Regina Muhlhauser

Eroberungen


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als notwendig, die Anwesenheit der Russin zu erläutern: Wann war sie gefangen genommen worden? Befand sie sich schon länger im Gefolge von Reeses Einheit? Und aus welchem Grund war sie ins Visier der Deutschen geraten? Durch diese Leerstelle wird die Frau in seiner Erzählung völlig auf ihre Rolle als Objekt des soldatischen Amüsements reduziert. Vermutlich empfanden die Männer ihre Erniedrigung nicht einmal als Akt sexueller Gewalt – ganz im Sinne der damals und auch heute noch verbreiteten Vorstellung, dass es sich bei sexueller Gewalt um» einen natürlichen, wenn auch forcierten Akt zwischen Mann und Frau [handele], der nicht wirklich verletzend sei, solange nicht extreme Gewalt angewendet werde«.[205]

      Die Tatbestände sexueller Gewalt in den Beispielen, die der Volkskommissar für ausländische Angelegenheiten der UdSSR, Wjatscheslaw M. Molotow, auf der Grundlage von Augenzeugenberichten am 7. Januar 1942 veröffentlichte, waren nach diesem Verständnis sehr viel eindeutiger. Bei den Nürnberger Prozessen wurde der Bericht vier Jahre später als Beweisstück USSR 51 herangezogen:

      In dem Dorf Semjonowskoje, im Bezirk Kalinin, fesselten und vergewaltigten die Deutschen die 25jährige Olga Tichonowa, die Frau eines Rotarmisten, Mutter von drei Kindern, die hochschwanger war. Nach der Vergewaltigung durchschnitten sie ihr den Hals, durchstachen ihre beiden Brüste und schnitten sie auf sadistische Art ab. […]

      Die niederträchtigen Gewalttaten an Frauen und Mädchen erstreckten sich in den okkupierten Gebieten auf alle Orte. In dem ukrainischen Dorf Borodajewka, im Bezirk Dnjepropetrowsk, vergewaltigten die Faschisten alle Frauen und Mädchen. In dem Dorf Beresowka, im Bezirk Smolensk, vergewaltigten und verschleppten betrunkene deutsche Soldaten alle Frauen und Mädchen im Alter von 16 bis 30 Jahren.

      In der Stadt Smolensk eröffnete das deutsche Kommando in einem der Hotels ein Offiziersbordell, in das Hunderte von Mädchen und Frauen geschleppt wurden. Sie wurden an den Armen und Haaren gezerrt und erbarmungslos über das Pflaster geschleift. […]

      In der Stadt Lemberg wurden 32 Arbeiterinnen der Lemberger Konfektionsfabrik vergewaltigt und dann von den deutschen Sturmtruppen ermordet. Die betrunkenen deutschen Soldaten schleppten die Lemberger Mädchen und jungen Frauen in den Kostjuschkopark, um sie bestialisch zu vergewaltigen. Der alte Geistliche W. L. Pomasnew, der mit einem Kreuz in den Händen den Versuch machte, die Vergewaltigung der Mädchen zu verhindern, wurde von den Faschisten mißhandelt. Sie rissen ihm den Priesterrock ab, zündeten ihm den Bart an und erstachen ihn mit Bajonetten. In Weißrußland, nahe der Stadt Borrissow, fielen den Hitler-Faschisten 75 Frauen und Mädchen in die Hände, die beim Anmarsch der deutschen Truppen geflohen waren. 36 Frauen und Mädchen wurden von den Deutschen vergewaltigt und darauf bestialisch ermordet. Das 16jährige Mädchen L. I. Meltschukowa führten die Soldaten auf Befehl des deutschen Offiziers Hummer in den Wald, wo sie es vergewaltigten. Nach einiger Zeit sahen andere Frauen, die ebenfalls in den Wald geführt worden waren, daß bei den Bäumen Bretter standen, an denen die sterbende Meltuschowa aufgespießt war. Die Deutschen haben ihr vor den Augen der anderen Frauen, unter ihnen W. J. Alperenko und M.W. Beresnikowa, die Brüste abgeschnitten.[206]

      Die beiden hier zitierten Ausschnitte aus Reeses Kriegstagebuch und Molotows Bericht deuten die Bandbreite der sexuellen Gewalttaten an, die deutsche Truppenangehörige in den besetzten Gebieten der Sowjetunion verübten. Zwar erlaubt Molotows Aufzählung keine gesicherten Rückschlüsse darauf, was im Einzelnen vor Ort passiert ist: Er weist seine Informantinnen und Informanten nicht aus, die Beschreibungen sind bruchstückhaft und ungenau, und dem Ton lässt sich entnehmen, dass der Text zu Propagandazwecken zusammengestellt worden ist.[207] Gleichwohl äußerte keiner der Anwesenden im Gerichtssaal Zweifel an der grundsätzlichen Aussage des Dokuments, dass sexuelle Gewalttaten durch deutsche Männer in Osteuropa und Russland beileibe keine Einzelfälle waren und überdies mit anderen Gewaltformen einhergingen. In der Tat kamen auch an anderen Stellen in der Verhandlung sowie vor Untersuchungskommissionen und in weiteren Nachkriegsprozessen sexuelle Gewalttaten immer wieder zur Sprache.[208] Derartige Beschreibungen dienten vornehmlich dazu, die besondere Grausamkeit und Perversion der Täter hervorzuheben und den von ihnen verübten Zivilisationsbruch zu unterstreichen.

