ühlhäuser
Eroberungen
Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH
Mittelweg 36
20148 Hamburg
© E-Book 2012 by Hamburger Edition
ISBN 978-3-86854-544-9
© der Printausgabe 2010 by Hamburger Edition
ISBN 978-3-86854-220-2
Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras
Karte: Peter Palm, Berlin
Einleitung
Otto Pauls war als junger Mann in den Sowjetunion stationiert. Im Interview mit dem Dokumentarfilmer Hartmut Kaminski erklärt er, so mancher deutsche Soldat habe in jedem Ort» eine Braut «gehabt:»Von wegen dass die Soldaten sich so schweinisch benommen haben, vergewaltigt haben. Ich habe so etwas nie gesehen. Brauchten wir gar nicht. Die Ukraine hat uns mit offenen Armen empfangen.«[1] Pauls blickt insgesamt durchaus selbstkritisch auf seine Vergangenheit und die Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion zurück, daher sticht umso mehr ins Auge, dass er die Kontakte zu einheimischen Frauen lediglich als harmlosen, jenseits der eigentlichen Kriegshandlungen liegenden Nebenschauplatz beschreibt. Hier spiegelt sich das bis heute weitverbreitete Bild, demzufolge die militärische Eroberung eines Territoriums quasi selbstverständlich mit der sexuellen Eroberung einheimischer Frauen einhergeht.[2] In dem vorliegenden Buch möchte ich der Frage nachgehen, auf welche Realität sich solche romantisierenden Eroberungsnarrative gründen.
Grundsätzlich scheint es so trivial wie zutreffend zu sein: Das Auftreten der deutschen Männer gegenüber der einheimischen Bevölkerung in der Sowjetunion war von ihren jeweiligen körperlichen und sexuellen Erfahrungen, Selbstwahrnehmungen und Normen geprägt. Viele erhofften sich von dem Freiraum, den der Krieg ihnen fern der Heimat bot, die Gelegenheit zu sexuellen Eskapaden; viele sehnten sich nach zwischenmenschlichen Begegnungen und Nähe. Beides gilt für die erste Phase des Krieges, als die Männer den Feldzug oft noch ungebrochen als Abenteuer empfanden, ebenso wie für spätere Perioden, als das deutsche Militär zurückgedrängt wurde und Angst und Verzweiflung unter den Soldaten zunahmen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Frage, ob und wie Angehörige von Wehrmacht, SS und zivilen Besatzungsbehörden in der Begegnung mit einheimischen Frauen Sexualität lebten.[3] Zu welchen Formen heterosexueller Zusammentreffen kam es während des Krieges, der Besatzung und im Zuge der» Endlösung«? Welche Rolle spielten dabei geschlechtsspezifische Erfahrungen und Deutungsmuster aus der Vorkriegszeit? Und auf welche Weise waren die sexuellen Aktivitäten der deutschen Männer im Besatzungsgebiet mit der spezifischen Eskalation und Entgrenzung von Gewalt im Kontext der deutschen Kriegführung in der Sowjetunion verknüpft? Der für diese Untersuchung zentrale Begriff der sexuellen Zusammentreffen ist dem in der englischsprachigen Literatur verbreiteten Ausdruck sexual encounters entlehnt und umfasst das ganze Spektrum sexueller Kontakte von zwei oder mehreren Personen: das Erzwingen von Nacktheit, unterschiedliche Formen sexueller Folter, Vergewaltigung und sexueller Versklavung ebenso wie sexuellen Tauschhandel, gewerbliche Prostitution, einvernehmliche Affären und romantische Verhältnisse. Dabei betont das Wort Zusammentreffen die unterschiedlichen Momente des Aufeinanderprallens: von Männern und Frauen, von Macht und Ohnmacht, von unterschiedlichen Kulturen und Positionen.[4]
Bei der Beschäftigung mit diesem Thema wird rasch deutlich, dass das Handeln der Soldaten keineswegs, wie Otto Pauls es darstellt, jenseits der Kriegshandlungen lag: Sexualität kam zum einen in Verbindung mit kriegerischen Gewaltakten zum Ausdruck, zum anderen prägte die alltägliche Präsenz von Gewalt auch die Begegnungen der Männer mit einheimischen Frauen, und zwar bis hinein in die einvernehmlichen Verhältnisse, die Verlobungen und Ehen. Die Führungen von Wehrmacht und SS rechneten mit solchen sexuellen Zusammentreffen und den daraus resultierenden, sowohl positiv als auch negativ bewerteten Auswirkungen: auf die Gesundheit der Truppe, die Stimmung der Soldaten, die Kohäsion der Einheiten. Letztlich ging es dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW), dem Oberkommando des Heeres (OKH) und dem Persönlichen Stab Reichsführer-SS (RF-SS) um den jeweiligen Nutzen oder Schaden sexueller Aktivitäten für die Kriegführung.
