Andern als mich besorgst. Wer hat es Dir denn aufgetragen?“
„Herr Reinhold,“ lautete die lakonische Antwort.
„Mein Bruder – so?“ sagte Hugo langsam, während ein Schatten über seine eben noch so hellen Züge hinflog.
„Und ein wahres Sündengeld soll ich dafür bezahlen,“ murrte Jonas weiter. „Herr Reinhold versteht es noch besser als wir, die Thaler fortzuwerfen für die Dinger, die morgen verwelkt sind. Und wir sind doch wenigstens nicht verheirathet, aber er –“
„Der Strauß ist jedenfalls für meine Schwägerin bestimmt,“ schnitt ihm der Capitain kurz das Wort ab. „Was giebt es dabei zu verwundern? Glaubst Du, ich werde meiner Frau keine Blumen schenken, wenn ich erst einmal verheirathet bin?“
Die letzte Bemerkung mußte dem Matrosen wohl sehr unerwartet kommen, denn er richtete sich mit einem Rucke in die Höhe und starrte seinen Herrn im vollsten Entsetzen an, aber schon in der nächsten Minute kehrte er beruhigt zu seiner früheren Haltung zurück und sagte zuversichtlich:
„Wir heirathen nie, Herr Capitain.“
„Ich verbitte mir dergleichen Orakelsprüche, die mich ohne Weiteres zur Ehelosigkeit verdammen,“ fiel Hugo ein. „Und warum werden ‚wir‘ denn nie heirathen?“
„Weil wir uns aus den Frauenzimmern gar nichts machen,“ beharrte Jonas.
„Du hast eine höchst wunderbare Manier, immer im Plural zu sprechen,“ spottete der Capitain. „Also ich mache mir nichts aus den Frauen? Ich dächte, das Gegentheil hätte oft genug Deinen Ingrimm erregt.“
„Aber zur Heirath kommt es doch nicht,“ triumphirte Jonas im Tone unerschütterlicher Ueberzeugung. „Im Grunde machen wir uns nicht so viel aus der ganzen Gesellschaft. Weiter als bis zum Blumenschicken und Handküssen geht die Geschichte nie, dann segeln wir ab, und sie haben das Nachsehen. Es ist auch ein wahres Glück, daß es so ist. Frauenzimmer auf der ,Ellida‘ – Gott bewahre uns davor!“
Diese mit unverwüstlichem Ernste, freilich auch wieder in dem unvermeidlichen Plural gegebene Charakteristik schien leider das Richtige getroffen zu haben, denn der Herr Capitain erhob nicht den geringsten Einwand dagegen. Er zuckte nur lachend die Achseln, drehte dem Matrosen den Rücken und stieg die Treppe hinauf. Er fand Reinhold in dessen eigener Wohnung, die im oberen Stocke lag, und ein einziger Blick auf das Gesicht des Bruders, der heftig im Zimmer auf und ab schritt, zeigte ihm, daß auch heute etwas vorgefallen sein müsse.
„Du willst ausgehen?“ fragte er nach der ersten Begrüßung mit einem Blicke auf den Hut und die Handschuhe, die auf dem Tische lagen.
„Später!“ antwortete Reinhold, sich zusammennehmend. „In einer Stunde etwa. Du bleibst doch einige Zeit?“
Hugo überhörte die letzte Frage. Er stand vor seinem Bruder und sah ihn forschend an.
„Hat es wieder eine Scene gegeben?“ fragte er halblaut.
Der finstere Trotz, der einige Minuten lang aus den Zügen des jungen Mannes gewichen war, kehrte wieder zurück.
„Gewiß. Man hat wieder einmal den Versuch gemacht, mich wie einen Schulknaben zu behandeln, der, wenn er sein tägliches Arbeitspensum geleistet, sich auch noch in den Erholungsstunden überwachen lassen und von jedem Gange Rechenschaft ablegen muß. Ich habe ihnen klar gemacht, daß ich dieser ewigen Bevormundungen müde bin.“
Der Capitain fragte nicht, um welchen Gang es sich bei diesem Streite handelte; das kurze Gespräch mit Jonas schien ihn hinreichend darüber aufgeklärt zu haben; er sagte nur kopfschüttelnd: „Es ist ein Unglück, daß Du so gänzlich abhängig von dem Onkel bist. Wenn es früher oder später zwischen Euch zum Bruche kommt und Du aus dem Geschäfte trittst, so ist das für Dich eine Existenzfrage; Dein ganzes Einkommen fällt damit. Du allein könntest Dich wohl zur Noth Deinen Compositionen anvertrauen, aber ihnen jetzt schon die Erhaltung einer Familie zumuthen, hieße Deine Zukunft von vornherein in Frage stellen. Ich hatte damals nur für mich allein einzustehen; Du wirst nothgedrungen warten müssen, bis Dich ein größeres Werk in die Lage versetzt, mit Frau und Kind der ganzen kleinbürgerlichen Sphäre den Rücken zu kehren.“
„Unmöglich!“ rief Reinhold beinahe ungestüm. „Bis dahin wäre ich zehnmal zu Grunde gegangen, und was ich an Talent besitze, mit mir. Ausharren, warten, vielleicht noch Jahre lang? Das kann ich nicht, das ist für mich gleichbedeutend mit Selbstvernichtung. Meine neue Arbeit ist vollendet. Wenn sie nur einigermaßen den Erfolg der ersten erreicht, so ermöglicht sie mir wenigstens, einige Monate in Italien zu leben.“
Hugo stutzte.
