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Männlichkeitskonzeptionen
Deutsche Männer reagierten in der Kriegssituation auf unterschiedlichste Weise. Sie deuteten das Geschehen abhängig von gesellschaftlich dominanten Normen oder situativ gebildeten Gruppennormen, von sozialisierten Wertehaltungen, religiösen Überzeugungen, von Erfahrungen, Kompetenzen, Gefühlen, Wünschen et cetera. Entsprechend steckten sie ihre Handlungsräume ab, trafen ihre Entscheidungen und trugen die Konsequenzen ihres Handelns.[77] Das gilt auch für ihre Zusammentreffen mit einheimischen Frauen, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird. Manche Männer eiferten dem NS-Ideal des» rassebewussten «Kriegers nach und lebten sexuelle Enthaltsamkeit; andere verfolgten ihre sexuellen Interessen und Wünsche und prahlten mit ihren Erlebnissen; einige Männer empfanden es als unerträgliche Zumutung, am hegemonialen Ideal unerschrockener Männlichkeit gemessen zu werden, und sahen sich erheblich unter Druck gesetzt.[78]
Zeitgenössische Selbstzeugnisse wie Feldpostbriefe und Tagebücher zählen zu den wichtigsten Quellen, um sich den Erlebnissen der Männer vor Ort zu nähern. Nach Schätzungen sind im Gesamtverlauf des Krieges mehr als 40 Milliarden deutsche Feldpostbriefe zwischen Front und Heimat hin- und hergeschickt worden.[79] Ein Großteil wurde von den mehr als drei Millionen Wehrmachtsangehörigen verfasst, die an der deutsch-sowjetischen Front eingesetzt waren.[80] Die Briefe bilden die Kriegsverhältnisse nicht direkt ab. Wenn man sich aber bewusst macht, dass sie keine ungefilterten Eindrücke vermitteln, sondern das Kriegsgeschehen durch kulturell tradierte Deutungsmuster verklären, verharmlosen oder verschweigen, erkennt man genau darin ihren Wert: Sie spiegeln die subjektiv erzeugten Sinn- und Identitätskonstrukte der Soldaten wider.[81] Ähnliches gilt für die Tagebücher, die in der Regel die Eindrücke von Soldaten mit bürgerlichem Hintergrund beziehungsweise von Offizieren wiedergeben. Die meisten Soldaten, insbesondere Personen aus bildungsfernen Schichten, haben keine entsprechenden Aufzeichnungen gemacht oder hinterlassen. Insofern erlauben Tagebuchschilderungen nur in Ansätzen Verallgemeinerungen.[82]
Das wichtigste Thema der zeitgenössischen Selbstzeugnisse war laut Klaus Latzel der» unblutige militärische Alltag«, das heißt die täglichen Dienstverpflichtungen sowie das Verhalten der Kameraden und Vorgesetzten beziehungsweise Untergebenen.[83] Den Aufzeichnungen lässt sich außerdem entnehmen, dass Körpererfahrungen für die meisten Soldaten einen zentralen Teil ihres Kriegserlebens darstellten. In vielen Feldpostbriefen nehmen physische Strapazen und bis an die Grenzen gehende Verausgabung einen großen Raum ein: endlos scheinende Märsche, der Transport von schwerem Gepäck und Gerät, der Bau von Schanzen et cetera.[84] Im Verhältnis zu dieser extremen physischen Anstrengung ließ die Versorgung mit Lebensmitteln häufig sehr zu wünschen übrig, die Mahlzeiten waren eintönig, mitunter nicht sättigend und wenig ausgewogen. Viele Soldaten litten an einer gestörten Verdauung, an Verstopfung und Magenverstimmungen.[85] Mitunter wurden die Männer auch ernsthaft krank, bekamen Fieber und magerten stark ab. Als generelles Problem stellten sich die allgemein schlechten hygienischen Bedingungen, der Mangel an Wasser und Seife dar. In vielen Feldpostbriefen und Tagebüchern ist von einem dauernden Kampf gegen Flöhe, Wanzen und Läuse die Rede.[86] Direkten Einfluss auf die körperliche Verfassung der Soldaten hatte außerdem das Wetter – die extreme Hitze im Sommer und die zeitweise kaum erträgliche Kälte im Winter.[87]
