und sozialer Ausgrenzung verbunden war. Wenn Frauen nach Einschätzung der jeweiligen Situation und der damit verbundenen Gefahren den Entschluss fassten, ihren Körper taktisch oder strategisch einzusetzen, wurden sie zu» schlechten Frauen«. Sie widersetzten sich den vorherrschenden Vorstellungen über die weibliche Natur und irritierten die symbolische Ordnung. Nur wenige scheinen dieses Verhalten im Nachhinein als normale Folge des Krieges zu sehen.[156] Aus Wendy Jo Gertjejanssens Gesprächen mit Zeitzeuginnen und – zeugen in der Ukraine geht hervor, dass Frauen, die sich während des Krieges mit Deutschen eingelassen hatten, die soziale Ächtung drohte; sie fanden zum Beispiel keinen Ehemann.[157] Eine ihrer Interviewpartnerinnen war nicht bereit, den Namen einer Nachbarin zu nennen, die während des Krieges im Tausch gegen Nahrungsmittel mit Deutschen Sex gehabt hatte. Sie begründete dies damit, dass der Sohn dieser Frau noch lebte und sie ihm die Schande der Mutter ersparen wolle.[158] Hier zeigt sich die langfristige Wirkungsmacht des gesellschaftlichen Urteils, das sogar nachfolgende Generationen betreffen kann.
In einem anderen Interview Gertjejanssens schildern zwei Zeitzeuginnen die Vergewaltigung einer jungen Frau im Jahr 1942. Zwei Deutsche hatten die 14-Jährige in ein Kornfeld verschleppt, wo sie sie brutal folterten und vergewaltigten. Erfahren hatten die Erzählerinnen diese Geschichte aber nicht von der Frau selbst, sondern von Dritten:
Frau 1: Sie wollte es nicht herumerzählen.
Frau 2: Niemand sollte über sie Bescheid wissen. Wissen Sie, sie [war] ein Mädchen.
Frau 1: Aber sie hat niemals geheiratet.
Interviewerin: Sie hat niemals geheiratet?
Frau 1: Nein … Nach dem Krieg hat sie es niemandem erzählt. Sie hat einfach alles für sich behalten, aber die Leute hatten gesehen, wie sie geschnappt wurde und wie sie sie für eine lange Zeit gefoltert haben …[159]
Die Interviewpassage macht deutlich, dass die Menschen im Umfeld der betroffenen Frau davon wussten, aber nicht mit ihr oder öffentlich darüber sprachen. Diese Art des Umgangs konnte einer Frau leicht vermitteln, dass sie Schuld an dem trug, was ihr widerfahren war. Die Aussage» sie war ein Mädchen «verweist nicht nur auf das Alter der Frau, sondern vor allem auf ihre Unerfahrenheit. Mit 14 Jahren galten Mädchen als» Jungfrauen«, symbolisierten Reinheit und Unberührtheit. Nach ihrer Vergewaltigung verlor eine Frau die kulturelle Zuschreibung der Unschuld und galt als» beschmutzt«. Im gesellschaftlichen Verständnis war ihre Ehre dann ebenso verletzt wie die des männlichen Kollektivs, das nicht in der Lage gewesen war, sie zu schützen.[160] Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die oben zitierten Frauen es für folgerichtig halten, dass die vergewaltigte Frau in ihrem späteren Leben nicht geheiratet hat.