Die Bedeutung sexueller Zusammentreffen während des Krieges und der Besatzung in der ehemaligen Sowjetunion erschließt sich also nicht, wenn lediglich das Handeln und die Deutungsmuster der Soldaten in den Blick genommen werden. Vielmehr gilt es, beides im Kontext der militärischen Institutionen, der deutschen Gesamtgesellschaft und der Reaktionen in den besetzten Ländern zu betrachten. Der zweite Komplex dieser Untersuchung widmet sich daher der Frage, wie die Führungen von Wehrmacht und SS vorgingen, um die sexuellen Aktivitäten der Soldaten unter Kontrolle zu behalten. Welche Vorstellungen von Männlichkeit und Sexualität lagen den Maßnahmen zugrunde? Welche Rolle spielte der Bezug auf die Heimatfront für die Kontrolle der Soldaten? Und welche neuen Praktiken und Sexualitätsvorstellungen brachten die Eingriffe der Militärführung hervor?
Die Forschung zu sexueller Gewalt in kriegerischen Konflikten, die sich in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt hat,[5] zeigt, dass die Kommunikation zwischen Armeeführung, Offizieren, kleinen Einheiten und einfachen Rekruten genau zu untersuchen ist – können sexuelle Gewaltakte doch sowohl Ausdruck der Missachtung von Verhaltensregeln und disziplinarischen Vorgaben durch die einfachen Soldaten als auch Teil einer militärischen Strategie sein.[6] Deutlich geworden ist zudem, dass sexuelle Gewalttaten in Kriegs- und Krisengebieten nicht nur die jeweiligen Opfer treffen. Durch sexuelle Gewalt wird das gesamte gesellschaftliche Gefüge des Gegners nachhaltig angegriffen und zerstört.[7] Auch die militärische Organisation von Prostitution sowie einvernehmliche Verhältnisse zwischen Besatzungssoldaten und einheimischen Frauen ziehen kurz- wie längerfristige Folgen nach sich.[8] In dem vorliegenden Band setze ich mich zwar nur begrenzt mit den Auswirkungen solcher Zusammentreffen für die betroffenen Frauen und die jeweiligen Gesellschaften in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion auseinander. Durch die Dokumentation von Zeuginnen- und Zeugenaussagen kommt diese Ebene gleichwohl zur Sprache.
Ende 1942 gerieten auch die Kinder, die bei sexuellen Zusammentreffen von deutschen Männern und einheimischen Frauen» im Osten«[9] gezeugt wurden, ins Blickfeld der deutschen Behörden. Wie viele es waren, blieb bis zum Ende des Krieges ungewiss, die Beteiligten bezweifelten aber nicht, dass ihre Anzahl substanziell sein müsste. Umstritten war indes der potentielle Wert dieser Kinder für die» deutsche Volksgemeinschaft«. Im letzten Kapitel dieses Buches wird insofern nachgezeichnet, wie sich die militärischen und zivilen Besatzungsbehörden dazu verhielten. Wie stellten sie sich die Zukunft der» Soldatenkinder «vor?
Im Vordergrund dieser Studie steht nicht der Anspruch, ein erschöpfendes Bild der sexuellen Zusammentreffen, der militärischen Regulierungsmaßnahmen oder des Umgangs mit den Kindern zu zeichnen, das für alle Gebiete gleichermaßen gültig wäre. Dazu sind Detail- und Lokalstudien vonnöten, die in diesem Rahmen nicht geleistet werden konnten. Mich interessiert stattdessen zweierlei: Zum einen möchte ich durch die Präsentation und Zusammenstellung von Quellen ganz unterschiedlicher Art die Vielschichtigkeit des Phänomens mit seinen jeweiligen Wechselwirkungen deutlich machen. Aus diesem Grund habe ich mich auch entschieden, die gesamte Bandbreite sexueller Kontakte – von sexueller Gewalt über sexuelle Tauschgeschäfte bis hin zu einvernehmlichen Beziehungen und den daraus hervorgegangenen Kindern – in die Betrachtung einzubeziehen. Zum anderen geht es mir um die Entschlüsselung und theoretische Deutung der Quellen im Sinne der Foucaultschen Erkenntnis, dass sexuelle Vorstellungen und Praktiken nichts Gegebenes, Festes, Biologisch-Invariables