Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman


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und doch vergaßen die meisten sehr schnell, wenn sie wieder gesund waren. In einer Klinik konnte man nicht auf ewige Dankbarkeit und Anhänglichkeit rechnen. In einer Allgemeinpraxis wie bei Dr. Norden war das anders. Da waren die Kontakte zu den Patienten enger.

      »Nanu«, sagte Dr. Behnisch, den Jungen betrachtend, noch bevor er seinem Freund und Kollegen Daniel Norden die Hand reichte, »was ist denn mit dir passiert, Axel?«

      »Er ist mir vors Auto gerutscht«, sagte Daniel.

      »Ich habe nicht aufgepasst. Es hat so wahnsinnig gegossen, und dann der Sturm«, murmelte Axel. »Mir ist schlecht.«

      Er war grün im Gesicht. Dr. Behnisch winkte Schwester Dora herbei, der der Junge anscheinend auch bekannt war, denn sie sprach ihn nach kurzem Zögern ebenfalls mit seinem Vornamen an.

      »Ich möchte, dass er gründlich untersucht wird«, sagte Dr. Norden.

      »Machen wir«, nickte Dr. Behnisch. »Wird eine leichte Gehirnerschütterung haben. Schwester Dora nimmt ihn jetzt unter ihre Fittiche. Was dir auch alles passiert, Daniel!«

      »Heute wird noch mehr passieren, aber wenn ich an Fee denke, ist mir mulmig. Um ein Haar hätte es böse ausgehen können. Der Junge hat nicht rechts noch links geschaut und dazu seine Kapuze über das Gesicht gezogen.«

      »Er ist unkonzentriert, überfordert außerdem. Sein Vater ist Studiendirektor. Kurz vor der Pensionierung. Dr. Hartwig, und hart ist er auch. Hat spät geheiratet und eine bedeutend jüngere Frau. Sie ist ihrem Mann untertan.«

      Dr. Nordens Miene war immer nachdenklicher geworden. Den Schrecken hatte er überwunden. Was hätte geschehen können, war jetzt nicht mehr nachdenkenswert für ihn, da er schnell verstanden hatte, dass der Junge sich in einem seelischen Tief befand. Gedankenlos war er über die Straße gelaufen, und das entsetzliche Wetter hatte das Seine dazu beigetragen.

      »Wie alt ist der Junge?«, fragte er.

      »Müsste jetzt fast achtzehn sein und ist schon mal sitzen geblieben. Für seinen Vater ist das ein Tiefschlag. Er hatte vor acht Monaten eine schwere Magenoperation, ein sehr cholerischer Mann. Vom alten Schrot und Korn, mit wenig Verständnis für den Klinikbetrieb. Hat uns hübsch in Atem gehalten.«

      »Das klingt alles nicht so gut«, sagte Daniel nachdenklich. »Der Junge hat Angst, und andererseits ist ihm sein Leben ziemlich gleichgültig.«

      »Du meinst doch nicht, dass er dir mit Absicht ins Auto gelaufen ist?«, fragte Dr. Behnisch erschrocken.

      »Nicht so direkt. Er war geistig weggetreten, aber er hat auch gesagt, es sei ihm wurscht, wenn er tot wäre. Dann sagte er noch, dass er in der Schule nicht zurechtkommt. Ich hätte ihn für jünger gehalten.«

      »Er kann sich nicht frei entfalten«, sagte Dr. Behnisch. »Wir haben hier ein paarmal erlebt, wie er von seinem Vater angebrüllt wurde. Ich werde mit ihm sprechen.«

      »Das möchte ich auch«, sagte Daniel.

      »Eigentlich wollte ich mit dir über Martina Rittberg sprechen«, sagte Dr. Behnisch.

      »Martina Rittberg? Ach, richtig, du meinst Schwester Claudias kleine Schwester?«

      Schwester Claudia war erst ein paar Wochen an der Frauenklinik bei Dr. Leitner tätig, aber Georg Leitners Freunde kannten sie schon besser als jede andere der Krankenschwestern.

      Von Schwester Claudia wusste man nun auch den Nachnamen. Es hatte überhaupt eine besondere Bewandtnis mit ihr, und nicht nur deshalb, weil Fee Norden sich schon ganz eigene Gedanken um sie gemacht hatte, als sie Schwester Claudia zum ersten Mal kennenlernte.

      Eine sehr lange Freundschaft, schon seit der Universitätszeit, bestand zwischen Dr. Norden, Dr. Behnisch und Dr. Leitner. Grundverschieden im Naturell, waren sie doch ein Dreigespann, wie man es sich unter Ärzten besser nicht vorstellen konnte. Daniel, der Arzt für Allgemeinmedizin, Dieter Behnisch, der Chirurg und der Frauenarzt Dr. Georg Leitner, genannt Schorsch, konnten beispielgebend in ihrer Zusammenarbeit für ihren Berufsstand sein.

