Regina Muhlhauser

Eroberungen


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die Verfolgung der Frauen weitgehend der einheimischen Polizei überließen.[66] Die ersten Ergebnisse einer Studie zu Wehrmachtsbordellen in den Niederlanden deuten darauf hin, dass die Wehrmacht hier – ähnlich wie in Frankreich, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß – vor allem auf bestehende Prostitutionsstrukturen zurückgriff, um militärisch kontrollierte Bordelle einzurichten.[67] Max Plassmann betont zudem die Flexibilität der Wehrmacht: Die Bordelle seien nicht nach einem einheitlichen Plan, sondern unbürokratisch, je nach den Bedarfsmeldungen der örtlichen Besatzungsverwaltung oder der Truppenführer, eingerichtet worden.[68] Nach Meinen war das Vorgehen der Wehrmachtsführung längerfristig allerdings darauf angelegt, einen standardisierten Bordellbetrieb für deutsche Soldaten in ganz Europa zu etablieren.[69]

      Dass deutsche Soldaten und SS-Männer in den besetzten Gebieten auch längerfristige Beziehungen suchten, thematisierte 1994 erstmals ausführlich die Historikerin Anette Warring in ihrem Buch» Tyskerpiger— under besættelse og retsopgør«.[70] Dabei erforschte sie nicht nur konkrete Verhältnisse von Besatzern und Besetzten, sondern zeigte überdies, wie die Frauen nach Kriegsende im kollektiven Gedächtnis zu Verräterinnen gemacht und ausgegrenzt wurden, um die dänische Gesellschaft symbolisch zu» reinigen«. Auch die Journalistin Ebba Drolshagen hebt in ihrem Buch» Nicht ungeschoren davonkommen. Die Geliebten der Wehrmachtssoldaten im besetzten Europa «hervor, auf welche Weise die betroffenen Frauen Strafaktionen ausgesetzt waren.[71] Ihre Studie konzentriert sich allerdings vor allem auf die besetzten Länder in Nord- und Westeuropa. Dass es auch in Osteuropa zu einvernehmlichen Verhältnissen zwischen Besatzern und Besetzten kam, macht Rolf-Dieter Müller in seinem Aufsatz» Liebe im Vernichtungskrieg «zum Thema. Manche Wehrmachtssoldaten schufen sich in den besetzten Gebieten in kürzester Zeit eine Parallelwelt, stellten Heiratsgesuche und hofften, sich dort nach dem Krieg eine neue Existenz aufbauen zu können. Müller legt seiner Untersuchung nicht nur NS-Akten zugrunde, sondern auch Interviews des Filmemachers Hartmut Kaminski mit Nachkommen einheimischer Frauen und deutscher Soldaten.[72] Sie haben ihre Väter niemals kennengelernt, sprechen von sich selbst aber als» Kindern der Liebe«.[73] Auf welchen lebensgeschichtlichen Sinnstiftungen die Worte beruhen, mit denen diese Menschen das Verhältnis ihrer Eltern beschreiben, kann und soll hier nicht beurteilt werden. Irritierend ist jedoch, auf welche Weise Müller ihre romantisierenden Schilderungen zu seinem Interpretationsrahmen macht:»Haben wir den Mut, uns Romeo und Julia, Kinder verfeindeter Familien also, deren Liebe – nachdem auf beiden Seiten Blut geflossen war – keine Chance hatte, auch in Riga oder Minsk vorzustellen?«[74] Müller zieht die tragische Liebesgeschichte der westlichen Hemisphäre heran, um das Schicksal von einheimischen Frauen und deutschen Männern in der Sowjetunion zu illustrieren, die ein intimes Verhältnis eingegangen waren und noch während des Krieges getrennt wurden. In seiner Darstellung ist Liebe eine anthropologische Konstante, ein schicksalhaftes Ereignis, das sich selbst unter widrigen Umständen, in diesem Fall der Kriegssituation, seinen Weg bahnt. Dabei werden die Gefühle der Soldaten und der Frauen verklärt, ohne die Vielfältigkeit der Motivlagen in den Blick zu nehmen. Letztlich entgeht Müller so die Spezifik der Macht- und Gewaltstrukturen, in deren Rahmen die Paare nicht nur Repressalien erfuhren, was er ausführlich beschreibt, sondern die auch für die Beziehungen selbst konstitutiv waren.

      Wie dieser Forschungsüberblick bereits andeutet, ist die Quellenlage oft spärlich, und ihre Interpretation stellt die Historikerin vor zahlreiche Probleme. Diese möchte ich im Folgenden sowohl im Hinblick auf die Quellenauswahl als auch mit Blick auf die darin vorherrschenden Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit erörtern.