Die Körpererfahrungen der Männer waren jedoch zumindest bis zum Ende des Sommers 1942 nicht nur von Strapazen gekennzeichnet. Immer wieder wird der Genuss von erbeuteten Lebensmitteln hervorgehoben, von Cognac und Champagner, Salami und Pastete, Schokolade und Bonbons.[88] Faulenzen, Sonnenbaden und der Besuch von Badeanstalten und Seen spielten ebenfalls für viele eine Rolle.[89] Auf Schnappschüssen von Soldaten sieht man die Kameraden oft mit nacktem Oberkörper, manchmal nur mit Bade- oder Unterhose bekleidet, und zwar nicht nur während des Sonnenbads oder beim Kartenspiel, sondern auch in der Feldküche, auf Märschen, auf Wachposten und mit erbeuteten Trophäen.[90] Hans-Albert Giese, der im Juni 1941 als Infanterist im Gebiet der Heeresgruppe Mitte in die Sowjetunion einmarschiert war, notierte im August 1942:»Ich bin besonders in der letzten Zeit ziemlich braun gebrannt.«[91] In einer Zeit, in der Reisen für viele zu teuer war, konnten die Feldzüge sogar eine Möglichkeit bieten,»touristischen «Vergnügungen nachzugehen. Dies galt natürlich umso mehr im besetzten Frankreich. Aber auch in der Sowjetunion wollten einige Soldaten Kirchen und Bauwerke besichtigen; und viele kamen überhaupt zum ersten Mal mit fremden Landschaften und Menschen in Kontakt.[92]
Man darf wohl davon ausgehen, dass die meisten Männer durch die ungewohnte körperliche Anstrengung mit der Zeit Veränderungen an ihrem Körper feststellten: zunehmende Kondition und Ausdauer, eine andere Hautfarbe und – struktur, den Aufbau von Muskelmasse. Manche Soldaten, vor allem im militärischen Hinterland, trainierten gezielt, um sich fit und gesund zu halten. Der Sportoffizier Wilm Hosenfeld ließ seine Ehefrau im September 1941 wissen:»einen gesunden, abgehärteten Körper will ich Dir und den Kindern zurückbringen«.[93] Einige Soldaten gingen in Briefen und Tagebüchern dezidiert auf die Körper ihrer Kameraden oder Untergebenen ein, und zwar sowohl bewundernd als auch abwertend.[94]
Generell spielten Konkurrenz und Selbstvergewisserung eine wichtige Rolle im Männerbund. Seit den 1920er Jahren war der deutschen Jugendkultur eine» auffällige Potenzprotzerei«(Thomas Kühne) eingeschrieben, die sich zum Beispiel in Penisvergleichen, Onanie und Orgasmusbeweisen in der Gruppe ausdrückte. Für diejenigen, die in solchen Gruppen am unteren Ende der Hierarchie standen, erwuchsen daraus oft psychische und physische Gewalterfahrungen.[95] Die» Prüfungen «des Krieges – Drill, Gewaltausübung, Todesgefahr – gingen in der Wehrmacht mit Männlichkeitsritualen wie Alkoholexzessen und Bordellbesuchen einher.[96] Dazu gehörten auch der Austausch pornografischer Fotografien, markige Sprüche und das Prahlen mit Saufereien und (zurückliegenden oder aktuellen) sexuellen Erlebnissen.[97] Für viele jüngere Männer, für die die Einberufung in die Wehrmacht die erste Loslösung von ihrer Herkunftsfamilie bedeutete, stellten solche Ereignisse eine Initiation in die Männerwelt und damit ein wichtiges Moment dar, um sich im Kreis der Kameraden zu beweisen und zu bewähren.
Außenseiter in der Truppe mussten damit rechnen, erniedrigt und gequält zu werden, indem man ihnen beispielsweise einen Eimer Wasser ins Bett kippte, sie zwangsweise abschrubbte, die Kleidung aus dem Fenster warf oder ihnen Elektroschocks verpasste.[98] Gruppendruck konnte die Soldaten auch darin bestärken, bei Gewaltexzessen» mitzumachen«, wollten sie nicht als Schwächlinge verspottet, sondern als» Männer «von ihren Kameraden anerkannt werden.[99] Wer sich nicht in der Lage sah, seine Kameraden auf einen Plünderungszug zu begleiten oder sich an der Tötung von Zivilisten zu beteiligen, konnte schnell aus dem Kameradenkreis ausgeschlossen werden. Der» kollektive Zwang, sich stets von neuem der eigenen Härte und Schneidigkeit zu versichern«, ließ, so konstatiert Ulrich Bröckling,»die Verrohung weiter eskalieren«.[100] In einem beispiellosen Radikalisierungsprozess – bedingt durch Selbst- und Fremdzuschreibung, Gruppendruck, Anpassung, Gehorsam und Gewalterleben – wurden die Männer oft bereits nach wenigen Tagen abgestumpft und brutalisiert.[101] Der beständige Alarmzustand, in