      Sie hatten sich auf der Uni gesucht und gefunden, wie sie so manches Mal feststellten. Jetzt war jeder auf seinem Gebiet ein gestandener Arzt mit großer Erfahrung und doch nicht von jener Überheblichkeit, die so oft herber Kritik ausgesetzt wurde.

      Sie halfen sich gegenseitig, wann immer Zweifel bei dem einen oder dem anderen aufkamen. Sie waren Freunde im besten Sinne des Wortes.

      Daniel Norden und Dieter Behnisch waren mittlerweile glücklich verheiratet, Georg Leitner dagegen immer noch ein Einzelgänger. Er hätte kein Glück bei den Frauen, war seine Ansicht. Es wäre ihm einfach noch nicht die Richtige begegnet, meinte dagegen Fee Norden, die ihm gar zu gern auch zu privatem Glück verholfen hätte.

      Sie hatte auch sofort die äußeren Vorzüge der jungen Schwester Claudia zur Kenntnis genommen. Dr. Leitner dagegen schätzte nur die berufliche Qualifikation Claudias, bis sie sich dann in einem sehr schwierigen Konflikt Hilfe suchend an ihn gewandt hatte.

      Ihre um zehn Jahre jüngere Schwester Martina, die in einem Internat aufwuchs, war schwer krank. Man sah sich deswegen außerstande, Martina weiterhin in diesem Internat zu behalten, in das sie gebracht worden war, als ihre Eltern unter tragischen Umständen vor zwei Jahren verstorben waren.

      Von diesen tragischen Umständen wusste noch niemand von den Freunden etwas, als Schwester Claudia ihren Chef um Hilfe ersuchte, aber Dr. Leitner hatte sofort dafür gesorgt, dass Martina in die Behnisch-Klinik gebracht wurde. Seit drei Tagen lag sie hier abgeschirmt auf der Intensivstation.

      »Ich brauche deinen Rat, Daniel«, sagte Dr. Behnisch. »Selbst Jenny kann keine Diagnose stellen.«

      Dass Jenny Lenz Dr. Dieter Behnischs Frau geworden war, war eigentlich auch Daniels und Fee Nordens Verdienst. Daniel hatte Dr. Jenny Lenz seinem Freund als Assistenzärztin vermittelt, Fee hatte diplomatisch dafür gesorgt, dass sie sich auch menschlich näherkamen. Auch sie hatten sich wohl gesucht und gefunden. Zwei Menschen wie Daniel und Fee, mit den gleichen Interessen und mit der Bereitschaft, helfen und heilen zu wollen. Jenny hatte ihre Erfahrungen in einem Urwaldlazarett gesammelt.

      Daniel Norden blickte seinen Freund Dieter jetzt forschend an.

      »Und wenn Jenny keinen Rat mehr weiß, meinst du, dass ich einen wüsste?«, fragte er.

      »Ich bin Chirurg, Daniel«, sagte Dieter Behnisch. »Jeden Tag stehe ich am Operationstisch, aber du kennst die Patienten in- und auswendig. Das Mädchen ist sehr krank, aber es ist keinesfalls eine Infektionskrankheit. Der Ausschlag ist schlimm, aber es sind keine Pocken, wie sie in dem Internat gedacht hatten. Und aus ihr bringt man einfach nichts heraus. Ich habe Schorsch schon angerufen, damit er Claudia ausfragt, aber ich möchte unabhängig davon auch deine Diagnose hören.«

      Es klopfte, Schwester Dora kam. »Axel ist jetzt wieder soweit okay«, sagte sie. »Er hat fürchterliche Angst, weil er Dr. Norden in eine so prekäre Situation gebracht hat.« Sie sah Dr. Norden flehend an.

      »Werden Sie Ersatzansprüche geltend machen bei seinem Vater?«, fragte sie.

      »Wofür denn?«, fragte Daniel.

      Schwester Doras Gesicht entspannte sich. »Der Junge zittert vor Angst, weil er den Unfall verschuldet hat und Ihren Wagen beschmutzte.«

      »Die Angst werde ich ihm schon ausreden«, erwiderte Daniel. »Kann man mit ihm reden?«

      »Behutsam«, sagte Schwester Dora. »Er ist gut davongekommen. Mächtig übergeben hat er sich. Er hatte was getrunken. Aber halten Sie ihm das bitte nicht vor. Er hat in Latein wieder mal ’nen Sechser geschrieben und traute sich nicht nach Hause. – Diese Eltern«, fügte sie mit einem schweren Seufzer hinzu.

      »Das Wetter, die Stimmung, wie leicht kann es da zu einer Kurzschlusshandlung kommen«, sagte Daniel.

      »Und dann kein Verständnis im Elternhaus«, warf Dr. Behnisch ein. »Der Junge möchte so gern Kunsttischler werden.«

      »Er schnitzt wunderschön«, sagte Schwester Dora. »Er brachte damals seinem Vater ein Relief