„Du willst nach Italien? Warum denn gerade dorthin?“ fragte der Capitain.
„Wohin denn sonst?“ warf Reinhold ungeduldig ein. „Italien ist die Schule jeder Kunst und jedes Künstlers. Dort allein kann ich das beschränkte und lückenhafte Studium ergänzen, zu dem die Verhältnisse mich zwangen. Begreifst Du das nicht?“
„Nein,“ sagte der Capitain ziemlich kühl. „Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein, daß ein Anfänger sogleich auf die hohe Schule muß. Du findest hier zum Studium Gelegenheit genug, und die meisten unserer Talente haben jahrelang ringen und arbeiten müssen, ehe Italien ihren Werken die letzte Weihe gab. – Gesetzt aber, Du führtest Deinen Plan aus, was soll inzwischen aus Deiner Frau und dem Kinde werden? Denkst Du sie mitzunehmen?“
„Ella?“ rief der junge Mann ist einem fast wegwerfenden Tone. „Das wäre das sicherste Mittel, mir jeden Aufschwung unmöglich zu machen. Denkst Du, ich werde beim ersten Schritt, den ich in die Freiheit hinaus thue, die ganze Kette der Häuslichkeitsmisère mit mir schleppen?“
Zwischen Hugo’s Augen wurde eine leichte Falte sichtbar. „Das klingt sehr hart, Reinhold,“ erwiderte er.
„Ist es meine Schuld, daß mir die Wahrheit endlich einmal zum Bewußtsein kommt?“ grollte Reinhold. „Meine Frau kann sich nun einmal nicht über die Küchen- und Wirthschaftssphäre erheben. Es ist nicht ihre Schuld, ich weiß es, aber es ist deshalb nicht weniger das Unglück meines Lebens.“
„Ella’s Beschränktheit scheint allerdings als eine Art Dogma in der Familie festzustehen,“ bemerkte der Capitain ruhig. „Du glaubst blindlings daran, wie all die Anderen. Habt Ihr Euch denn schon jemals die Mühe genommen, zu untersuchen, ob diese Annahme wirklich so unfehlbar ist?“
Reinhold zuckte die Achseln. „Ich glaube, das wäre in diesem Falle wohl überflüssig. In keinem Falle aber kann die Rede davon sein, daß ich Ella mit mir nehme. Sie bleibt mit dem Kinde natürlich hier im Hause ihrer Eltern, bis ich zurückkomme.“
„Bis Du zurückkommst – und wenn es nun nicht geschieht?“
„Was soll das heißen? Was meinst Du damit?“ fuhr der junge Mann auf, während eine dunkle Röthe über sein Gesicht hinflammte.
Hugo kreuzte seine Arme und sah ihn fest an. „Es fällt mir auf, daß Du jetzt auf einmal mit fertigen Plänen hervortrittst, die jedenfalls längst entworfen und auch wohl besprochen sind. Leugne nicht, Reinhold! Du allein wärst nie so in’s Extrem gegangen, wie Du es jetzt im Kampfe mit dem Onkel thust, ohne auf einen Rath oder eine Vorstellung zu hören; es ist da fremder Einfluß thätig. – Ist es wirklich unbedingt nothwendig, daß Du Tag für Tag zu der Biancona gehst?“
Reinhold gab keine Antwort; er wandte sich ab und entzog sich so der Beobachtung des Bruders.
„Man spricht bereits ist der Stadt davon,“ fuhr dieser fort. „Es kann nicht lange dauern, so dringt das Gerücht auch hierher. Ist Dir das wirklich ganz gleichgültig?“
„Signora Biancona studirt meine neue Composition ein,“ sagte Reinhold kurz, „und ich sehe in ihr nun einmal das Ideal einer Künstlerin. Du hast sie auch bewundert.“
„Bewundert, ja! Im Anfange wenigstens, angezogen hat sie mich nie. Die schöne Signora hat so etwas – Vampyrisches in ihren Augen. Ich fürchte, auf wen sich diese Augen richten, in der Absicht, ihn festzuhalten,