Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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vor der fortwährenden Controlle seiner Schwiegereltern, die sich bis in die Wohnung des jungen Paares hinein erstreckte, und er benutzte jede freie Stunde, sich in sein Asyl zu flüchten.

      Der sogenannte „Garten“ war von jener Beschaffenheit, wie sie in einem enggebauten, alten und menschenvollen Stadtviertel die allein mögliche ist. Ueberall hohe Mauern und Giebel, die von allen Seiten das Stückchen Erde einengten, dem Luft und Sonnenschein nur spärlich zugemessen war, und auf dem einige Bäume und Gesträuche ein kümmerliches Dasein fristeten. Als Grenzlinie hatte das Gärtchen einen jener kleinen Canäle, welche die Stadt nach allen Richtungen hin durchzogen, und dessen stille dunkle Fluth einen recht trübseligen Hintergrund bildete; jenseit desselben aber sah man wieder Mauern und Giebel; das Gefängnißartige, das dem ganzen Almbach’schen Hause anhaftete, schien sich auch auf den einzigen freien Raum desselben zu erstrecken.

      Das Gartenhaus selbst war nicht viel freundlicher, das einzige geräumige Gemach sogar mehr als einfach eingerichtet. Man sah es den wenigen alterthümlichen Möbeln an, daß sie als überflüssig irgendwo bei Seite gestellt und jetzt hervorgesucht waren, um das Zimmer nothdürftig herzustellen. Nur am Fenster, um das sich einige kümmerliche Weinranken schlangen, stand ein großer, kostbar gearbeiteter Flügel, das Vermächtniß des verstorbenen Musikdirector Wilkens an seinen Schüler, ein Prachtstück, das sich in der nüchternen Umgebung ebenso seltsam und fremdartig ausnahm, wie die Gestalt des jungen Mannes mit der idealen Stirn und den großen flammenden Augen hinter den vergitterten Comptoirfenstern des Vorderhauses.

      Reinhold saß am Tische und schrieb, aber sein Gesicht trug heute nicht jenen müden, apathischen Ausdruck, der stets darauf ruhte, sobald er die Zahlen der Handlungsbücher vor sich hatte; seine Wangen waren tief, fast fieberhaft geröthet, und die Hand, die in raschen Zügen einen Namen auf das vor ihm liegende Briefcouvert warf, zitterte leise, wie in verhaltener Erregung. Da ließen sich Schritte draußen hören und die Glasthür wurde geöffnet; mit einer schnellen unmuthigen Bewegung schob der junge Mann das Couvert unter die auf dem Tische liegenden Notenblätter und wandte sich um.

      Es war Jonas, der Diener des Capitains, der die ihm angebotene Gastfreundschaft seiner Verwandten nur auf einige Tage angenommen hatte, und dann in eine eigene Wohnung übergesiedelt war. Der Matrose brachte Gruß und Eintritt in der ihm eigenen derben und etwas ungeschickten Art zuwege und legte dann einige Bücher auf den Tisch.

      „Eine Empfehlung von dem Herrn Capitain, und er schickt hier das Versprochene aus seiner Reisebibliothek.“

      „Kommt mein Bruder nicht selbst?“ fragte Reinhold befremdet. „Er versprach es doch.“

      „Der Herr Capitain ist schon längst da,“ rapportirte Jonas, „aber sie haben ihn richtig wieder im Hause abgefangen: der Herr Onkel wünschen eine Conferenz mit ihm in Familiensachen; die Frau Tante verlangen seine Hülfe bei einer Aenderung im Besuchszimmer, und der Buchhalter will ihn für seinen Verein kapern. Alle reißen sie sich um ihn; er kann nicht loskommen.“

      „Hugo scheint im Laufe einer einzigen Woche bereits das ganze Haus erobert zu haben,“ bemerkte Reinhold ironisch.

      „Das machen wir überall so,“ sagte Jonas voll Selbstgefühl, und schien sehr geneigt, noch Einiges über diese Eroberungen hinzuzufügen als er durch den Eintritt seines Herrn unterbrochen wurde, der in heiterster Laune den Bruder begrüßte.

      „Gute Morgen, Reinhold! Nun, Jonas, was stehst Du denn noch hier? Man bedarf Deiner im Hause. Ich habe der Tante versprochen daß Du bei der heutigen Mittagsgesellschaft Aushülfe leisten sollst. Rasch hinauf in die Küche!“

      „Unter die Frauenzimmer?“ fragte Jonas, dessen Gesicht sich bei dem Befehle natürlich verlängerte.

      „Unter die Frauenzimmer! Weiß der Himmel,“ wandte sich Hugo lachend an seinen Bruder, „wo dieser Mensch den Haß gegen alles Weibliche gelernt hat. Bei mir sicher nicht; ich bewundere das schöne Geschlecht ganz außerordentlich.“

      „Ja, leider Gottes, gar zu außerordentliche!“ brummte Jonas, machte aber gehorsam Kehrt und marschirte zur Thür hinaus, während der Capitain dicht an Reinhold hinantrat.

