Tone. „Ich glaubte in der That kaum noch, daß Sie meiner Einladung Folge leisten würden.“
Reinhold sah auf, und die erzwungene Kälte und Fremdheit bei der Begrüßung begann bereits zu weichen, als er zum ersten Male wieder seit jenem Abende diesem Blicke begegnete.
„Also war es doch Ihre Einladung,“ sagte er. „Ich wußte in der That nicht, ob ich die mir in Ihrem Namen übersandte Aufforderung des Herrn Capellmeisters als eine solche betrachten durfte. Es lag keine einzige Zeile von Ihrer Hand bei.“
Beatrice lächelte. „Ich folgte nur einem mir gegebenen Beispiele. Auch ich habe ein gewisses Lied erhalten, dessen Componist seinem Namen kein einziges Wort hinzugefügt hatte. Ich übte nur Vergeltung.“
„Hat mein Schweigen Sie beleidigt?“ fragte der junge Mann rasch. „Ich wagte nichts hinzuzufügen. Was –“ sein Auge sank zu Boden – „was hätte ich Ihnen auch sagen sollen!“
Die erste Frage wäre wohl überflüssig gewesen; denn die Huldigung jenes Liedes schien verstanden worden zu sein, und Signora Biancona sah nichts weniger wie beleidigt aus, als sie erwiderte:
„Sie scheinen das Wortlose zu lieben, Signor, und durchaus nur in Tönen zu mir sprechen zu wollen. Nun denn, ich füge mich Ihrem Geschmack und habe beschlossen, Ihnen gleichfalls nur in unserer Sprache zu antworten.“
Sie legte einen leisen, aber doch bemerkbaren Nachdruck auf das Wort. Reinhold hob überrascht das Haupt.
„In unserer Sprache?“ wiederholte er langsam.
Beatrice zog aus der Notenrolle, die sie in der Hand hielt, ein anderes Papier hervor. „Ich habe vergebens gewartet, daß der Autor dieses Liedes zu mir kommen werde, um es einmal von meinen Lippen zu hören und den Dank dafür in Empfang zu nehmen. Er hat Fremden überlassen, was doch wohl seine Aufgabe gewesen wäre. Ich bin gewohnt, daß man mich sucht, Signor. Sie scheinen das Gleiche für sich zu beanspruchen.“
Es lag wohl noch ein Vorwurf in der Stimme, aber herb war er nicht, und das wäre auch kaum möglich gewesen, denn Reinhold’s Auge verrieth nur zu sehr, was ihm dieses Fernbleiben gekostet hatte. Er gab keine Antwort auf den Vorwurf, vertheidigte sich nicht dagegen, aber sein Blick, der wie magnetisch gefesselt an der strahlend schönen Erscheinung hing, sagte ihr, daß seine Zurückhaltung eher allem Anderen als der Gleichgültigkeit entstammte.
„Glauben Sie, daß ich Sie hergerufen habe, um die Arie von mir zu hören, die auf dem Programme steht?“ fuhr die Italienerin scherzend fort. „Das Publicum verlangt diese Arie stets da capo; sie ist zu anstrengend für eine Wiederholung; ich beabsichtige daher statt dieser etwas – Anderes zu singen.“
Eine tiefe Gluth bedeckte auf einmal die Züge des jungen Mannes, und er streckte, wie in unwillkürlicher Regung, die Hand nach dem Papiere aus.
„Um Gotteswillen! Doch nicht mein Lied?“
„Sie erschrecken ja ganz außerordentlich darüber,“ sagte die Sängerin zurücktretend und ihm die Noten entziehend. „Fürchten Sie das Schicksal Ihres Werkes in meinen Händen?“
„Nein, nein!“ rief Reinhold heftig, „aber –“
„Aber? Keine Einwendung, Signor! Das Lied ist mir gewidmet, ist mir auf Gnade und Ungnade übergeben. Ich schalte damit nach Gefallen. Nur noch eine Frage. Der Capellmeister ist zwar vorbereitet; wir haben den Vortrag zusammen einstudirt, ich sähe aber lieber Sie am Flügel, wenn ich mit Ihren Tönen vor das Publicum hintrete. Darf ich auf Sie rechnen?“
„Sie wollen sich meiner Begleitung anvertrauen?“ fragte Reinhold mit bebender Stimme. „Unbedingt anvertrauen ohne vorhergehende Probe? Das ist ein Wagniß für uns. Beide.“
„Nur wenn Ihnen der Muth fehlt, sonst nicht,“ erklärte Beatrice. „Ihre Meisterschaft auf dem Flügel habe ich bereits kennen gelernt, und es bedarf wohl keiner Frage, ob Sie der Begleitung Ihres Werkes sicher sind. Wenn Sie es nur Ihrer selbst sind und zwar diesem Publicum gegenüber, wie Sie es neulich vor der Gesellschaft waren, so tragen wir das Lied unbedingt vor.“
„Ich wage Alles, wenn Sie mir zur Seite stehen,“ brach Reinhold jetzt leidenschaftlich aus. „Das Lied war für Sie geschaffen, Signora. Wenn Sie ihm eine andere Bestimmung geben – sein Schicksal liegt in Ihren Händen. Ich bin zu Allem bereit.“
Sie antwortete nur mit einem stolzen siegesgewissen Lächeln und wandte sich dann zu dem Capellmeister, der soeben herantrat. Es entspann sich jetzt ein leises, aber lebhaftes Gespräch in der Gruppe, und die übrigen Herren blickten mit unverhehltem Mißvergnügen auf den jungen Fremden, der die Aufmerksamkeit und das Gespräch der Signora ganz allein für sich in Anspruch nahm und zu ihrem großen Aerger auch leider so lange fesselte, bis das Zeichen zum Beginne des Concerts gegeben wurde.
