Daphne Niko

DAS RÄTSEL SALOMONS


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sie war sicher, es wäre auch nicht das letzte Mal.

      Sarah lief zur Kochhütte, wo sie Daniel beim Durchwühlen der Verpflegung fand. »Was geht hier vor sich, Danny? Die ganze Crew ist krank geworden.«

      Er hatte den Kiefer angespannt. »Ich weiß. Mir geht es auch nicht so besonders. Es muss am Essen liegen. Irgendwas, das wir gestern Abend oder heute Morgen gegessen haben, muss verdorben gewesen sein.«

      »Es muss das Frühstück gewesen sein«, sagte sie. »Ich hab heute Morgen nichts gegessen und mir geht’s gut.«

      »Wir hatten nur gegrillten Käse, Oliven und Fladenbrot.« Er untersuchte die Brotstapel auf Anzeichen von Schimmel, fand aber nichts. Er öffnete den Käsebottich im Kühlschrank und roch daran. »Ich kann nichts Verkehrtes daran finden.«

      »Versuch's mit den Gewürzen.«

      Die Köche pinselten das Brot gerne mit Olivenöl ein und streuten dann eine Gewürzmischung – sie nannten sie das ›Rezept ihrer Mutter‹ – darauf, bevor sie es in der heißen Pfanne scharf anbrieten. Daniel schüttete den Inhalt der Gewürzdose auf den Tisch und nahm etwas des Puders mit seinen Fingern auf. Er roch daran, dann probierte er es. »Das ist seltsam. Riecht irgendwie scharf, fast wie Farbe.«

      Auch Sarah roch daran und drehte angewidert ihr Gesicht zur Seite. »Das ist keine Farbe. Das ist ein Pestizid. Das riecht genau wie das Pulver, das wir zur Kontrolle der Sandratten eingesetzt haben.«

      Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über Daniels Gesicht. Er überprüfte den Schrank, in dem das Rattengift normalerweise aufbewahrt wurde. Er zog die Schachtel heraus und schüttelte sie. »Großer Gott. Das Ding ist leer. Ich selbst habe sie erst vor zwei Tagen aufgemacht.«

      Sarah half ihm, die Gewürzmischung vom Tisch zu fegen und in den Müll zu werfen. Sie sah ihm dabei zu, wie er den Rest der Verpflegung durchging, um sicherzustellen, dass sonst nichts kontaminiert war.

      »Warum werfen wir nicht einfach alles weg?«, fragte sie. »Wir können jetzt sofort nach Al Khamasin fahren und neue Vorräte kaufen – und Medizin.«

      Er stieß ein gezwungenes Lachen aus. »Jetzt weiß ich, warum es heißt, dass vier Augen mehr sehen als zwei. Du hast recht, Sarah. Keine Ahnung, warum mir das nicht eingefallen ist. Bin zu aufgewühlt, schätze ich.« Er suchte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel für den Rover. »Würde es dir was ausmachen, zu gehen? Ich würde gerne bei den Jungs bleiben und sicherstellen, dass alle okay sind. Das Problem ist nur, ich weiß nicht, ob es irgendjemandem gut genug geht, um dich zu fahren.«

      Dies war einer der frustrierenden Aspekte des Lebens in Saudi-Arabien: Frauen war es nicht gestattet, Auto zu fahren. In den Wüsten und ländlichen Gegenden allerdings, wo die Straßen bei Weitem nicht so sehr mit Männern überfüllt waren, war diese Regel gelockert. Die Landpolizei drückte in Notsituationen bei Frauen am Steuer ein Auge zu – solange sie hinreichend verschleiert waren. Dies hier war sicherlich Notsituation genug.

      Sie streckte die Hand aus. »Ich werd's riskieren.«

      Widerwillig gab er ihr den Schlüssel. »Sei vorsichtig.«

      »Natürlich.« Sie sah ihm tief in die Augen. Hinter dem Schleier aus Erschöpfung und Krankheit waren sie stumpf. »Danny …«

      »Ich weiß, was du sagen willst.«

      »Tatsächlich?«

      »Du glaubst, das Ganze ist ein wenig merkwürdig. Erst die Käfer und jetzt das hier.«

      »Es sieht einfach nicht nach Zufall aus.«

      »Ich weiß, das tut es nicht, Sarah, aber wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen. Noch nicht. Ich muss glauben, dass das ein Unfall war, solange ich nicht das Gegenteil beweisen kann.«

      »Ich glaube außerdem …«

      »Dass es etwas mit der Schriftrolle zu tun hat.«

      »Genau.«

      »Wir werden uns später damit auseinandersetzen müssen. Im Moment habe ich einen ziemlichen Schlamassel am Hals. Und du hast eine Einkaufstour zu machen.«

      Sie wandte sich zum Gehen.

