Regina Muhlhauser

Eroberungen


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mit» massiven Tabubrüchen hinsichtlich der Ermordung Wehrloser «einhergegangen waren.[132]

      Gleichwohl führte diese Tabuisierung nicht dazu, dass es in den ersten Nachkriegsjahren überhaupt keine Erzählungen über die vergangenen sexuellen Erlebnisse der Männer gegeben hätte; diese ergaben sich aber meist im Privaten. So prägten entsprechende Vermutungen und Gerüchte oft das Zusammenleben von Paaren – und Zeitzeugen, die damals noch Kinder oder Jugendliche waren, erinnern sich später daran, wie ihre Mütter den Ehemann mit ihrem Verdacht konfrontierten und/oder sich in sich selbst zurückzogen. Dieter Wellershoff, der als 17-Jähriger in die Wehrmacht eingezogen wurde, merkt in seinen Kriegserinnerungen an, die Ehe seiner Eltern sei wohl auch dadurch in die Brüche gegangen, dass sein Vater, der bereits im Ersten Weltkrieg bei der Marineartillerie gedient hatte, über viele Jahre an der Front und in den besetzten Gebieten stationiert gewesen war:»Vermutlich befürchtete sie [die Mutter; R. M.], daß ihr Mann dort, wo er stationiert war, eine andere Frau hatte. Er war in seiner Majorsuniform eine auffallende Erscheinung, während sie krank und depressiv und immer dicker wurde, nur noch schlechte Romane aus der Leihbücherei las und endlos Patiencen legte.«[133]

      Im Laufe der Jahre tauchten Hinweise auf Sexualität vor allem in Landserromanen und in den Strafverfahren gegen ehemalige Wehrmachts- und SS-Angehörige auf.[134] In Vernehmungsprotokollen von Beschuldigten und Zeugen heißt es beispielsweise, ein bestimmter SS-Mann sei ein Verhältnis mit einer einheimischen Frau eingegangen oder habe eine Vergewaltigung verübt. Die Schilderungen sind mitunter recht detailliert. Zwar kann man nicht davon ausgehen, dass es sich im strafrechtlichen Sinne immer um die Wahrheit handelte, zumal gerade Beschuldigte vor allem versuchen, von sich abzulenken und andere zu belasten;[135] aber besonders die immer wiederkehrenden Einzelheiten zeigen, dass es sich um mehr als um Ausnahmefälle handelte.

      Erst im Zuge der öffentlichen Auseinandersetzung über die deutschen Verbrechen in Osteuropa und Russland in den 1990er Jahren, in denen das bis dato vorherrschende Bild der» sauberen Wehrmacht «als Mythos entlarvt wurde, kamen vereinzelt auch die sexuellen Zusammentreffen der Soldaten während des Krieges in der Öffentlichkeit zur Sprache. Zahlreiche ehemalige Soldaten beziehungsweise deren Nachkommen begannen, autobiografische Erinnerungen an die Front und die besetzten Gebiete zu publizieren. Manche Autoren setzten sich das Ziel, die Unschuld der Wehrmacht zu beweisen; andere wollten» ungeschönt «vom Krieg und den Verbrechen berichten. Im Allgemeinen handelt es sich um Abschriften von zeitgenössischen Tagebüchern oder um Erinnerungserzählungen aus der Perspektive der Gegenwart (die meistens auf früheren Notizen beruhen). Manche Autoren mischen auch beide Formen und umrahmen ihre früheren Aufzeichnungen mit nachträglichen Reflexionen und Interpretationen. In der schriftlich abgeschlossenen Form erzeugen die tagebuchähnlichen Erinnerungsberichte eine kohärente, in sich logische Erzählung im Sinne einer persönlichen biografischen Konstruktion, die – unabhängig davon, ob die Autoren den Krieg verherrlichen oder ihre kritischen Anmerkungen in den Vordergrund stellen – letztlich immer eine versöhnliche Haltung gegenüber der Vergangenheit zu erzeugen sucht. Zudem sind die Texte für die Publikation überarbeitet worden; sie enthalten also sprachliche Glättungen und Streichungen. Die Genauigkeit der Schilderungen variiert stark. Auffällig ist jedoch, dass fast alle Zeitzeugen einzelne Fälle von Vergewaltigung, sexuellem Tauschhandel oder einvernehmlichen Begegnungen beschreiben. Aus solchen nachträglichen Darstellungen kann man schließen, wie die ehemaligen Soldaten solche Ereignisse im Gesamtzusammenhang ihrer Kriegserzählungen einordnen und deuten.

