Regina Muhlhauser

Eroberungen


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Heimen untergebracht; an einigen führte man sogar medizinische Experimente durch.[198]

      In Deutschland wurde zwar über den Osloer Prozess berichtet, allerdings kaum als» deutsches Thema«. Weitaus mehr beschäftigte sich die Presse mit den Stigmatisierungen und Ausgrenzungen, die die Betroffenen nach dem Krieg in ihren Geburtsländern erlebt haben. Dabei schwingt oft eine implizite Gleichsetzung zwischen den europäischen Nachkriegsgesellschaften und dem nationalsozialistischen Deutschland mit. Die Journalistin Ebba Drolshagen brachte deshalb den Begriff» Wehrmachtskinder «in die Diskussion ein.[199] Mit diesem Terminus möchte sie deutlich machen, dass auch die deutschen Väter eine Verantwortung für das Schicksal ihrer in den Besatzungsgebieten gezeugten Kinder tragen. Dabei nimmt sie in Kauf, dass ihr Begriff historisch ungenau bleibt, denn nicht jeder Deutsche, der in den besetzten Gebieten ein Kind gezeugt hat, war Angehöriger der Wehrmacht, auch Männer aus SS und Polizei, den zivilen Besatzungsbehörden und privaten Betrieben waren darunter.[200] Der historische Zusammenhang ist jedoch der Krieg der Wehrmacht in Europa, und so wird auch in der vorliegenden Untersuchung mitunter der Begriff Wehrmachtskinder verwendet. Gleichwohl bleibe ich aber auch bei dem Terminus Besatzungskinder, um das Augenmerk darauf zu lenken, dass sich hinter diesem Wort nicht nur die Kinder der» anderen «verbergen. Es gilt, aus deutscher Perspektive zu erforschen, wie mit diesen Kindern umgegangen wurde, während des Krieges wie in der Nachkriegszeit, im Privaten wie in öffentlichen Auseinandersetzungen sowie durch die deutschen Behörden.

      In der vorliegenden Arbeit nehme ich dies in den Blick, indem ich die Diskussion der NS-Institutionen über diese Kinder dokumentiere. In den Archivbeständen zum RMbO und zum RKO finden sich, wie bereits erwähnt, zwei umfangreiche Akten zum Umgang mit den Kindern deutscher Männer und einheimischer Frauen in der Sowjetunion. Sie enthalten Briefwechsel, Notizen, Sitzungsprotokolle und Weisungen, die es uns erlauben, die Auseinandersetzung über die Bedeutung und das vermeintliche Potential der Kinder zeitlich wie inhaltlich nachzuvollziehen. Darüber hinaus nahm Himmler sich als Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums (RKF) der Kinder an. Mithilfe der durch seinen Stab dokumentierten Aufzeichnungen, Reden und Briefwechsel lässt sich im Detail zeigen, wie die Kinder zu einem Topos der Politik gemacht wurden.

      Die Frage, wie viele deutsch-sowjetische Kinder im Zuge des Krieges tatsächlich geboren worden sind, entzieht sich bis heute ebenso einer seriösen Antwort wie die nach dem Umfang, in dem Wehrmachts- und SS-Angehörige sexuelle Zusammentreffen suchten, oder die nach der Anzahl der Militärs, die daran beteiligt waren, die soldatischen Aktivitäten zu kontrollieren.[201] Auch in den folgenden Kapiteln wird nicht der Anspruch erhoben, eine realistische quantitative Schätzung abzugeben. Vielmehr geht es darum, der vielschichtigen Verwobenheit von Geschlecht, Sexualität, Krieg und Gewalt während des Vernichtungskrieges auf den Grund zu gehen.

      Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, Teil I

      Auswahl und Recherche von Petra Bopp

      Die von Soldaten fotografierten Szenen dokumentieren Selbst- und Fremdwahrnehmungen meist noch sehr junger Männer. Sie halten Alltagsverrichtungen wie das gegenseitige Schneiden der Haare, das Waschen am Brunnen oder im Fluss, das Entlausen der Kleidung, den Handel mit Einheimischen und das gemeinsame Zubereiten von Mahlzeiten fest.

