Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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blutiger wiederholen als heute Morgen, wo es mit einem bloßen Handgemenge abging. Hartmann hat gezeigt, daß er die eigenen Cameraden nicht schont, wenn sie sich gegen seinen Terrorismus auflehnen. Er läßt Feind und Freund bluten, sobald es sich um sein starres Princip handelt.

      Die offene Thür ließ Eugenie den Einblick in das Zimmer frei. Arthur stand ihr gerade gegenüber am offenen Fenster, und das volle Licht fiel auf sein Antlitz, das um so Vieles düsterer geworden war, seit sie es nicht gesehen. Der Schatten der Sorge, der freilich damals schon auf der Stirn lag, die noch so wenig gewohnt war, ihn zu tragen, hatte sich jetzt in zwei tiefen Falten dort eingegraben, die vielleicht nichts mehr verwischen konnte. Jede einzelne Linie des Gesichts war schärfer, strenger geworden; der Zug von Energie, der damals erst aufdämmerte und nur in Momenten der Erregung zur vollsten Geltung kam, herrschte jetzt auch in der Ruhe unbedingt vor und hatte den ehemaligen träumenden Ausdruck völlig zurückgedrängt; auch die Haltung und Stimme verrieth eine gleiche Festigkeit und Bestimmtheit – man sah es, der junge Chef hatte in wenigen Wochen Das gelernt, wozu Andere Jahre brauchen.

      „Ich bin gewiß der Letzte, der einer fremden Hülfe das Wort redet, „fuhr der Oberingenieur fort, „aber ich dächte, wir Alle, unser Chef voran, hätten nun genug gethan, sie abzuhalten. Man kann und wird uns wahrhaftig keinen Vorwurf machen, wenn wir endlich auch zu Dem greifen, was die Nachbarwerke längst gethan haben, und zwar ohne solche dringende Nothwendigkeit wie die unsrige.“

      Arthur schüttelte düster das Haupt. „Die anderen Werke können für uns keinen Maßstab geben; dort ist es mit einigen Verhaftungen und Verwundungen abgegangen, dort genügten fünfzig Mann und ein paar Schüsse in die Luft, um die ganze Revolte zu unterdrücken. Hier steht Hartmann an der Spitze, und wir wissen Alle, was das heißen will. Der weicht selbst einem Bajonnetangriff nicht, und mit ihm steht und fällt auch sein ganzer Anhang. Sie würden das Aeußerste herausfordern – bei uns geht der Friede nur über Leichen.“

      Der Beamte schwieg, aber sein bedeutsames Achselzucken zeigte, daß er die Befürchtung seines Chefs theilte.

      „Wenn aber der Friede nicht anders zu erreichen ist –“ begann er wieder.

      „Wenn er zu erreichen ist! Er ist es aber nicht, und die Opfer fallen umsonst. Ich zwinge die Empörung für den Augenblick nieder, damit sie sich im nächsten Jahr, in den nächsten Monaten vielleicht schon von Neuem erhebt, und Sie wissen so gut wie ich, daß mir das die letzte Möglichkeit nimmt, die Werke zu behaupten. Anderswo geben sich doch wenigstens noch Regungen der Gerechtigkeit, des Vertrauens kund, anderswo fangen die Leute doch endlich an, zur Besinnung zurückzukehren; bei uns ist das nicht zu hoffen; das Jahre lang gesäete Mißtrauen läßt sich nicht überwinden. Haß und Feindschaft war die Parole, die gegen mich ausgegeben wurde, als ich hier eintrat; sie ist es noch heute, und wenn ich nun noch das Blut zwischen sie und mich stelle, dann ist es vollends aus. Hartmann freilich darf es wagen, die Seinen im offenen Kampfe zum Gehorsam zu treiben, ihnen gewaltsam, vielleicht blutig seinen Willen aufzuzwingen; er bleibt ihnen doch der Messias, von dem sie allein ihr Heil erwarten. Wenn ich nur einen Schuß thun lasse, wenn ich mich nur zur eigenen Nothwehr bewaffne, so bin ich der Tyrann, der sie kaltblütig morden läßt, der Unterdrücker, der seine Freude hat an ihrem Verderben. Der alte Schichtmeister hat es mir damals nicht umsonst gesagt: ‚Wenn es einmal bei uns losbricht, dann gnade uns ‚Gott!‘“

      Es lag keine Klage, nicht einmal eine Muthlosigkeit in diesen Worten, nur die tiefe Bitterkeit eines Mannes, der sich endlich doch an den Rand des Abgrundes gerissen sieht, dem fern zu bleiben, er vergebens alle Kräfte aufgeboten. Vielleicht hätte der junge Chef auch zu keinem Anderen so gesprochen, aber der Oberingenieur war der Einzige, der ihm in der letzten Zeit näher getreten war, weil er bei allen Gefahren und Maßregeln fest und unverrückbar an seiner Seite gestanden; er war auch der Einzige, der bisweilen etwas anderes aus seinem Munde hörte, als die Befehle oder Ermuthigungen, die er allein für die übrigen Beamten hatte.

