich Sie hinüberbringe. Er da drüben soll wohl Muth bekommen zum äußersten Widerstande, wenn er Sie erst an der Seite hat? Er soll wohl triumphiren, wenn er sieht, daß Sie ganz allein aus der Residenz herreisen und mitten durch die Revolte zu ihm wollen, nur um ihn nicht allein zu lassen? Aber dazu suchen Sie sich doch einen anderen Führer, und fände sich der andere,“ hier streifte ein drohender Seitenblick den Vater, „er käme nicht weit mit Ihnen; dafür sorge ich.“
„Ulrich, um Gotteswillen bezähme Dich, es ist eine Frau!“ rief der Schichtmeister, in Todesangst dazwischen tretend. Er sah in dieser Scene natürlich nur den Ausbruch einer schonungslosen Feindseligkeit, die sein Sohn schon lange gegen die ganze Berkow’sche Familie genährt, und deshalb stellte er sich wie zum Schutze gegen die junge Frau, die ihn leise, aber entschieden zurückdrängte.“
„Sie wollen mich also nicht begleiten, Hartmann?“
„Nein und zehnmal nein!“
„Nun denn, so gehe ich allein!“
Sie wandte sich nach der Richtung des Parkes hin; aber mit zwei Schritten hatte Ulrich sie erreicht und stellte sich ihr in den Weg.
„Zurück, gnädige Frau! Sie kommen nicht durch, sage ich Ihnen, am wenigsten da, wo meine Cameraden sind. Ob Frau oder nicht,