type="note">[10] Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz interpretieren Sexualität im Anschluss an Foucault als» Motor und Folge von Auseinandersetzungen innerhalb eines sozio-kulturellen Machtgeflechts«.[11] Wie sah dies vor dem Hintergrund des Vernichtungskrieges in der ehemaligen Sowjetunion aus? Und wie wirkten sich das Machtgeflecht sowie die Kriegsgewalt und der Nationalsozialismus auf die sexuellen Vorstellungen und Praktiken der» im Osten «eingesetzten deutschen Männer aus?
So lückenhaft die Erkenntnisse in diesem Buch noch ausfallen mögen, so deutlich dürfte doch werden, dass die Auseinandersetzung mit dem sexuellen Verhalten der deutschen Soldaten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion einen weiteren wichtigen Mosaikstein zum Verständnis des Vernichtungskrieges liefert. Sie wirft außerdem Fragen nach der (sexuellen) Verfasstheit der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf, genauer: nach den Beziehungs- und Familienstrukturen sowie den sich entwickelnden sexuellen Wünschen und Praktiken nach der Rückkehr der Männer.
I. Ausgangspunkte
«Er vertrug mehr Schnaps, er hat mehr Zigaretten geraucht und er hat auch mehr Frauen in den Hintern gekniffen als ich.«[12] Schnaps, Zigaretten, Frauen – mit diesen Insignien soldatischer Männlichkeit kennzeichnet ein Teilnehmer der jährlich im britischen Beltring veranstalteten» War & Peace Show«[13] seine Bewunderung für den SS-Funker, den er während der Vorführung» Waffen SS in Combat «verkörpert. Seine Erzählung ist von scherzhaftem Augenzwinkern begleitet, offenbart aber gleichsam ungebrochen die Hochachtung, die er dem während des Krieges gestorbenen Deutschen entgegenbringt. Ein anderer Teilnehmer hält die SS-Runen an den Aufschlägen seiner Uniform in die Kamera:»Wir dürfen diese Uniform niemals vergessen – wegen all der schlimmen Dinge, die damit verbunden sind, aber auch wegen mancherlei Gutem.«[14] Für ihn stellen die Taten der SS» zwei Seiten derselben Medaille «dar. Auf der einen Seite hätten die Deutschen Verbrechen gegen Zivilistinnen und Zivilisten verübt, Dörfer niedergebrannt und Frauen und Kinder getötet. Auf der anderen Seite seien sie» nette Jungs «gewesen, die in den besetzten Gebieten Freundschaften geschlossen und Romanzen mit einheimischen Frauen gehabt hätten. Genau dieser Gegensatz sei es, der ihn fasziniere. Unbefangen posieren er und andere vor der Kamera; sie tragen ihre Originaluniformen mit Stolz. Die schwarze Montur erscheint als Kleidung stattlicher Männlichkeit, nicht zuletzt verheißt sie sexuelle Attraktivität.[15] So werden während der Festivals auch intime Bekanntschaften gepflegt, und man feiert Eheschließungen in der historischen deutschen Uniform.[16]
Die Interviews, die Heike Gallmeier und Tabea Sternberg mit britischen Reenactern[17] geführt haben, die sich jährlich treffen, um in der Rolle von SS-Männern, Polizisten und Wehrmachtssoldaten bekannte militärische Schlachten nachzuspielen, offenbaren die Bewunderung der Rollenspieler für das, was sie als» deutsche Disziplin «und» maskuline Stärke «begreifen. Nun mag mancher argumentieren, dies seien lediglich abstruse Fantasien von ein paar Tausend Militaristen. Diese Einschätzung erscheint aber vorschnell, denn die Erzählungen der historischen Rollenspieler gehen auf Annahmen zurück, die keineswegs nur denjenigen vorbehalten sind, die den Krieg verherrlichen und zu ihrem Hobby machen. Die bewundernde Rede der Reenacter stützt sich vielmehr auf vorherrschende Ideale von Männlichkeit und männlicher Sexualität.[18] Demnach entspringt der Sexus des Mannes einer natürlichen, leben- und kraftspendenden Energie, die beständig droht, überhandzunehmen und die deswegen unter Kontrolle gehalten werden muss.[19] Solange ein Mann, insbesondere ein Soldat, seinen Körper und seine Triebe beherrscht und in der Lage ist, sie effektiv einzusetzen und gegebenenfalls zu manipulieren, gilt er als leistungsfähig und stark.[20] Eingeschrieben ist dieser Vorstellung von männlicher Triebhaftigkeit allerdings, wie Ruth Seifert darlegt, auch die beständige Möglichkeit des Scheiterns – denn sexuelle Aktivitäten von Soldaten drohen immer, die militärischen Anforderungen zu konterkarieren, zum Beispiel die Disziplin oder die medizinische Gesundheit einer Einheit zu schwächen.[21] Die Führungen moderner Armeen kalkulieren mit solchen Bildern und versuchen, das sexuelle Begehren ihrer Soldaten für den Kriegseinsatz zu kanalisieren. Der Sexualität von Soldaten wird also nicht nur symbolisch, sondern auch militärpolitisch ein bedeutsamer Stellenwert zugeschrieben.
