Figur. Denn während es nach Kriegsende als Ehrenbeweis galt, keine Vergewaltigung gesehen zu haben, wurden sexuelle» Eroberungen «während des Krieges durchaus als Ausdruck soldatischer Stärke und Männlichkeit betrachtet. Möglicherweise sind die Ursachen für das hartnäckige Stillschweigen vieler deutscher Zeitzeugen über sexuelle Gewalt genau in dieser Umwertung zu suchen. Zu fragen wäre dann auch, inwieweit das Schweigen über Sexualität mit dem Mythos von der» sauberen Wehrmacht «zusammenhängt.
Weiblichkeitsvorstellungen
Auch die Erzählungen über sexuelle Zusammentreffen von Zeitzeuginnen und – zeugen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sind von nationalen Geschichtsdeutungen und hegemonialen Geschlechtervorstellungen geprägt. Für die vorliegende Untersuchung wurde nur auf Quellen zurückgegriffen, die in deutscher oder englischer Sprache vorliegen. Dabei handelt es sich zum einen um lebensgeschichtliche Erinnerungsinterviews mit jüdischen Frauen, zumeist mehrstündige Gespräche, die nicht nur auf die Zeit der Verfolgung ausgelegt sind. Die Zeitzeuginnen berichten zunächst von ihrer Kindheit und Jugend und kommen dann auf den Beginn und die Radikalisierung der Gewalt zu sprechen. Dabei geben die Erzählerinnen Hinweise auf das, was geschehen ist, offenbaren aber vor allem, wie sie die Ereignisse subjektiv erklärt, eingeordnet und verarbeitet haben. In den meisten Fällen geben sie keine direkte Auskunft über sexuelle Zusammentreffen, erzählen aber beispielsweise von Vorsorgemaßnahmen und Verstecken, mit deren Hilfe sie versucht haben, sexuellen Angriffen zu entgehen.[143] Dies lässt nicht unbedingt darauf schließen, wie sich die Interviewten tatsächlich geschützt haben, sondern zeugt vor allem von dem Druck, der auf den Frauen bis heute lastet, ihre» sexuelle Unschuld «zu beweisen.
Zum anderen liegen dieser Untersuchung publizierte Erinnerungsberichte von NS-Opfern sowie von Augenzeuginnen und – zeugen zugrunde, die die Massenverbrechen gegen Zivilistinnen und Zivilisten zum Thema haben. Viele sind in Sammelbänden erschienen und stellen nur sehr kurze Ausschnitte aus unterschiedlichen Erinnerungserzählungen dar, die thematisch oder nach bestimmten Orten zusammengestellt wurden. Einige dieser Berichte sind zeitgenössisch, andere beruhen auf Interviews, die erst Jahrzehnte nach dem Krieg erhoben wurden. Leider wird nicht immer ausgewiesen, wann und wie die Schilderungen zustande kamen. Obgleich es in diesen Berichten nur in manchen Fällen ausführlich um sexuelle Zusammentreffen geht, ermöglichen implizite Beschreibungen oder Nebenbemerkungen insgesamt eine genauere Kontextualisierung sexueller Erlebnisse im Rahmen des Kriegsgeschehens und geben über die Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen verfolgter Frauen Auskunft.[144]
In der Gesamtschau der Quellen wird deutlich, dass die Frauen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die während des Krieges sexuelle Zusammentreffen mit deutschen Soldaten erlebt haben, hohe Risiken eingingen, wenn sie darüber sprachen – unabhängig davon, ob sie freiwillig ein intimes Verhältnis mit einem Deutschen eingegangen oder Opfer sexueller Gewalttaten geworden waren. In einigen NKWD-Berichten, in denen die Geheimdienstmitarbeiter über die Kollaboration der einheimischen Bevölkerung mit den Besatzern klagten, wurde die Fraternisierung junger Frauen mit deutschen Offizieren und Infanteristen besonders hervorgehoben.[145] Für viele Frauen war es vor diesem Hintergrund naheliegend, zumindest in der Öffentlichkeit über ihre Erfahrungen zu schweigen und sich, wenn überhaupt, auf private Aufzeichnungen zu beschränken. Eine junge Lehrerin aus Kiew vertraute beispielsweise ihrem Tagebuch an, dass sie in ihrer Vorkriegsbeziehung keine Perspektive gesehen habe und ihren ukrainischen Freund für einen deutschen Soldaten verlassen wollte.[146] Vermutlich verfassten auch andere Frauen solche privaten Notizen; eine systematische Untersuchung dazu steht aber noch aus.[147]