      Herbert Maeger war als junger Mann Rekrut der SS-Leibstandarte Adolf Hitler. Im Jahr 2000 veröffentlichte er mit der Absicht, das» Informationsdefizit «abzubauen und der historischen Wissenschaft einen» echten Erlebnisbericht «zu liefern, seine Erinnerungen» Verlorene Ehre. Verratene Treue«. Darin schreibt er heterosexuellen Zusammentreffen während des Krieges eine besondere Bedeutung zu:

      Niemand, der den Russlandfeldzug erlebt hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, wie stark bei jedem von uns die Sehnsucht war, dem Grauen dieses beispiellos gnadenlosen Krieges zu entkommen und sei es auch nur für eine Weile.»Bevor ich sterben muss«, so habe ich mehr als einmal einen der blutjungen Soldaten sagen gehört,»möchte ich wissen, wie es ist, mit einer Frau zu schlafen!«Ein letzter Wunsch, der – wenn überhaupt – allenfalls in einem Bordell erfüllt wurde und nur eine bittere Erfahrung mehr bescherte.[136]

      Vorstellungen wie diese dürften weit verbreitet sein. Die Frauen bleiben in dieser Sehnsucht des verratenen Landsers auf ihren Körper reduziert. Der Zusammenhang von Sexualität und Kriegsgewalt ist ausgeblendet.

      Männer, die sehr jung in die Wehrmacht eingezogen wurden, machen in solchen Berichten auch ihre sexuelle Sozialisation zum Thema. Wolfgang von Buch und Gerhard Thamm sprechen von sich selbst als» Kindersoldaten«. Sie beschreiben, wie aufregend es für sie gewesen sei, Prostituierte zu sehen und fremde Mädchen zu treffen. Gerade gegenüber älteren Kameraden hätten sie wirken wollen, als seien sie sexuell erfahren.[137] Da der Drang nach heterosexuellen Erlebnissen ein normaler, in der Regel erwünschter Teil männlichen Erwachsenwerdens ist, haben Buch und Thamm die Möglichkeit, ihr Begehren vergleichsweise offen anzusprechen. Aufsehenerregend werden solche Schilderungen erst in dem Moment, in dem die Grenze zur Gewalttätigkeit überschritten wird. Dass die Vergemeinschaftungsprozesse von Jungen sich mitunter bereits in sehr frühem Alter über den Ausschluss von Mädchen und die Ausübung von Gewalt gegen sie vollzogen, beschreibt Jost Hermand in seinen Erinnerungen an eine» Kinderlandverschickung«(KLV). Er und andere Jungen suchten sich Mädchen für Doktorspiele,»um sich auf übelste Weise an ihren ›Weichteilen‹ zu schaffen «zu machen.[138] Selbst dies wird im Gesamtzusammenhang der Darstellung allerdings nicht als übermäßig beunruhigend gewertet, sondern als zwar schlimmer, aber letztlich doch normaler Teil männlicher Entwicklung.

      Neben solchen schriftlich verfertigten Erinnerungen liegen dieser Untersuchung mündliche Zeugnisse ehemaliger Soldaten zugrunde. Im Kontext der Ausstellung» Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944«ist eine Reihe von narrativen Interviews mit ehemaligen Soldaten entstanden, die sich direkt nach ihrem Besuch der Ausstellung bereit zeigten, ihre Sichtweise darzustellen.[139] Auch im Rahmen von Forschungs- und Filmprojekten nutzten Wissenschaftler und Journalisten die letzte Lebensphase der Zeitzeugen, um entsprechende Gespräche zu führen. Der Zeitpunkt der Interviews hatte dabei ebenso Einfluss auf das Erzählen der Zeitzeugen wie die politische und mediale Diskussion. Generell gilt, was Ela Hornung im Zuge ihrer Gesprächsanalysen beschreibt: Das» Erzählverhalten ist immer mitbestimmt von dem, was gesellschaftlich erlaubt oder sanktioniert wird«.[140] In einer für sie sicheren Umgebung, beispielsweise am Stammtisch oder beim Veteranentreffen, erzählen ehemalige Soldaten vermutlich in sich geschlossene Geschichten, oft über herausragende Ereignisse. Genau solche Abenteuer- oder Heldengeschichten sind jedoch kein Thema, das sie in den Interviews zur Sprache bringen. In der Regel blenden die ehemaligen Soldaten ihre direkte Beteiligung am Krieg weitgehend aus und beschönigen besonders die Passagen, in denen es um direkte Gewaltausübung geht.[141] Dabei entstehen subjektive, oft sehr bruchstückhafte und durchaus widersprüchliche Darstellungen des Erlebten.

      Einige der Interviewerinnen und Interviewer nehmen Erwähnungen der Zeitzeugen über» Flintenweiber «oder Bordelle zum Anlass, um explizit nach sexueller Gewalt und dem männlichen Blick auf die» Frauen des Feindes «zu fragen.[142] Auch dann berichten die Männer fast nie von sich selbst. Auffällig ist, dass manche Zeitzeugen – wie der eingangs zitierte Otto Pauls – relativ unbefangen über Prostitution, sexuelle Affären oder Romanzen reden, während sie sich entschieden dagegen verwahren, jemals eine Vergewaltigung gesehen zu haben. Im Einzelfall mag dies stimmen, in der Gesamtschau entspricht es jedoch nicht der historischen Realität. Mit der kategorischen Abgrenzung und Ablehnung von sexueller Gewalt möchten die Zeitzeugen vielmehr häufig die vermeintliche