Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman


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Stimme vernahm. Nie kam sie ihm mit Nichtigkeiten, nie beklagte sie sich, wenn er lange ausblieb. Alles wurde leichter durch ihr Verständnis und ihre Anteilnahme an seinem Beruf, der auch der ihre gewesen war, bis sie seine Frau wurde.

      Es war keine leichte Entscheidung für sie gewesen, ganz auf diesen Beruf zu verzichten, den sie mit dem gleichen Enthusiasmus gewählt hatte wie er auch. Aber eines Tages hatte sie sich dann doch nur für ihn, ihren Mann, und für ihren kleinen Sohn Danny entschieden. Nun, da die Familie noch größer werden sollte, blieb keine Zeit mehr, ihm in der Praxis zu helfen.

      Gut, sie hatten die zuverlässige und resolute Lenni, die den Haushalt bestens führte, aber die Erziehung ihrer Kinder wollte Fee doch nicht aus der Hand geben.

      Manchmal kamen Daniel gelinde Zweifel, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn er mit seinem Schwiegervater gemeinsam die Leitung des Sanatoriums »Insel der Hoffnung« übernommen hätte. Schließlich war dieses Sanatorium von seinem Vater erträumt und geplant worden, und er hatte die Erfüllung dieses Traumes, die Verwirklichung seiner Pläne nicht mehr erlebt.

      Dann aber hatte Daniel sich doch für seine Praxis entschieden, mit der er in den Jahren verwachsen war, an der er auch gewachsen und zu einem Arzt geworden war wie einst sein Vater. Der Mensch als Ganzes war ihm wichtig, nicht nur Teile seines Körpers, nicht nur Organe oder Symptome. Allwissend konnte niemand sein. Natürlich musste es Fachärzte geben, Chirurgen, Gynäkologen, Internisten und was es sonst noch an Spezialgebieten gab, aber wie würde denn die Zukunft der Menschheit aussehen, wenn man nicht mehr seinen Hausarzt hatte, den man rufen konnte?

      Fee wusste, warum er so an seiner Praxis hing. Die meisten seiner Patienten kannte er seit Jahren, und all ihre großen und kleinen Sorgen kannte er auch. Von manchen hatte er Abschied nehmen müssen für immer, andere kamen neu hinzu, und jeder trug sein eigenes Schicksal mit sich, auch schon die jungen Menschen, wie Axel Hartwig und Martina Rittberg.

      Mit sehr gemischten Gefühlen läutete Dr. Norden an der Wohnungstür des Studiendirektors Dr. Wilhelm Hartwig. Eine schlanke blasse Frau öffnete ihm.

      »Frau Hartwig?«, fragte er.

      Sie nickte. In ihren Augen war ein ängstlicher Ausdruck. Eine harte Stimme schallte durch die Diele: »Wer ist da?«

      Frau Hartwig zuckte zusammen. »Mein Name ist Norden, Dr. Norden. Ich bin Arzt«, sagte Daniel rasch.

      Sie griff an ihre Kehle. »Axel? Was ist mit ihm?«, stieß sie hervor, und da erschien der Hausherr auch schon persönlich. Er war mittelgroß und hager, hatte schütteres graues Haar und stahlblaue Augen, deren Blick ein Frösteln über Daniels Rücken kriechen ließ.

      »Ihr Sohn hatte einen kleinen Unfall«, erklärte Daniel. »Er ist jetzt in der Behnisch-Klinik.«

      »Hat er sich etwas angetan?«, fragte Frau Hartwig bebend.

      »So ein Unsinn«, warf ihr Mann ein. »Warum sollte er sich etwas antun? Er wird mal wieder gedankenlos gewesen sein. Wann hat er schon seine Gedanken beisammen.«

      »Er ist auf der Straße gestürzt«, sagte Daniel. »Bei diesem Sturm passiert so manches.«

      Es fiel ihm schwer, überhaupt etwas zu sagen. Am liebsten wäre er auf dem Absatz umgekehrt, denn nun erging sich Dr. Hartwig in sarkastischen Bemerkungen über seinen lebensuntüchtigen Sohn, von dem er immer nur enttäuscht worden sei.

      »Wilhelm, ich bitte dich«, versuchte seine Frau nun einzulenken, aber er warf ihr nur einen ganz vernichtenden Blick zu, der sie auch sogleich wieder verstummen ließ.

      Diese Jugend tauge überhaupt nichts mehr, sagte Dr. Hartwig, ihr fehle es an Zucht und Ordnung, und zu seiner Zeit hatte es das überhaupt nicht gegeben, was heute so in den Schulen getrieben würde.

      Ja, was sollte Daniel da noch sagen? Er machte wenigstens einen Versuch.