      „Es ist heute große Familientafel,“ hob er an, den pedantisch feierliche Ton seines Onkels Almbach täuschend nachahmend. „Mir zu Ehren, natürlich! Ich hoffe, daß Du diesem bedeutsamen Acte die gebührende Hochachtung entgegenbringst, und Dich nicht wieder so benimmst, daß ich Dich höchstens als Folie für meine eigene zu entwickelnde Liebenswürdigkeit benutzen kann.“

      Reinhold runzelte ein wenig die Stirn. „Ich bitte Dich, Hugo, werde endlich einmal vernünftig! Wie lange denkst Du denn eigentlich noch diese Komödie fortzuspielen und Dich über das ganze Haus lustig zu machen? Nimm Dich in Acht, wenn sie dahinter kommen, von welcher Beschaffenheit Deine Liebenswürdigkeit eigentlich ist, und daß Du im Grunde nur Deinen Spott mit ihnen Allen treibst.“

      „Das wäre allerdings schlimm,“ sagte Hugo ruhig. „Sie kommen aber nicht dahinter; verlaß Dich darauf!“

      „So thue mir wenigstens den Gefallen, und laß’ Deine entsetzlichen Indianergeschichten! Du muthest ihnen wirklich zu viel damit zu. Der Onkel debattirte erst gestern mit dem Buchhalter über den Kampf mit der Riesenschlange, den Du ihnen neulich auftischtest, und der denn doch auch ihm etwas unerhört schien. Ich gerieth in die grenzenloseste Verlegenheit beim Zuhören.“

      „In Verlegenheit hat Dich das gebracht?“ spottete der Capitain. „Wäre ich dabei gewesen, ich hätte ihnen sofort noch eine Elephantenjagd, eine Tigergeschichte und einige Ueberfälle der Wilden mit so haarsträubenden Effecten zum Besten gegeben, daß ihnen die Sache mit der Riesenschlange darnach höchst wahrscheinlich vorgekommen wäre. Sei unbesorgt! Ich kenne meine Zuhörer; das ganze Haus erdrückt mich ja fast mit Sympathiebeweisen.“

      „Ella ausgenommen,“ warf Reinhold ein. „Es ist doch eigenthümlich, daß ihre Scheu vor Dir in keiner Art zu überwinden ist.“

      „Jawohl, das ist sehr eigentümlich,“ stimmte Hugo mit beleidigter Miene bei. „Ich kann durchaus nicht zugeben, daß Jemand im Hause existirt, der von meiner Vortrefflichkeit nicht unbedingt überzeugt scheint, und habe mir bereits vorgenommen, mich heute in meiner ganzen unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit meiner Frau Schwägerin zu präsentiren. Ich zweifle durchaus nicht, daß sie sich darauf hin gleichfalls der Majorität anschließen wird, Du bist doch hoffentlich nicht eifersüchtig?“

      „Eifersüchtig? Ich? Und um Ella’s willen?“ Der junge Mann zuckte halb mitleidig, halb verächtlich die Achseln. „Was fällt Dir ein?“

      „Nun, es hat auch keine Gefahr! Ich suchte schon vorhin eine Unterredung mit ihr, aber sie war ausschließlich mit dem Kleinen beschäftigt. – Sage einmal, Reinhold, woher hat das Kind die wunderschönen blauen Märchenaugen? Die Deinen sind es nicht; da ist auch nicht die leiseste Spur einer Aehnlichkeit vorhanden, und sonst wüßte ich doch Niemanden in der Familie –“

      „Ich glaube, Ella’s Augen sind blau,“ unterbrach ihn der Bruder gleichgültig.

      „Das glaubst Du nur? Ueberzeugt hast Du Dich davon wohl noch nie? Allerdings mag das schwierig sein; sie schlägt sie ja niemals auf, und unter dieser unendlichen Haube ist überhaupt nichts von ihrem Gesichte zu erblicken. Reinhold, um Gotteswillen, wie kannst Du Deiner Frau eine solche vorsündfluthliche Tracht erlauben! Ich versichere Dir, für mich wäre diese Haube ein unbedingter Scheidungsgrund. “

      Reinhold hatte sich an den Flügel gesetzt und ließ mechanisch die Hand über die Tasten gleiten, während er mit vollkommener Theilnahmlosigkeit erwiderte: „Ich kümmere mich nie um Ella’s Toilette, und ich glaube, es wäre auch nutzlos, da Aenderungen durchsetzen zu wollen. Was geht es mich auch an?“

      „Was es Dich angeht, wie Deine Frau aussieht?“ wiederholte der Capitain, indem er einige der auf dem Tische liegenden Notenblätter ergriff und flüchtig durchsah; „eine allerliebste Frage für einen jungen Ehemann! Du hattest doch sonst einen nur allzu reizbaren Sinn für das Schöne, und ich möchte beinahe fürchten – was ist denn das? ‚Signora Beatrice Biancona in H.‘ Hast Du italienische Correspondenzen hier in der Stadt?“