      1 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, in der Nähe von Moskau, 1941

      2 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, in der Nähe von Moskau, 1941

      3 Konvolut Herbert Achenbach, Ukraine, zwischen 1941 und 1943

      4 Album Hans Mayer,»Unter der Dusche«, Ukraine, 1941/42

      5 Album II Hans-Georg Schulz, Sowjetunion, 1942

      6 Album III Walter Gerloff, Ukraine, 1941

      7 Album Georg Möller,»Beim Lausen«, Ukraine, zwischen 1941 und 1944

      Einigen Bildern ist zu entnehmen, dass die Alltagsaktivitäten der Soldaten in unmittelbarer Nähe zu den vor Ort lebenden Frauen stattfanden.

      8 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, 1941

      9 Tagebuch Jürgen W.,»In der Stellung entwickelt sich ein reger Tauschhandel: Kopftücher aus Zelwa gegen Gänse, Eier und Honig«, Sowjetunion, 1941

      10 Konvolut Willi Rose,»Eierhandel. Vom Donez zum Don«, Ukraine, 1942

      11 Album Georg Möller,»Flachs brechen«, Ukraine, 1941/42

      12 Album anonym,»Eine Dorfschöne wird geneckt«, Asowsches Meer, Sowjetunion, 1942

      13 Album anonym, Sowjetunion, ohne Jahr

      14 Album Karl-Heinz Müller, Sowjetunion, ohne Jahr

      15 Album anonym,»Badenixen«, Asowsches Meer, Sowjetunion, 1942

      16 Konvolut Heinrich Hindersmann,»Sonntagnachmittag«, Sowjetunion, 1941

      17 Album Dr. Karl Dieter Zoller,»Panjinkas beim Tanz«, Sowjetunion, 1942/43

      II. Sexuelle Gewalt

      Willi Peter Reese, Jahrgang 1921, wollte Schriftsteller werden. Als er zur Wehrmacht eingezogen wurde, legte er seine Erfahrungen als Soldat der Heeresgruppe Mitte in einem Kriegstagebuch nieder, das er später zu veröffentlichen gedachte. Reese kam bei den Rückzugsgefechten der Wehrmacht Ende Juni 1944 in Weißrussland um; sein Tagebuch erhielt zusammen mit Briefen und weiteren Aufzeichnungen seine Mutter. Aus diesem Material stellte der Stern-Journalist Stephan Schmitz knapp 60 Jahre nach Reeses Tod das Buch» Mir selber seltsam fremd «zusammen. In einer Passage beschreibt der junge Autor die Rast seiner Einheit während der Flucht vor der Roten Armee im September 1943 bei Gomel[202] (Weißrussland):

      Wir sangen bei Rotwein und Likören, Wodka und Rum, stürzten uns wie Todgeweihte in den Rausch, tranken und tanzten, sprachen von Wissenschaften und Erotik mit betrunkenen Stimmen, […] teilten uns Liebeskummer und Heimweh mit, lachten wieder und tranken weiter, jauchzten, tobten über die Geleise, tanzten in den Wagen und schossen in die Nacht hinein, ließen eine gefangene Russin Nackttänze aufführen und bestrichen ihre Brüste mit Stiefelfett, machten sie so betrunken wie wir selber waren und wurden erst nüchtern, als wir nach fünf Tagen Gomel erreichten.[203]

      Zu dem Rausch, den Reese hier schildert, gehört wie selbstverständlich auch die sexuelle Erniedrigung der» gefangenen Russin«. Sie fügt sich nahtlos in die Darstellung des Saufgelages ein, mit dem die» Todgeweihten «dem Krieg, ihrer Angst, ihrer Verlorenheit und Heimatlosigkeit – Gefühlen, die Reese zuvor erwähnt – zu entkommen suchten. Thomas Kühne hat gezeigt, dass der gemeinsame Alkoholkonsum in den Wehrmachtseinheiten die Kameradschaft der Soldaten untereinander bekräftigte und neu erzeugte, wobei sexuelle Erlebnisse schnell zum Stoff für später immer wieder erzählte» Abenteuergeschichten «werden konnten.[204] In der hier beschriebenen Situation stellte der sexuelle Gewaltakt – nach Gesprächen über» Erotik «und» Liebeskummer«,