Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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dem Zauber dieser Augen erliegt.“

      Der junge Seemann lachte übermüthig. „Und wer sagt Ihnen denn, Herr Consul, daß ich ein solches Schicksal fürchte? Ich unterliege in solchen Fällen immer mit dem größten Vergnügen und dem tröstlichen Bewußtsein, daß der Zauber nur dem gefährlich wird, der ihn flieht. Wer Stand hält, pflegt gewöhnlich sehr bald entzaubert zu werden, oft viel früher, als ihm lieb ist.“

      „Es scheint, Sie haben bereits viel Erfahrung in solchen Dingen,“ bemerkte Frau Erlau mit leisem Vorwurfe.

      „Mein Gott, gnädige Frau, wenn man so jahraus, jahrein von Land zu Land fliegt und nirgends Wurzel faßt, nirgends daheim ist, als auf der wogenden, ewig bewegten See, da lernt man den ewigen Wechsel als etwas Unabänderliches hinzunehmen und ihn schließlich lieben. Ich stelle mich Ihrer vollsten Ungnade zur Verfügung mit diesem Geständniß, aber ich muß Sie wirklich bitten, mich als einen Wilden zu betrachten, der in den tropischen Meeren und Ländern längst verlernt hat, den Anforderungen norddeutscher Civilisation zu genügen.“

      Die Art, wie der junge Capitain sich dabei verbeugte und die Hand der Dame küßte, verrieth gleichwohl eine ganz hinreichende Vertrautheit mit diesen Anforderungen, und Doctor Welding bemerkte trocken zu dem Consul gewandt:

      „Die tropische Uncivilisirtheit dieses Herrn wird sich in unseren Salons gerade nicht allzu schlimm ausnehmen. Der Held unserer vielgenannten Hansa-Affaire ist also wirklichder Bruder des jungen Almbach, dem Signora Biancona soeben drinnen im Versammlungszimmer eine Audienz ertheilt?“

      „Wem? Reinhold Almbach?“ fragte Erlau überrascht. „Sie hören ja, daß er sich nicht hier befindet.“

      „Nach der Ansicht des Herrn Capitains allerdings nicht,“ sagte Welding ruhig. „Nach der meinigen ganz entschieden. Bitte, erwähnen Sie nichts davon! Das heutige Concert scheint bestimmt zu sein, uns irgend eine Ueberraschung zu bringen; ich habe einen gewissen Verdacht, und es wird sich ja zeigen, ob er gegründet ist oder nicht. Signora liebt die Theatereffecte auch außerhalb der Bühne; Alles muß unerwartet, blitzähnlich, überstürzend sein. Eine prosaische Ankündigung würde Alles verderben. Der Capellmeister ist jedenfalls mit im Complot, war aber nicht zum Reden zu bringen. Wir wollen es abwarten.“

      Er schwieg, denn jetzt trat Hugo, der bisher mit den Damen gesprochen hatte, zu ihnen, und gleich darauf nahm das Concert seinen Anfang.

      Der erste Theil und die Hälfte des zweiten gingen programmmäßig unter mehr oder weniger lebhafter Theilnahme der Zuhörer vorüber. Erst gegen den Schluß hin erschien Signora Biancona, deren Leistung trotz Allem, was man bisher gehört, doch nun einmal den Glanzpunkt des Abends bildete. Das Publicum empfing und begrüßte seinen Liebling, dessen blasses Aussehen heute entzückender war als je, mit einem lauten Applaus. Beatrice war aber auch in der That blendend schön, als sie so dastand, im strahlenden Glanze des Kronleuchters, in dem blumenbestreuten duftigen Florgewande, mit den Rosen im dunklen Haare. Sie dankte lächelnd nach allen Seiten, und nachdem der Capellmeister, der diesmal selbst die Begleitung übernahm, sich am Flügel niedergelassen hatte, begann der Vortrag.

      Es war eine jener großen italienischen Bravour-Arien, die in jedem Concert, wie auf jeder Bühne ihres Erfolges sicher sind und den Beifall des Publicums herausfordern, ohne gleichwohl höheren Ansprüchen zu genügen. Eine Menge glänzender Passagen und Effecte mußten hier die Tiefe ersetzen, die der Composition durchaus abging, aber sie bot der Italienerin die vollste Gelegenheit zur Entfaltung ihrer herrlichen Stimme. All diese Läufe und Triller perlten so glockenrein von ihren Lippen, nahmen so schmeichelnd Ohr und Sinn der Zuhörer gefangen, daß jede Kritik, jeder ernstere Anspruch unterging in der reinen Lust des Hörens. Es war ein reizendes Spiel mit den Tönen, freilich nur ein Spiel, nichts weiter, aber es wirkte, im Verein mit der vollendeten Sicherheit und Anmuth des Vortrags, zündend auf das Publicum, das die Sängerin reichlicher als je mit dem gewohnten Beifall überschüttete und stürmisch die Arie da capo verlangte.