      »Vielleicht sollten Sie auf die Interessen Ihres Sohnes etwas mehr eingehen. Immerhin könnte dies nur zu seinem Vorteil sein, wenn seine Fähigkeiten gefördert würden.«

      Aber da kam er bei Dr. Hartwig schlecht an. »Ach, mein Herr Sohn hat sich wohl wieder mal beschwert«, ereiferte er sich. »Dieser dumme Junge. Faul ist er, und begreifen will er nicht, dass wir nur sein Bestes wollen. Seine Spinnereien bringen ihm doch nichts ein. Was wird man denn heutzutage schon ohne Studium? Hilfsarbeiter, nichts weiter.«

      »Nun, ganz so ist es wohl auch nicht«, sagte Daniel energisch. »Viele junge Menschen bringen es auch ohne Studium zu etwas.«

      »Mir als Studiendirektor muss das widerfahren«, sagte Dr. Hartwig zornig. »So blamiert werde ich von meinem eigenen Sohn. Hunderte von Schülern habe ich zum Abitur gebracht und …«

      »Manch einer wird es auch nicht geschafft haben«, fiel ihm Daniel unwillig ins Wort. »Ich habe auch mal auf der Schulbank gesessen, und in manchen Fächern hatte ich durchaus keine überwältigenden Noten. Aber ich bin nicht gekommen, um darüber mit Ihnen zu diskutieren. Ich wollte Ihnen nur sagen, wo Sie Axel finden können, um Sie aller Sorgen zu entheben. Guten Abend.«

      Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, aber draußen hörte er noch, wie Dr. Hartwig wütend sagte: »Das ist wieder ein neuer Trick von deinem Sohn, sich vor der Schule drücken zu wollen, Luise.« Und dann hörte er Frau Hartwig laut aufweinen.

      Aber was konnte er hier ausrichten? Mit diesem Mann konnte man nicht vernünftig sprechen, wenigstens jetzt nicht. Daniel wusste nur zu gut, dass es viele solcher Väter gab, die sich an ihre eigene Jugend nicht mehr erinnern konnten oder wollten, oder die nie richtig jung gewesen waren.

      Daniel dachte auch an seinen Vater, diesen sehr gütigen, verständnisvollen Mann, der als einzige Mahnung nur gesagt hatte: Du weißt, welchen Beruf du ergreifen willst, Daniel, und wenn du dir dieses Ziel vor Augen hältst, wirst du es auch schaffen. Er hatte es geschafft, weil so manche schlechte Benotung mit einer Aufmunterung zur Kenntnis genommen wurde, weil zweimal die Bemerkung, dass seine Versetzung wegen Mathematik und Französisch gefährdet sei, von seinem Vater mit einem leichten Stirnrunzeln gelesen wurde. »Dann musst du eben länger die Schulbank drücken, wenn du Arzt werden willst«, hatte er gesagt. Aber hatte auch hinzugefügt, dass diese beiden Fächer wohl nicht ausschlaggebend dafür wären, dass aus ihm doch ein guter Arzt werden könne.

      Nein, ein Genie war er nicht gerade gewesen in den schwierigen Jahren zwischen vierzehn und sechzehn, aber dann hatte es bei ihm plötzlich geschnackelt, wie auch sein Vater wohlwollend feststellte. Aber unter dem ständigen Zwang, hinter dem Axel Hartwig die Schulzeit verbringen musste und in dauernder Angst gerügt zu werden, konnte sich ein junger Mensch nicht entfalten.

      Guter Gott, wie viele Kinder brachten sich um, wie viele liefen von daheim weg, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen waren, die an sie gestellt wurden. Junge, gesunde Menschen, die mit Güte und Verständnis wohl doch ihren Weg gefunden hätten, wenn sie sich in dem Augenblick allertiefster Verzweiflung nicht allein gelassen gefühlt hätten. Gab es denn etwas Schlimmeres als die Einsamkeit in tiefster Herzensnot? Wie wenige Menschen hatten denn schon die Kraft, mit allen Nöten fertig zu werden?

      Nichts an Leid war Dr. Daniel Norden unbekannt geblieben, und manches Mal gab es auch Situationen, in denen er deprimiert war, weil er nicht mehr und nicht besser zu helfen vermochte. Aber er hatte seine Frau, die ihm alles war, Geliebte, Freundin, Gefährtin in allen Lebenslagen. Er war glücklich, als er Fee wieder in die Arme nehmen konnte.

      »Es war ein langer Tag, Liebster«, sagte sie und küsste ihn zärtlich.

      »Ein stürmischer«, sagte er.

      »Man konnte es schon ein bisschen mit der Angst kriegen.« Wie viel Angst sie insgeheim wirklich um ihn gehabt hatte, zeigte sie nicht. Jetzt war er bei ihr. Der Sturm hatte sich gelegt. Der Regen klatschte noch immer an die Fenster, aber wohlige Wärme umfing sie und ein einladend gedeckter Tisch erwartete den geplagten Doktor.

      Fee aß so spät nicht mehr. Es bekam ihr nicht. Sie musste nun ohnehin ein ganz hübsches Gewicht mit sich herumtragen. Doch ihr Gesicht hatte sich nicht verändert. Zart und schön war es wie das einer Madonna, von dem seidigen silberblonden Haar umflossen,