      Die Angeklagten wiederum zogen ihrerseits Fälle sexueller Gewalt heran, um zu betonen, dass sie die Grenzen der» Sittlichkeit «ausdrücklich nicht überschritten hätten. Der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall von Manstein, versuchte am Beispiel der Verurteilung zweier Soldaten aus seinem Korps zu belegen, dass in der Wehrmacht ein» anständige[s] Soldatentum «geherrscht habe. Gleich zu Beginn des Russlandfeldzuges seien die beiden zum Tode verurteilt worden, da sie – als Einzelne – den Moralkodex verletzt und eine alte Frau vergewaltigt und dann ermordet hätten.[209] Auch Hermann Göring, vormals Oberster Gerichtsherr und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, behauptete vor dem Nürnberger Tribunal, keinen Fall von» Notzucht «toleriert zu haben. Zu seiner Verteidigung brachte er vor, er sei bereit,»absolut und gerne die Verantwortung auch für schwerste Dinge «zu übernehmen,»Schändungen von Frauen «hätten ihm aber zutiefst widersprochen.[210] Unabhängig davon, ob die erwähnten Bestrafungen tatsächlich vollzogen wurden,[211] ist es bemerkenswert, dass beide Angeklagte ungefragt ihren Umgang mit sexueller Gewalt gegen Frauen als Beleg für ihre persönliche Anständigkeit beziehungsweise die der Wehrmacht ins Feld führten. Deutlich wird hier, dass sexuelle Gewalt zu einer symbolischen Schnittstelle zwischen Ehrenhaftigkeit und Ehrverlust werden konnte: Während Vergewaltigung innerhalb des Männerbundes Militär, wie ich im Laufe dieses Kapitels noch zeigen werde, durchaus als Beweis von Männlichkeit und – in der Weiterung – männlicher Ehre galt, konnten diejenigen, die eine Vergewaltigung verübt hatten, vor allem nach der Niederlage auch schnell als» deviante «Einzeltäter abgestempelt werden, die die Armee» entehrt «hatten.

      Diese Umwertung führte vor dem Nürnberger Tribunal allerdings nicht zu einer genaueren Untersuchung der Fälle von sexueller Gewalt, die während der Beweisaufnahme dokumentiert wurden. Obgleich es nach der damaligen Rechtslage durchaus möglich gewesen wäre, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt anzuklagen und zu verurteilen,[212] wurde keiner der Zeugen näher dazu befragt. Es bestand offenbar kein Interesse daran, diese Form der Gewalt gegen Frauen explizit zu sanktionieren. Hier deutet sich ein weitgehendes Einverständnis der Beteiligten an: Mitte des 20. Jahrhunderts galt sexuelle Gewalt gegen Frauen im Militär wie in der Gesellschaft, in Politik und Rechtsprechung noch als gleichsam natürliche Begleiterscheinung des Krieges.[213]

      Lediglich auf dem asiatisch-pazifischen Schauplatz kam Vergewaltigung nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Nachfolgeprozesse des Internationalen Militärgerichtshofs in Tokio (IMTFE) vor Gericht, und zwar in der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien: Bei dem Tribunal in Batavia, dem heutigen Jakarta, wurde 1946 ein japanischer Barbetreiber verurteilt, weil er Niederländerinnen unter Androhung von Haft gezwungen hatte, in seinem Betrieb der Prostitution nachzugehen.[214] Und in Maccasar verurteilte man 1947 neun japanische Soldaten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zum Tode, wobei einer der Anklagepunkte lautete, Niederländerinnen zwangsweise ausgekleidet, zur Schau gestellt und vergewaltigt zu haben.[215] Die Interessenlage, die zu diesen Verurteilungen geführt hat, war allerdings vor allem durch machtpolitische Motive geprägt: Verhandelt wurden lediglich 35 der etwa ein- bis zweihundert Fälle weißer Niederländerinnen, obgleich auch mehrere tausend Indonesierinnen Opfer von Kriegsvergewaltigungen sowie sexueller Versklavung in den Militärbordellen der japanischen Armee geworden waren[216] – ein Hinweis darauf, dass hier nicht sexuelle Gewalt gegen Frauen geahndet, sondern mithilfe der Verfahren nationale Interessen verfolgt wurden.[217]

      Formen und Funktionen sexueller Gewaltakte

      Erst