      Signora Biancona schien auch gewillt, diesem Wunsche nachzugeben, denn sie trat von Neuem vor, aber zugleich verließ der Capellmeister den Flügel, und ein junger Mann, den bisher Niemand unter den mitwirkenden Künstlern bemerkt hatte, nahm seinen Platz ein. Verwundert schauten die Zuhörer, überrascht der Consul und dessen Gattin zu ihm hinüber; selbst Hugo sah im ersten Augenblicke fast erschreckt auf den Bruder, dessen Hiersein er nicht vermuthet hatte, aber er begann den Zusammenhang zu ahnen. Nur Doctor Welding sagte ruhig und ohne das mindeste Erstaunen: „Dachte ich es doch!“ Reinhold sah bleich aus, und seine Hände bebten auf den Tasten; aber Beatrice stand an seiner Seite – ein leise geflüstertes Wort aus ihrem Munde, ein Blick aus ihrem Auge gab ihm den verlorenen Muth zurück. Er begann fest und ruhig die ersten Accorde, die dem Publicum sofort klar machten, daß es sich hier nicht um eine Wiederholung seines Lieblingsstückes handelte. Alles horchte auf mit Befremdung und Spannung, und jetzt fiel Beatrice ein.

      Das war nun freilich etwas Anderes, als die eben gehörte Bravour-Arie. Die Melodien, die jetzt emporquollen, hatten nichts gemein mit jenen Läufen und Trillern, aber sie brachen sich Bahn zu den Herzen der Zuhörer. In diesen Tönen, die bald aufwogten wie in stürmischem Jubel, bald zusammensanken wie in düsterer Klage, schien das ganze Glück und Weh eines Menschenlebens zu athmen, schien ein lang gefesseltes Sehnen sich endlich emporzuringen. Es war eine Sprache von ergreifender Gewalt und Schönheit, und wenn sie auch nicht überall ganz verstanden wurde, man fühlte doch, daß in ihr etwas Mächtiges, Ewiges klang; selbst die gleichgültigste, oberflächlichste Menge bleibt nicht empfindungslos, wenn der Genius zu ihr spricht.

      Und hier hatte dieser Genius einen Ebenbürtigen gefunden, der ihm zu folgen und ihn zu ergänzen wußte. Es war nicht die Rede mehr von einem Wagnisse der Beiden; denn Eines kam der Auffassung des Anderen entgegen. Das sorgfältigste Studium hätte kein so vollendetes Ineinandergreifen geben können, wie es hier der Moment und die Begeisterung schufen. Reinhold sah sich in jedem Tone verstanden, in jeder Wendung begriffen, und nie hatte Beatrice so hinreißend gesungen, nie war die Seele ihres Gesanges so hervorgetreten. Mit glühender Hingebung erfaßte sie ihre Aufgabe. Die Begabung der Sängerin und die dramatische Gewalt der Künstlerin flossen in Eines zusammen. Es war eine Leistung, die selbst das Unbedeutendste geadelt hätte – hier wurde es zu einem zweifachen Triumphe.

      Das Lied war zu Ende. Einige Secunden lang dauerte die athemlose Stille noch fort, mit der man zugehört; keine Hand regte sich, kein Beifallszeichen wurde laut; dann aber brach ein Sturm aus, wie ihn selbst die gefeierte Primadonna nur selten vernommen hatte, und wie er bei einem Concertpublicum jedenfalls unerhört war. Beatrice schien nur auf diesen Moment gewartet zu haben; im nächsten schon war sie zu Reinhold getreten, hatte seine Hand ergriffen und ihn mit sich auf das Podium gezogen, ihn dem Publicum vorstellend. Diese eine Bewegung sagte genug; man begriff sofort, daß man den Componisten vor sich habe. Auf’s Neue umtobte der Sturm des Beifalls die Beiden, und der junge Künstler empfing, noch halb betäubt von dem unerwarteten Erfolge, an der Hand Beatricens, den ersten Gruß und die erste Huldigung der Menge. –

      Reinhold kam erst wieder zur klaren Besinnung in dem Versammlungszimmer, wohin er Signora Biancona geleitet hatte. Noch blieben ihm einige Minuten des Alleinseins; draußen im Saale spielte das Orchester die Schlußpièce unter vollster Unaufmerksamkeit des Publicums, das sich noch völlig unter dem Eindrucke des eben Gehörte befand. Beatrice zog den Arm zurück, der auf dem ihres Begleiters lag.

      „Wir haben gesiegt,“ sagte sie leise. „Waren Sie zufrieden mit meinem Gesange?“

      Mit einer leidenschaftlichen Bewegung ergriff Reinhold ihre beiden Hände. „Ach, nicht diese Frage, Signora! Lassen Sie mich Ihnen danken, nicht für den Triumph, der ja Ihnen mehr als mir galt, aber dafür, daß ich mein Lied von Ihren Lippen hören durfte. Ich schuf es in der Erinnerung an Sie, für Sie allein, Beatrice. Sie haben verstanden, was es Ihnen sagt, sonst hätten Sie es nicht so singen können.“

      Signora Biancona mochte es nur zu gut verstanden haben, aber in dem Blicke, mit dem sie zu ihm niedersah, lag doch mehr noch, als blos der Triumph einer schönen Frau, die auf’s Neue die Unwiderstehlichkeit ihrer Macht erprobt hat. „Sagen Sie das der Frau oder der Künstlerin?“ fragte sie halb scherzend. „Die Bahn ist jetzt geöffnet, Signor! Werden Sie sie betreten?“

      „Ich