Sogar Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt hatten, sahen sich mit der Unterstellung konfrontiert, sie hätten sich freiwillig mit den Deutschen eingelassen. Die ehemalige Feldkrankenschwester Tatjana Poli-karpowna Nanijewa war 1942 als Angehörige der Roten Armee von den Deutschen gefangen genommen und in einem Lager in Südpolen inhaftiert worden. Während der Gefangenschaft wurde sie Zeugin einer Reihe brutaler Vergewaltigungen durch das deutsche Aufsichtspersonal. Bei der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee im Januar 1945 traten zwei sowjetische Offiziere auf sie zu und beschimpften sie als» Hure«, die sich im Lager sexuell amüsiert hätte.[148] Damit, dass die Männer sie von einer Armee-Kameradin zu einer» leichtlebigen Frau «degradierten, verweigerten sie ihr symbolisch die Teilhabe am Sieg in diesem Kampf. In einer bizarren Verdrehung erschien sie als Schuldige für das, was sie beobachtet hatte, und stand plötzlich unter Druck, sich dafür rechtfertigen zu müssen.[149] Auch Frauen, die in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren und repatriiert werden sollten, wurde von sowjetischen Soldaten vorgeworfen, sie hätten mit den Deutschen geschlafen.[150] Partisaninnen wurden nach 1945 ebenfalls als» gefallene Frauen «bezeichnet. Nicht zuletzt, um dieser Stigmatisierung zu entgehen, entschieden sich einige, ihre Teilnahme am Partisanenkampf zu verschweigen – eine Reaktion, die aus anderen ehemals besetzten Ländern ebenfalls bekannt ist.[151]
Die Vorstellung, dass Frauen leichtfertig ihr Vaterland verrieten und auf die deutschen Soldaten zugingen, scheint bis heute die Erinnerung vieler zu prägen. Eine Forschergruppe aus Hannover bat ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Ukraine und Weißrussland Ende der 1990er Jahre, schriftlich zu erläutern, ob sie etwas über Vergewaltigungen während des Krieges wüssten. Ein Viertel derer, die auf dieses Schreiben hin antworteten, erklärte, ihnen sei nichts darüber bekannt; stattdessen berichteten sie aber von sich aus über freiwillige Verhältnisse. In der Mitteilung eines ehemaligen Zwangsarbeiters hieß es:»Unsere jungen Frauen liefen selbst zu den Soldaten, sie tändelten mit ihnen herum und trafen sich.«[152] Unabhängig davon, ob dies die historische Realität abbildet, zeigt sich hier, wie abfällig über die Frauen gesprochen wurde und welchem Generalverdacht sie sich ausgesetzt sahen.
Welche Wertungen vorherrschten, wenn Frauen sich tatsächlich auf sexuelle Beziehungen mit Deutschen einließen, wird beispielsweise in dem 1947 erstmals erschienenen autobiografischen Roman» Kharkiv «von Olena Zvychaina aufgegriffen, der sich mit der deutschen Besetzung der Ukraine auseinandersetzt. Zvychaina konstatiert zwar die Entwicklung einer» neuen Moral «im Krieg, deren Grundprinzip gelautet habe, dass alles» gut «sei,»was es mir ermöglicht, nicht an Hunger zu sterben«. Gleichzeitig illustriert ihre Erzählung aber, dass die Grenzen dieser» neuen Moral «eng gesteckt waren.[153] Denn Zvychaina führt als Hauptfigur die gute, reine Frau ein, die schwangere Katrusia, die sich erbittert gegen zahlreiche sexuelle Angebote deutscher Soldaten wehrt und auf die Rückkehr ihres Ehemannes wartet.[154] Ihr stellt sie Halya gegenüber, die unmoralische, befleckte Frau, die solche Skrupel nicht kennt:
Halya hielt ihren Luxuskörper, um den sie sich stets und sehr gewissenhaft kümmerte, für ihre wichtigste Waffe […]. Halya lernte» Herrn Fritz «kennen, der in der Versorgungseinheit arbeitete, und wurde rasch seine Geliebte. Als Fritz’ Geliebte hatte sie nicht nur genug Brot, sondern auch Gelegenheit, sich andere Dinge wie Wurst, Butter und Zucker zu verschaffen. Und das eröffnete ihr die Möglichkeit, sich ihren Luxuskörper zu bewahren. Halya hatte unter anderem einen Ehemann irgendwo an der Front, aber das hielt sie nicht davon ab, Fritz’ Geliebte zu sein.[155]
Zvychainas Charakterisierung der Halya fällt eindeutig negativ aus: Halya ist ein Luxusgeschöpf, eitel auf seine Schönheit bedacht und ohne zu zögern bereit, ihren für sie an der Front kämpfenden Ehemann zu betrügen. Sie kollaboriert mit den Deutschen und genießt ihren Körper, während ihre Nachbarinnen Hunger leiden. Ihre sexuelle Hinwendung zum Feind – die sich zwischen sexuellem Tauschhandel, Affäre und Romanze bewegt – geht aus Sicht ihres Umfelds mit politischem und gesellschaftlichem Verrat einher. Insofern ist es nur konsequent, dass die anderen Halya ausschließen.
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