      Quellen

      Die Quellen zum Thema sind verstreut und von sehr unterschiedlicher Aussagekraft. Grob lassen sie sich in vier Gruppen einteilen: (1) die zeitgenössischen Selbstzeugnisse und späteren Erinnerungserzählungen deutscher Männer, die als Wehrmachts- oder SS-Angehörige in der Sowjetunion stationiert waren; (2) die Akten der Wehrmacht, insbesondere der Heeressanitätsinspektion, der SS- und Polizeiführer sowie der zivilen Besatzungsbehörden in den» besetzten Ostgebieten«; (3) die Selbstzeugnisse derjenigen, die während des deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion aus» rassischen «oder politischen Gründen verfolgt wurden; und (4) die Berichte aus der einheimischen Bevölkerung, deren Position sich im Laufe der Jahre zwischen Kollaboration, Abwarten und Widerstand bewegen konnte.

      Die Quellenlage ist insgesamt ausgesprochen lückenhaft. Bei den NS-Akten lassen sich nur wenige Bestände eindeutig dem Thema zuordnen, so etwa die Korrespondenzen und die Diagnosen zu sexuell übertragbaren Krankheiten bei den Amtsärzten. Gleichwohl kann man in nahezu jedem Bestand vereinzelte Hinweise auf sexuelle Zusammentreffen finden. Als besonders diffizil erweist sich die Arbeit mit den Selbstzeugnissen, denn sexuelle Erfahrungen werden bis heute oft verschwiegen – und wenn nicht, sind die Erzählungen meist von Tabus und Skandalisierungen geprägt. In den Beschreibungen der deutschen Männer wirken sexuelle Kontakte zumeist wie harmlose Begegnungen, die nichts mit dem Kriegsgeschehen zu tun hatten. Nur selten spricht ein ehemaliger Soldat den Zusammenhang von Sexualität und Gewalt an – und wenn überhaupt, dann nur aus der Perspektive des Beobachters. NS-Verfolgte sowie Beobachterinnen und Beobachter wählen dafür in der Regel ebenfalls die Zuschauerperspektive. Kaum einmal äußert sich eine Frau oder ein Mann offen über ein sexuelles Zusammentreffen, das sie oder er am eigenen Leib erlebt hat. Die Quellen erlauben in der Regel auch keine Rückschlüsse darauf, ob sich das Geschilderte wirklich auf diese Weise zugetragen hat. Gleichwohl verweisen die Vielfalt und das Ensemble der Quellen darauf, dass solche Dinge geschehen sind.

      Die Quellenlage variiert zudem von Gebiet zu Gebiet. Bei dem Territorium, das die Nationalsozialisten in der ehemaligen Sowjetunion besetzten, handelt es sich um eine Vielzahl von Ländern mit zahlreichen Ethnien, Sprachen und Kulturen; manche waren erst kurz zuvor von der UdSSR annektiert worden, und Kollaboration mit den Nationalsozialisten oder Widerstand waren ganz unterschiedlich ausgeprägt. Auch die kulturell und religiös begründeten Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis und von sexueller Moral differierten.[75] Diese Spezifika beeinflussen bis heute die Art und Weise, wie die sexuellen Zusammentreffen von deutschen Männern und einheimischen Frauen, zu denen es während des Krieges in Estland, Lettland, Litauen, der Ukraine, Weißrussland und Russland gekommen ist, gedeutet und erzählt beziehungsweise verschwiegen werden. Wendy Jo Gertjejanssen, die Interviews mit Zeitzeuginnen und – zeugen in Lettland und der Ukraine durchgeführt hat, machte die interessante Erfahrung, dass ihre Gesprächspartnerinnen in Lettland vor allem sexuelle Gewalt durch Soldaten der Roten Armee zum Thema machten, während bei den Ukrainerinnen die Vergewaltigungen durch Deutsche und ukrainische Kollaborateure im Vordergrund standen. Diese unterschiedlichen Darstellungen reflektieren nicht unbedingt die historische Realität; sie offenbaren vor allem die Eckpunkte der jeweiligen nationalen Erinnerungskultur.[76]

      Dies schlägt sich auch in der vorliegenden Studie nieder. Da sich Frauen aus den im damaligen Reichskommissariat Ostland (RKO) zusammengefassten baltischen Staaten sowie aus der Ukraine noch am ehesten äußern und es in diesen Gebieten wohl auch häufiger zu sexuellem Tauschhandel und konsensuellen Verhältnissen kam, die in irgendeiner Form aktenkundig geworden sind, konzentriere ich mich in den entsprechenden Kapiteln vor allem auf diese Territorien. Im Kapitel zu sexueller Gewalt stammen die Zeuginnenaussagen dagegen aus allen Kriegsgebieten» im Osten«. Die Namen von Städten und Ortschaften werden dabei in der zeitgenössischen deutschen Umschrift genannt; lediglich in einzelnen Quellen tauchen die jeweiligen nationalen oder jiddischen Bezeichnungen auf.

      Um sich der Vielschichtigkeit der Quellen anzunähern, ist es notwendig, sich mit den damals herrschenden Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen auseinanderzusetzen, die die unterschiedlichen Lebenswelten von Männern und Frauen, Besatzern und Besetzten prägten. Die detaillierte Quellendiskussion verbinde ich daher im Folgenden