Darüber hinaus sind die Vorstellungen der historischen Rollenspieler durch die gesellschaftlich weitverbreitete Faszination mit der Verwobenheit von Nationalsozialismus und Sexualität geprägt. Diese drückt sich zum einen in einer Verfälschung von historischen Zusammenhängen aus, wie beispielsweise in dem sich hartnäckig haltenden Mythos, der nationalsozialistische Lebensborn e.V. sei eine Zuchtanstalt gewesen, in der man die männliche SS-Elite und» arische «Frauen zusammengebracht habe, um» rassereine «Kinder zu zeugen: Obgleich die seriöse historische Forschung beweist, dass dies keineswegs den Tatsachen entsprach, sondern die Lebensborn-Heime vielmehr für werdende Mütter errichtet wurden, die ihren Nachwuchs sicher und in kontrollierter Umgebung zur Welt bringen sollten,[22] findet sich der Mythos von der Zuchtanstalt bis heute in dokumentarischen Medienberichten und sogar Schulbüchern.[23] Zum anderen zeigt sich die Faszination, die die Koppelung von nationalsozialistischer Macht und Sex ausübt, auch in dem massenhaften Absatz von Pornofilmen, die vor dem historischen Hintergrund der Jahre 1939 bis 1945 spielen. Rebecca Scherr fürchtet gar, dass die Erinnerung an den Holocaust durch solche Filme zu» sexy memories «zu verkommen droht.[24]
Diese Sorge ist gerade heute, wo die wenigen Überlebenden, die noch Zeugnis von der Geschichte ablegen können, in absehbarer Zukunft sterben werden, nur allzu berechtigt. Gleichwohl wäre es vereinfachend, das Phänomen der nachträglichen Sexualisierung des Nationalsozialismus einzig auf die Verharmlosung der Verbrechen und die Trivialisierung der Leiden der Opfer zu reduzieren. Omer Bartov hat beschrieben, dass israelische Jugendliche —»die tatsächlichen und symbolischen Nachkommen der Holocaust-Überlebenden«– durch Bücher und Filme zu sexuellem Sadismus in den NS-Lagern oft ungewollt Erregung verspürten.[25] Dies führt uns die Notwendigkeit vor Augen, sich damit auseinanderzusetzen, wie Sexualität und sexuelle Zusammentreffen während des Holocaust und des Krieges in der ehemaligen UdSSR zum Thema gemacht, skandalisiert, verheimlicht oder zum Schweigen gebracht wurden und werden. Wo verlaufen die Linien zwischen sexueller Erregung, Scham, Schuldgefühlen und kulturellen Normen?
Aus Sicht Dagmar Herzogs fungieren die» kulturellen Phantasmen «in Literatur und Film zu Sexualität im Nationalsozialismus als» ein Speicher intuitiver Erkenntnisse, die offenbar nicht in die akademische Forschung integriert werden können«.[26] Tatsächlich hat sich die historische Forschung, wie im Folgenden gezeigt wird, des Themas bisher nur sehr zögerlich angenommen.
Forschungsliteratur
Kaum ein Krieg ist in den vergangenen 20 Jahren so ausführlich erforscht worden wie der Vernichtungsfeldzug der deutschen Truppen in der Sowjetunion und der damit einhergehende Massenmord an den Jüdinnen und Juden.[27] Seit Anfang der 1990er Jahre sind die Motive, Sinnstiftungen und Handlungsräume der einfachen Soldaten auf die Agenda der historischen Forschung gerückt.[28] Christopher Brownings Studie» Ganz normale Männer«, Daniel Jonah Goldhagens heiß diskutiertes Buch» Hitlers willige Vollstrecker «oder die Ausstellung» Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1945«, die Fotos zeigte, die einfache Soldaten von den deutschen Verbrechen gemacht hatten, beschäftigen sich mit dem» Mitmachen «und der Mitwisserschaft des» kleinen Mannes«.[29] Sie lösten eine nachhaltige Auseinandersetzung über die historische