      „Ein Theil der Leute hat aber doch bereits die Arbeit wieder aufnehmen wollen,“ meinte er.

      Arthur richtete sich hastig empor. „Und gerade das wird mich zwingen, den Uebrigen den Krieg zu erklären! Mit Hartmann ist keine Versöhnung zu hoffen – ich habe es vergebens noch einmal versucht!“

      „Mit wem? Was haben Sie versucht, Herr Berkow?“ fragte der Beamte mit einem solchen Ausdruck des Erschreckens, daß der junge Chef ihn befremdet ansah.

      „Eine Verständigung mit Hartmann. Es geschah allerdings nicht officiell. Das hätte man als Schwäche auslegen können; es war bei einer zufälligen Begegnung zwischen uns Beiden allein, wo ich ihm noch einmal die Hand bot.“

      „Das durften Sie nicht!“ fiel Jener fast leidenschaftlich ein. „Ihre Hand diesem Manne! Mein Gott – freilich, Sie wissen ja noch nichts.“

      „Ich durfte nicht?“ wiederholte Arthur etwas scharf. „Wie meinen Sie das, Herr Oberingenieur? Sein Sie überzeugt, daß ich meine Stellung hinreichend zu wahren weiß, selbst bei solchen Gelegenheiten.“

      Der Beamte hatte sich bereits wieder gefaßt. „Verzeihen Sie, Herr Berkow! Der Ausdruck sollte keine Maßregel meines Chefs kritisiren; es galt einzig dem Sohne, der freilich keine Ahnung hat von den Gerüchten, die sich an die Todesstunde seines Vaters knüpfen. Wir hatten einander das Wort gegeben, darüber gegen Sie zu schweigen; es geschah in der besten Absicht. Jetzt aber sehe ich doch ein, daß wir Unrecht thaten, daß Sie es wissen müssen. Sie wollten dem Hartmann Ihre Hand bieten, und das, ich wiederhole es, durfte nicht sein.“

      Arthur sah ihn starr an. Sein Gesicht war auf einmal farblos geworden, und die Lippen bebten.

      „Sie sprechen von Hartmann und von der Todesstunde meines Vaters! Es existirt also ein Zusammenhang zwischen beiden?“

      „Ich fürchte es; wir fürchten es Alle. Der allgemeine Verdacht klagt den Steiger an und nicht bei uns allein, auch bei seinen Cameraden.“

      „Damals im Fahrschacht?“ stieß Arthur in furchtbarer Bewegung hervor. „Ein meuchlerischer Ueberfall gegen einen Wehrlosen? Das glaube ich von Hartmann nicht!“

      „Er haßte den Verstorbenen,“ sagte der Oberingenieur bedeutsam, „und er hat diesen Haß nie geleugnet. Herr Berkow mag ihn durch ein Wort, durch einen Befehl gereizt haben. Ob die Seile wirklich durch bloßen Zufall gerissen sind und er den Moment der Gefahr benutzte, um sich zu retten und den Anderen in die Tiefe zu schleudern, ob das Ganze ein vorbedachter Plan war, darüber freilich liegt ein räthselhaftes Dunkel, aber schuldlos ist er nicht, dafür möchte ich bürgen.“

      Man sah es dem jungen Chef an, wie diese Enthüllung ihn erregte; er stützte sich schwer auf den Tisch. „Die Untersuchung hat ein Unglück ergeben,“ entgegnete er mit schwankender Stimme.

      „Die Untersuchung ergab nichts! Deshalb nahm man ein Unglück an und ließ es als ein solches gelten. Eine laute Anklage wagte Niemand; es fehlte jeder Beweis, und es hätte zu unabsehbaren Conflicten mit unseren Leuten geführt, hätte man den Verdacht benutzt, um ihnen den Führer zu nehmen, der aller Wahrscheinlichkeit nach doch frei ausgegangen wäre. Wir wußten, Herr Berkow, daß, wie die Verhältnisse nun einmal lagen, Sie den Kampf mit diesem Gegner nicht vermeiden konnten; wir wollten Ihnen wenigstens die Bitterkeit ersparen, zu wissen, mit wem Sie kämpften. Das war der Grund unseres Schweigens.“

      Arthur fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn. „Das ahnte ich nicht! Das nicht! Und wenn es auch nur ein Verdacht ist – Sie haben Recht, dem Manne durfte ich meine Hand nicht bieten.“

      „Und dieser Mann,“ fiel der Beamte energisch ein, „hat an der Spitze seiner Cameraden das ganze Unglück über Sie und uns gebracht; dieser Mann hat den Streit endlos geschürt und verlängert und versucht es jetzt, wo seine Macht im Sinken ist, den Riß unheilbar, die Versöhnung unmöglich zu machen. Können und wollen Sie ihn jetzt noch schonen?“

      „Ihn? Nein! Mit ihm war ich bereits zu Ende, als er mein Entgegenkommen so schroff zurückwies, aber auch die Anderen kann ich nicht mehr schonen nach den heutigen Scenen, sie treiben mich zum Aeußersten. Die Zweihundert von heute Morgen wollten arbeiten und sie haben am Ende das Recht, Schutz für ihre Arbeit