      »Vergiss nicht, mir eine Kiste Whisky mitzubringen.«

      Sie lächelte. »Ungläubiger. Zehn Peitschenhiebe allein fürs Aussprechen.«

      Als Sarah Al Khamasin verließ, das etwa hundertfünfundvierzig Kilometer von der Ausgrabung entfernt lag, war die Nacht hereingebrochen. Die Straße nach Süden in Richtung al-Fau war fast verlassen und nur spärlich beleuchtet, und Sarah musste sich anstrengen, um sich aufs Fahren zu konzentrieren. Ihr Kopf war schwer und ihre Augen brannten von der trockenen Luft und dem Schlafmangel. Sie schaltete das Radio ein und wählte einen Sender, der saudischen Rock 'n' Roll spielte, eine Mischung aus westlichen Gitarrenriffs und traditioneller Percussion des Nahen Ostens. Er unterbrach die Monotonie und hielt sie wach.

      Als sie noch zwanzig Minuten vom Lager entfernt war, versuchte sie, Daniel anzurufen, doch er nahm nicht ab. Sie hinterließ keine Nachricht.

      Zehn Minuten später wählte sie seine Nummer noch einmal und erreichte die Mailbox. Er trug sein Handy immer bei sich und wusste, dass sie sich melden würde. Sie erinnerte sich daran, dass er gesagt hatte er, fühle sich nicht gut, wie alle anderen auch. War es ihm zwischenzeitlich schlechter ergangen? Sie trat aufs Gaspedal. Sie wollte es nur noch sicher zum Lager zurückschaffen, sich davon überzeugen, dass alle okay waren, die Nacht hindurch fest schlafen und diesen Tag hinter sich lassen.

      Als sie sich dem Camp näherte, sah sie eine Wolke über den Gipfeln des Tuwaiq aufsteigen. Sie hatte eine seltsame goldene Färbung und waberte gemächlich zum tiefblauen Himmel hinauf. Verdammter Sandsturm, dachte sie. Das fehlt uns gerade noch. Sorge flammte in ihrer Magengrube auf. Die meisten Crewmitglieder waren zu kraftlos, um Schutz vor einem aufkommenden Sand-Tsunami zu suchen.

      Sie versuchte es wieder bei Daniel. Keine Antwort. Goldene Lichtschimmer durchzuckten die Wolke über den abgeflachten Gipfeln des Steilhangs.

      »Nein. Unmöglich.«

      Sie trat das Gaspedal durch, aber der schwer mit Vorräten beladene Rover rumpelte nur schleppend vorwärts. Die wenigen Augenblicke, die sie brauchte, um die Kurve zu nehmen, kamen ihr ewig vor.

      Sobald das Qaryat-al-Fau-Gelände in voller Sicht war, bestätigten sich ihre schlimmsten Ängste. Zuerst roch sie den Rauch: dick, durchdringend und ätzend wie von Benzin.

      Dann sah sie die Flammen. Große Feuerzungen verschlangen den Transferbus und streckten sich nach den naheliegenden Gebäuden aus. Die Krankenstation loderte.

      Sarah verließ die Straße und schaltete den Motor unvermittelt ab. Das Fahrzeug machte einen Satz und knurrte. Sie rannte aufs Feuer zu. Ihr Hidschab fiel herunter und ihre unbedeckten Haare peitschten ihr ums Gesicht.

      Je kürzer die Entfernung zum Lager wurde, desto grauenvoller wurde der Anblick. Männer rannten aus Gebäuden wie angegriffene Ameisen. Einer von ihnen – sie konnte nicht sagen, wer – stürzte sich zu Boden, um die Flammen zu ersticken, die ihn einhüllten. Der Rauch trug seine wahnsinnigen Schreie windabwärts. Diese Männer waren ihre Arbeitskollegen. Zu sehen, wie ihnen Leid geschah, presste ihr einen Schrei in die Kehle.

      Das war kein Unfall. Die Skarabäen und die Vergiftung waren keine Unfälle. Dies war nicht die Tat einer höheren Macht. Was als Reihe von Drohungen begonnen hatte, war nun zu einem ausgewachsenen Angriff geworden.

      Sarah rannte schneller. Adrenalin ersetzte ihre Angst, während sie direkt auf den Schlund des Höllenbiests zuhielt. Daniel war irgendwo da draußen und sie würde nicht weichen, ehe sie nicht bestimmt wusste, dass er in Sicherheit war. Sie war jetzt nah – nah genug, um die glühende Hitze der Flammenwand zu spüren, die das Camp wie ein von der Kette gelassenes, bluthungriges Raubtier angriff. Ihre Haut brannte mit der Intensität eines tödlichen tropischen Fiebers, während das Feuer überall um sie herum in großen, kupferfarbenen Strudeln wütete. Sie hielt an, unfähig weiterzugehen, und sah sich panisch nach einer Spur von ihm um.

      »Danny«,