Die mit solchen Vorwürfen und Verdrehungen verbundene Atmosphäre aus Scham und Unterstellung wurde den bereits durch die sexuelle Gewalttat gedemütigten Frauen zusätzlich aufgebürdet. Man kann davon ausgehen, dass es für viele Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren, keinen Raum gab, ihre Verletzung zu äußern, geschweige denn, sich öffentlich gegen das ihnen widerfahrene Unrecht zu wehren.[161] Vermutlich entschieden sich viele, das Erlebte zu verdrängen, nicht zuletzt, um ihre Alltagsnormalität wiederherzustellen. Das heißt möglicherweise auch, dass zahlreiche Frauen ihre sexuellen Gewalterfahrungen bis heute nicht annähernd verarbeitet haben.[162]
Auf spezifische Weise kompliziert war und ist die Thematisierung sexueller Gewalt für Frauen, die während des Nationalsozialismus als Jüdinnen verfolgt wurden. Zwar hat die Angst vor Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen, zum Beispiel durch erzwungenes Auskleiden und das Rasieren der Schamhaare, eine zentrale Bedeutung in Selbstzeugnissen jüdischer Frauen.[163] Gleichwohl wurde das Erleben sexueller Gewalt bis in die 1990er Jahre selten als eigenständige Frage angesprochen.[164] Joan Ringelheim führt dies darauf zurück, dass jüdische Frauen häufig davon ausgehen, ihre Erfahrungen sexueller Gewalt seien im Verhältnis zur Auslöschung der europäischen Jüdinnen und Juden nebensächlich, mehr noch: Schilderungen sexueller Gewalt würden die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Katastrophe der» Endlösung «ablenken.[165]
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch die Kinder der Überlebenden gingen lange davon aus, dass der Straftatbestand» Rassenschande «deutsche Männer prinzipiell davon abgehalten habe, sexuelle Gewalt gegen jüdische Frauen zu verüben.[166] Auch manche der überlebenden Frauen scheinen sich mit dieser Vorstellung psychologisch geschützt zu haben. Die 1920 geborene polnische Jüdin Bella Katz erklärte während eines lebensgeschichtlichen Erinnerungsinterviews in Yad Vashem:»Ein Deutscher verspürte niemals Lust nach einem jüdischen Mädchen, denn es war nicht erlaubt, er entehrte seine Rasse, wenn er mit einem jüdischen Mädchen wegging.«[167] Möglicherweise vermittelten Katz die NS-Rassengesetze bereits während der historischen Situation ein subjektives Sicherheitsgefühl – ähnlich wie in den Fällen, die eine Überlebende des KZ Ravensbrück schildert: Sogar nichtjüdische Frauen hätten mitunter behauptet, sie wären Jüdinnen, um sexuelle Angriffe abzuwehren.[168]
In der Gesamtschau zeigt sich, dass sowohl jüdische als auch nichtjüdische Frauen sich oft nicht in der Lage sahen, explizit über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu sprechen.[169] Einige Frauen entschieden sich, nicht über eigene, sondern über die Erlebnisse anderer Frauen (der Nachbarin, der Freundin oder der Schwester) zu sprechen oder ihre eigene Rolle in der Erzählung zu verschleiern. Die Juristin Fionnuala Ni Aolain hat vorgeschlagen, ein differenziertes Verständnis und Vokabular zu entwickeln, um Verletzungen der sexuellen Integrität in den Narrationen von Überlebenden zu erkennen und zu beschreiben.[170] Neue sprachliche Möglichkeiten können, wie Hyunah Yang in Bezug auf Überlebende des» comfort women«-Systems der japanischen Armee verdeutlicht hat, für die betroffenen Frauen ein erster Schritt sein, sich als Gewaltopfer zu begreifen und sich auf eine neue Weise mit dem Erlittenen auseinanderzusetzen.[171]
Auch die Schilderungen von Frauen und Männern, die Gewalttaten nicht am eigenen Leib erfahren, aber beobachtet oder davon gehört haben, bleiben in vielen Fällen ungenau. Formulierungen wie»[die Soldaten] fielen über die Frau her «oder»[der Soldat] stellte dem Mädchen nach «lassen in manchen Kontexten offen, ob es sich um einen sexuellen Angriff handelte. Zumindest aber ist die Wortwahl so uneindeutig, dass sich das jeweilige Ereignis nicht konkretisieren lässt.[172] Auffällig ist darüber hinaus, dass sich viele Geschichten in Inhalt, Wortwahl und Struktur ähneln. So findet man bei der Durchsicht von Interviews mit Überlebenden vergleichsweise häufig Passagen darüber, dass und wie es Frauen gelang, den Vergewaltigern auszuweichen und die Tat zu verhindern. Ebenso ist eine Reihe von Erzählungen über Selbstmorde von Frauen direkt vor oder nach Vergewaltigungen bekannt.[173] In den häufiger weitergegebenen Geschichten werden generell die Unschuld der Frauen und ihre Bereitschaft betont, ihr Leben zu opfern, um ihre Ehre entweder im Vorfeld zu schützen oder nach einer erfolgten Vergewaltigung wiederherzustellen. Deutlich wird, dass diese Berichte bereits voraussetzen, die Unschuld und Ehre einer Frau werde durch ihre Vergewaltigung infrage gestellt.
Die Erzählungen über den Ablauf einer Vergewaltigung, über die Täter und die Opfer enthalten immer wiederkehrende Bilder und Formulierungen. Sharon Marcus verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des» rape scripts«, um zu unterstreichen, dass es vorherrschende linguistische Regeln gibt, nach denen über eine Vergewaltigung gesprochen wird – diese lassen beispielsweise keinen Zweifel daran, dass Männer» die Subjekte der Gewalt und die Anwender ihrer Mittel«, während Frauen»