Der Saal hatte sich inzwischen bis auf den letzten Platz gefüllt, und der blendend erhellte Raum bot im Vereine mit den reichen Toiletten der Damen einen glänzenden Anblick dar. Die Gattin des Consul Erlau saß mit einigen anderen Damen im Vordergrunde des Saales und war gerade im Gespräche mit Doctor Welding begriffen, als ihr Gemahl in Begleitung eines jungen Mannes, der Capitainsuniform trug, an ihren Sessel trat.
„Herr Capitain Almbach,“ sagte er vorstellend, „dem ich die Rettung meines besten Schiffes und der gesammten Mannschaft verdanke. Er war es, der unserer bereits mit dem Untergange ringenden ,Hansa‘ zu Hülfe kam, und einzig seiner aufopfernden Energie –“
„O, ich bitte, Herr Consul, stellen Sie doch Ihrer Frau Gemahlin nicht sogleich einen Seesturm in Aussicht!“ fiel Hugo ein. „Wir armen Seeleute sind schon so verrufen wegen unserer Abenteuer, daß jede Dame mit geheimem Grauen der unvermeidlichen Aufzählung derselben entgegensieht. Ich versichere Ihnen aber, gnädige Frau, daß das bei mir nicht zu befürchten steht. Ich gedenke mit meinen bescheidenen Unterhaltungsversuchen durchaus auf dem Continente zu bleiben.“
Der junge Seemann schien in der That ganz genau den Unterschied der Kreise zu kennen, in denen er sich bewegte. Es fiel ihm nicht ein, hier, wo doch die Gelegenheit dazu geboten war, mit Abenteuern zu glänzen, die er im Hause seiner Verwandten sehr freigebig ausstreute. Der Consul schüttelte ein wenig unzufrieden den Kopf.
„Sie scheinen es nun einmal zu lieben, jede Anerkennung Ihrer Leistungen wegzuspotten,“ entgegnete er. „Ich bleibe deshalb nicht weniger in Ihrer Schuld, auch wenn Sie es mir unmöglich machen, sie Ihnen in irgend einer Weise abzutragen. Uebrigens glaube ich nicht, daß Ihnen die Erzählung dieses Abenteuers bei den Damen schaden wird, im Gegentheil. Und da Sie jede Schilderung desselben so entschieden ablehnen, so behalte ich mir dies für die nächste Gelegenheit vor.“
Frau Erlau wandte sich mit gewinnender Freundlichkeit zu Hugo. „Sie sind uns kein Fremder mehr, Herr Capitain, schon um Ihrer Familie willen nicht. Wir hatten erst kürzlich die Freude, Ihren Bruder bei uns zu sehen.“
„Jawohl, ein einziges Mal,“ bestätigte der Consul. „Und auch da nur durch Zufall. Almbach scheint es mir nun einmal nicht vergeben zu können, daß meine Art zu leben von der seinigen abweicht. Er hält sich und die Seinigen absichtlich entfernt und hat uns schon seit Jahren den Besuch unseres Pathenkindes entzogen – wir wissen kaum mehr, wie Eleonore aussieht.“
„Die arme Eleonore!“ bemerkte Frau Erlau mitleidig. „Ich fürchte, sie ist verschüchtert durch eine allzustrenge Erziehung und eine allzuweit getriebene Abgeschlossenheit. Ich kenne sie nicht anders als scheu und still, und ich glaube, sie schlägt in Gegenwart Fremder niemals die Augen auf.“
„Doch, gnädige Frau,“ sagte Hugo mit ganz eigenthümlicher Betonung. „Sie thut es bisweilen, aber freilich zweifle ich daran, daß mein Bruder das je gesehen hat.“
„Ihr Bruder ist also nicht anwesend?“ fragte die Dame.
„Nein. Er verweigerte es, mich zu begleiten, ich begreife das nicht, da ich seine Begeisterung für die Musik und speciell für den Gesang der Biancona kenne. Mir soll ja heute zum ersten Male diese Sonne des Südens aufgehen, deren Strahlen bereits ganz H. blenden.“
Der Consul drohte ihm scherzend